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Großbritannien
Immer weniger junge Briten lernen eine Fremdsprache

Noch nie seit der Jahrtausendwende haben die Briten in weiterführenden Schulen so wenige Fremdsprachen gelernt wie jetzt. Insbesondere Deutsch und Französisch droht an weiterführenden Schulen quasi das Aussterben. Eine Ursache der Entwicklung: die Bildungspolitik der Regierung in London.

Von Sandra Pfister | 21.03.2019
Das The West London Free School (WLFS) ist eine Sekundarschule für 11 bis 18-Jährige, die von einer Gruppe von Eltern und Lehrern in Hammersmith gegründet wurde. Die Schule wird von Schulleiter Thomas Packer geleitet. 9. September 2011 - London
"Schulen bewegen sich oft in die Richtung, die die Regierung vorgibt", sagt eine Schulleiterin (imago/ZUMA Press)
"Was willst Du am Wochenende machen? Also, habe ich viel zu tun, aber zum Beispiel…"
"I really like Handschuhe, but it literally means gloves, and I think that’s really a fun word. I really like the word for squirrel, which is Eichhörnchen..."
Diese beiden Abiturientinnen aus London, Alice und Joslyn, sind eine inzwischen seltene Spezies: Sie haben Deutsch als Abitur-Fach.
Dass nur noch selten Deutsch-Abikurse zustande kommen, hat damit zu tun, dass die Zahl der Schüler, die es bis zur Mittleren Reife, dem GCSE, belegen, seit 2013 um 20 Prozent abgenommen hat. Auch Französisch ist stark rückläufig.
"Wir sind 250 Leute in meinem Jahrgang, und ich war die einzige, die Deutsch im Abi gewählt hat. Ich konnte das gerade noch so machen, aber jetzt wird das als Abiturfach nicht mehr angeboten."
Komplette Streichung an vielen weiterführenden Schulen
Die BBC hat Statistiken ausgewertet, nach denen ein Drittel der weiterführenden Schulen in Großbritannien eine Fremdsprache komplett gestrichen hat. Der Konservative Nick Gibb, Staatssekretär im Bildungsministerium, schiebt die Schuld auf die Vorgängerregierung, obwohl er selbst schon viele Jahre im Amt ist.
"Aber dass Fremdsprachen im Nationalen Curriculum nicht mehr Pflicht sind bis zum 16. Lebensjahr, das hat die Labour-Regierung 2004 entschieden."
Seit 2010, sagt Gibb, steuere seine Regierung gegen. Seither belohnt die Regierung Schulen mit guten Bewertungen, die es schaffen, dass möglichst viele Schüler beim Mittleren Schulabschluss gute Noten im Englisch, Mathe, zwei Naturwissenschaften, Geschichte und mindestens einer Fremdsprache erreichen. Doch hat das für eine Trendumkehr gesorgt?
Eher Spanisch und Chinesisch statt Deutsch und Französisch
Nur partiell. Das Interesse an Deutsch und Französisch nimmt weiter ab, dafür belegen mehr Schüler Spanisch und Chinesisch, sagt Maggie Bailey, Schulleiterin einer beliebten und mit "outstanding" bewerteten "Secondary School" im wohlhabenden Londoner Westen. Die Schüler wollten sich den Notenschnitt nicht verderben - und auch die Bewertung der Schulen hängt vom Notenschnitt ihrer Schüler ab.
"Spanisch halten viele für leichter. Denn Französisch und Deutsch sind, ähnlich wie Englisch, grammatikalisch schwerer. Ich glaube, manche Schüler halten das deshalb für leichter."
Dass auch Chinesisch Deutsch und Französisch den Rang abläuft, liegt daran, dass sowohl die britische als auch die chinesische Regierung den Chinesisch-Unterricht fördern.
Es fehlen Sprachlehrer
Schulleiterin Maggie Bailey: "Es gibt den Konfuzius Classroom, da kriegt die Schule 50.000 Pfund, wenn sie einen Raum zur Verfügung stellt, in dem regelmäßig alles Mögliche gelehrt wird, was mit China zusammen hängt."
Und die britische Regierung packt noch mal Geld obendrauf, sagt Bildungs-Staatsekretär Nick Gibb.
"Wir unterstützen das Chinesisch-Lernen mit einem Mandarin Excellence Programm. Damit fördern wir seit drei Jahren 5.000 junge Leute, die in der Schule von Anfang an Chinesisch lernen, mit zehn Millionen Pfund."
Es hänge sehr stark von der Regierung ab, glaubt Maggie Bailey, ob Schüler Fremdsprachen lernen - und welche.
"Schulen bewegen sich oft in die Richtung, die die Regierung vorgibt. Wenn die sagt: Das ist jetzt Pflicht, dann bieten Schulen das an, wenn die Regierung sagt: Es ist nicht so wichtig, dann bieten sie nicht so viel an."
Außerdem fehlten vielen Schulen die Fremdsprachenlehrer.
Unis sollen mehr Druck ausüben
"Ja, besonders in manchen Regionen. Wir haben Glück, wir hier in London leben nah dran am Kontinent, wir kriegen die Lehrer. In den eher ärmeren Regionen tun sich die Schulen schwerer damit, Lehrer zu finden."
Schulleiterin Bailey findet, auch Universitäten könnten mehr Druck auf Schüler ausüben, Fremdsprachen schon beim Abitur zu wählen.
"Unis müssten bei den Aufnahmeverfahren Wert darauf legen, dass die jungen Leute zumindest eine Fremdsprache bis zur Mittleren Reife belegt haben, das müsste ein Kriterium sein. Das würde helfen."
Fakt ist: Das Vereinigte Königreich verabschiedet sich derzeit offenbar nicht nur politisch und ökonomisch vom Kontinent, sondern auch sprachlich - zumindest von den beiden europäischen Ländern, Frankreich und Deutschland, die ihm regional und wirtschaftlich am nächsten liegen.