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Großbritannien
Judenhass bei Labour

Warum ist Antisemitismus gerade in der Linken in Großbritannien wieder salonfähig geworden? Das hängt vor allem mit Labour-Parteichef Jeremy Corbyn zusammen, sagen auch innerparteiliche Kritiker. Jüdische Parteimitglieder sehen sich zunehmend Anfeindungen ausgesetzt.

Ada von der Decken | 11.06.2018
    Der Vorsitzende der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, bei einer Rede zum Brexit in der Coventry-Universität am 25.02.2018 im britischen Coventry.
    Der britische Labour-Chef Jeremy Corbyn (AFP / Ben Stansall)
    'Enough is enough', schallt es vor dem britischen Parlament: Es reicht. An einem Montag in diesem Frühjahr kommen Hunderte Menschen zusammen. Zwei jüdische Dachverbände haben zu der Aktion in London aufgerufen. Sie haben einen Brief an den Labour-Chef verfasst. Immer wieder habe sich Jeremy Corbyn eher für Antisemiten eingesetzt als für Juden, steht darin.
    Jonathan Wittenberg ist Rabbiner. Sein Kommentar zur Demo:
    "Die Kundgebung wurde sehr kurzfristig anberaumt. Trotzdem sind viele gekommen. Es waren viele Mitglieder meiner Gemeinde und auch einige Kollegen dort. Die Atmosphäre war ruhig, aber entschlossen."
    Jonathan Wittenberg ist Rabbiner in Nordlondon
    Jonathan Wittenberg ist Rabbiner in Nordlondon (Deutschlandradio / Ada von der Decken)
    In seiner Gemeinde im Norden Londons wird derzeit viel über das Thema Antisemitismus in der Linken diskutiert:
    "Die Meinungen variieren: Die einen fühlen sich tatsächlich nicht mehr sicher und wollen das zum Ausdruck bringen, die anderen plagt eher ein vages Unbehagen bei dem Gedanken, Jeremy Corbyn könnte die nächste Wahl gewinnen."
    Warum richtet sich der Unmut vor allem gegen Jeremy Corbyn, den Vorsitzenden der Labour Partei? Zuletzt war bekannt geworden, dass Corbyn vor einigen Jahren einen umstrittenen Graffiti-Künstler unterstützt hatte: Dessen Wandgemälde im Londoner Osten hatte jüdische Banker dargestellt, die auf dem Rücken nackter Arbeiter Monopoly spielen. Das antisemitische Bild sollte entfernt werden, Corbyn - damals noch Labour-Hinterbänkler - unterstützte den Künstler.
    "Die alte Mär, Juden wollten die Medien kontrollieren"
    Unerträglich, findet Luciana Berger, die selbst Labour-Mitglied ist. Und sie ist Abgeordnete. Seit sie politisch aktiv ist, erlebt die Labour-Abgeordnete Judenhass: Gewaltandrohungen, Beschimpfungen, weil sie Jüdin ist. In jüngster Zeit werde sie vermehrt auch aus den eigenen Reihen angegangen. In einer Parlamentsdebatte zum Thema Antisemitismus im April hält sie eine bewegende Rede:
    "Antisemitismus ist in der Labour-Partei alltäglicher, auffälliger und aggressiver geworden. Mir fehlen die Worte, in welcher Form Mitglieder unserer Partei, Unterstützer von Jeremy Corbyn, mich in den vergangenen Wochen angegriffen haben. Weil ich mich auf der Kundgebung gegen Antisemitismus ausgesprochen habe. Weil ich das antisemitische Wandbild kritisiert habe. Sie sagen, ich soll abgewählt werden. Oder sie werfen mir vor, eine Schmutzkampagne zu betreiben."
    Auch Rabbiner Wittenberg hat die Parlamentsdebatte verfolgt. Den Vorwurf, es handele sich nur um eine Kampagne, um Jeremy Corbyn zu schaden, hält er für problematisch:
    "Zu sagen, dass es eine Schmutzkampagne sei, das klingt nach dieser alten Mär, Juden wollten die Medien kontrollieren und sie seien Meinungsmacher. Das ist besonders gefährlich und widerlich."
    "Unsere Freunde von der Hamas"
    Verschwörungstheorien und Stereotype über Juden, die angeblich die Strippen ziehen. Warum sind sie besonders im linken Flügel der Labour-Partei salonfähig geworden?
    Dave Rich hat dazu ein Buch veröffentlicht: "The Left's Jewish Problem", also: Die Linke und ihr Problem mit Juden.
    "Links sein heißt: Du kannst kein Rassist sein, und deswegen kannst du auch nicht antisemitisch sein. Der nächste logische Schritt ist also: Ich bin links, deswegen kann überhaupt nichts, was ich sage, antisemitisch sein. Deswegen lügt die Person, die mir das vorwirft. Warum macht die das? Weil ich Israel kritisiere. Die wollen, dass ich aufhöre, Israel zu kritisieren. Oder ich unterstütze Jeremy Corbyn, und die mögen Jeremy Corbyn nicht. Wir haben also das Phänomen, dass zunächst geleugnet wird, dass es linken Antisemitismus gibt - und dann diese zusätzlichen Anschuldigungen obendrauf."
    Dave Rich hat zum Thema Antisemitismus in der britischen Linken ein Buch veröffentlicht
    Dave Rich hat zum Thema Antisemitismus in der britischen Linken ein Buch veröffentlicht (Deutschlandradio / Ada von der Decken)
    Wer gegen Rassismus ist, kann kein Antisemit sein. Diese Meinung teilt auch Jeremy Corbyn. Aber er hat sich in seiner langen politischen Karriere schon oft mit Menschen abgegeben, die Israel - und damit Juden - vernichten wollen: Unter anderem war er bei Treffen der Gruppe "Deir Yassin Remembered" des Holocaustleugners Paul Eisen dabei und nannte im Jahr 2009 Funktionäre der islamistischen Hamas und militanten Hisbollah "unsere Freunde".
    Warum geht Großbritanniens Linke oftmals über Kritik an der israelischen Regierung hinaus, warum wird die Existenz eines Staates in Zweifel gezogen? Dave Rich:
    "Der Kampf gegen Kolonialismus und für das Ende des Britischen Empires ist für die aktuelle Generation der britischen Linken identitätsstiftend. Es geht ihnen um die Altlasten des Imperiums. Sie sehen Zionismus und Israel als eine moderne Form von Kolonialismus. Als Altlast der britischen Imperialzeit, die man noch nicht ausreichend aufgearbeitet habe."
    Skepsis: Will Jeremy Corbyn das Problem wirklich angehen?
    Weil Israel vor 70 Jahren auf britischem Hoheitsgebiet geschaffen wurde, wird der Staat heute als Ganzes in Frage gestellt. Diese Logik schafft Nähe zu Feinden Israels.
    Mit Jeremy Corbyn an der Spitze der Labour-Partei haben antisemitische Meinungen in Großbritannien Aufwind bekommen. Juden in Großbritannien sehen sich heute mehr Anfeindungen ausgesetzt. Der Labour-Chef will das Problem in der eigenen Partei jetzt angehen. Er wird beweisen müssen, ob seinen Ankündigungen auch Taten folgen werden.
    Rabbiner Jonathan Wittenberg bleibt skeptisch: Von einem Treffen jüdischer Vertreter mit Jeremy Corbyn hat er sich mehr versprochen. Seine Gemeindemitglieder ermuntert er, sich auf ihren Glauben zu besinnen:
    "Folgendes sage ich als Rabbiner: Ich bin schließlich weder Politiker noch Anwalt, sondern Leiter einer religiösen Gemeinschaft. Wenn wir mit Antisemitismus konfrontiert werden, sollten wir uns auf unser Judentum besinnen. Ich meine das weder ausschließend noch aggressiv. Ich denke, wir sollten unsere Traditionen kennen, unsere Gebete, unsere Geschichte und die Werte, für die wir stehen. Das gibt uns die innere Stärke, die wir brauchen, wenn wir angegriffen werden. "