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Großbritannien
Der Kampf um Mitte-Rechts

Die britischen Parteien rüsten sich zur Parlamentswahl im Mai 2015. Vor allem die Konservativen von Premierminister David Cameron müssen um ihre Mehrheit bangen. Die rechtspopulistische Unabhängigkeitspartei UKIP greift ihre Wählerschaft an. Im britischen Mehrheitswahlsystem könnten sich die Mitte-Rechts-Stimmen für die Konservativen und UKIP gegenseitig neutralisieren, sodass es einen lachenden Dritten geben könnte.

Von Jochen Spengler | 01.10.2014
    Unmittelbar nach dem Referendum versprach der britische Premier Cameron Schottland mehr Autonomie.
    Der britische Premierminister David Cameron setzt im Parlamentswahlkampf auf Wirtschaftskompetenz (afp / Carl Court)
    Es dürfte eng werden für die regierenden Konservativen. Seit zweieinhalb Jahren liegen sie in den Umfragen hinter der Labour Partei zurück. Derzeit um fünf Punkte mit 31 Prozent. Hinzu kommt das UKIP-Problem; zwar stellen die Rechtspopulisten aufgrund des britischen Mehrheitswahlrechts keinen einzigen Abgeordneten; das aber könnte sich bald schon ändern.
    Mark Reckless, konservatives Mitglied des britischen Unterhauses verkündete seinen Wechsel zur Unabhängigkeitspartei am Wochenende ausgerechnet auf der UKIP-Konferenz unmittelbar vor dem Parteitag der Tories.
    Konservative Abgeordnete verlassen Fraktion
    Reckless ist bereits der zweite Abgeordnete, der innerhalb weniger Wochen die Tories verlassen hat. Der andere, Douglas Carswell, hat gute Chancen die fällige Nachwahl in einer Woche zu gewinnen und damit seiner neuen Partei den ersten Parlamentssitz überhaupt zu besorgen.
    Grant Shapps, Generalsekretär der Tories, war wenig amüsiert und donnerte:
    "Wir sind betrogen worden, jeder weiß: Ein Abgeordneter gewinnt nicht alleine, sondern mit der Hilfe seiner Parteifreunde, Euer Vertrauen ist missbraucht worden und ihr wurden getäuscht."
    Tatsächlich ist den Konservativen an ihrem rechten Rand ein inzwischen ernst zu nehmender Gegner erwachsen. Premier und Parteichef David Cameron gibt zu, dass der Parteitag nicht gerade einen Bilderbuchstart hingelegt hat:
    "So etwas ist frustrierend. Und es ist kontraproduktiv und ziemlich sinnlos. Denn wenn Du ein EU-Referendum willst und Einwanderungskontrolle dann gibt es nur eine Option und das ist eine konservative Regierung nach der Wahl."
    Labour-Partei lachender Dritte?
    Doch die rückt in weite Ferne, je stärker UKIP wird. 16 Prozent billigen ihr die Meinungsforscher zu. Die reichen zwar nicht zum Regieren, aber womöglich dazu, den Konservativen das Regieren unmöglich zu machen. Im britischen Mehrheitswahlsystem könnten sich die Mitte-Rechts-Stimmen für Tories und UKIP gegenseitig neutralisieren, sodass Labour-Kandidaten profitieren.
    Die Konservativen fühlen sich in einer Zweifronten-Schlacht mit UKIP und Labour und das Rezept gegen UKIP lautet: Rechtsruck. EU-Kritik, Anti-Einwanderung und vor allem Recht und Ordnung. Die innere Sicherheit will Innenministerin Theresa May mit einer drastischen Strategie garantieren.
    "Sie zielt darauf, Extremismus in all seinen Formen zu untergraben. Neonazismus ebenso wie islamistischen Extremismus. Sie zielt darauf, in der Gesellschaft Extremismus zu identifizieren, zu konfrontieren, herauszufordern und zu besiegen. "
    So sollen schärfere Gesetze es im Fall eines Tory-Wahlsiegs der Innenministerin erlauben, extreme Gruppen zu verbieten, die zwar nicht gewalttätig sind, aber Hass verbreiten. Die Internet-Kommunikation müsse umfassend überwacht werden und Einzelnen will Frau May den Zugang zum Web, aber auch öffentliche Auftritte und Reden untersagen können, was nicht nur Bürgerrechtsgruppen, sondern auch eigene Parteifreunde wie David Davis besorgt:
    "Das sind doch ganz unglaubliche Befugnisse, demokratische Rechte einzuschränken, die wir in diesem Land seit 200 Jahren haben. Und das allein schon, wenn die Innenministerin einen begründeten Verdacht hat. Das ist das Kriterium."
    Cameron setzen auf Wirtschaftskompetenz
    Gegenüber der linken Labour-Konkurrenz wollen sich die Konservativen vor allem weiter als Partei mit der höheren Wirtschaftskompetenz profilieren.
    "Großbritannien hat die am schnellsten wachsende, Arbeitsplätze schaffende, Defizit verringernde Wirtschaft von allen großen Industrieländern."
    Verkündet Schatzkanzler George Osborne unter großem Applaus seine Erfolgsbilanz. Unerwähnt lässt er vor den Parteifreunden, dass er mit Wachstum und Defizitabbau drei Jahre hinter den ursprünglichen Plänen zurückliegt.
    Um das verbleibende Defizit loszuwerden, bedarf es in den kommenden Jahren zusätzlicher 30 Milliarden Euro. Und dafür setzt der Konservative auf Bekanntes: Gestrichen werden soll wie bislang schon weiter im Sozialetat: "Die Sozialleistungen müssen für zwei Jahre eingefroren werden. Der fairste Weg Sozialstaatsrechnungen zu senken, liegt darin, sicherzustellen, dass Sozialleistungen nicht schneller steigen als die Gehälter der Steuerzahler, die sie finanzieren. "
    Was bedeutet, dass nicht nur Arbeitslose, sondern auch die fünf Millionen so genannten arbeitenden Armen, deren niedriges Einkommen mit staatlichen Hilfen wie Kinder- oder Wohngeld aufgestockt wird, verzichten müssen – im Durchschnitt auf 600 Euro jährlich.
    Die Wählerklientel der Tories wird dagegen geschont: keine Steuererhöhungen für Mittelstand, Rentner, Gutverdiener und Unternehmen.
    Die Zeit, als David Cameron noch Werbung machte mit dem Schlagwort vom mitfühlenden Konservativismus, scheint keine acht Monate vor der Wahl endgültig vorbei zu sein.