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Großbritannien
Lehrer streiken wegen steigender Arbeitsbelastung

Zweieinhalb Wochen vor Beginn der britischen Schulferien sorgen sich viele Schulen darum, dass nach den Ferien wieder viele Lehrerstellen unbesetzt sind. Denn schon seit einigen Jahren legen immer mehr britische Lehrer ihren persönlichen Brexit hin und verlassen entweder das Land – oder wechseln den Job. Die Lehrergewerkschaft hat zum Streik aufgerufen.

Von Sandra Pfister | 08.07.2016
    "Unsere Klassen werden immer größer, unsere Arbeitsbelastung steigt. Es gibt immer weniger Geld pro Kind. Und dadurch wird es immer unrealistischer, sich diesen Kindern wirklich zuzuwenden und sie ganzheitlich und als Individuen auszubilden."
    "In unserer Schule verlieren wir gerade sechs Mathelehrer und bekommen als Ersatz nur einen. Also steigt die Klassengröße."
    "Ich habe vorher in Deutschland unterrichtet. Die Situation dort ist viel besser. Sie können ihrem Beruf nachgehen, ihnen wird etwas zugetraut. Die Regierung hat uns dafür ausgebildet, warum traut sie uns nicht zu, unseren Job so zu machen, wie wir dafür ausgebildet wurden?"
    Bei den Tausenden von Lehrern, die gestern in Bristol, Sheffield Hunderten anderen Orten auf die Straße gingen, zog sich die Klage über Überlastung durch wie ein roter Faden. Seit Jahren quittieren so viele den Job, dass im Bildungsministerium angeblich schon darüber nachgedacht wird, Lehrer aus dem Ausland anzuwerben. Der oberste Schulinspektor des Landes, Sir Michael Wilshaw, spricht schon lange von einem "Teacher Brain Drain".
    Dabei machen Lehrer vor allem ihn und den ehemaligen Bildungsminister Michael Gove für viele Probleme im Bildungssystem verantwortlich. Die Schul-Kontrollbehörde "Ofsted" bekam 2012 den Auftrag, die Standards in den Schulen zu erhöhen. Seither fürchten sich viele Schulleiter vor nichts mehr als vor den Ofsted-Inspektoren, die regelmäßig gewillt sind, Schulen wegen kleinerer Mängel in Stücke zu reißen. Alle Schulbeurteilungen sind im Internet zugänglich. Hinzu komme die Testeritis, sagt eine Lehrerin aus Devonshire:
    "Ich sehe immer mehr Kinder mit Angststörungen, mit Depressionen, die nicht mehr in die Schule wollen. Sie sind zwischen 11 und 16 Jahre alt. Kein Kind sollte vor der Schule Angst haben."
    Zu große Klassen
    Im Brexit-Wahlkampf spielten die Brexit-Befürworter aber noch ein anderes Schulthema hoch: dass die Klassen deshalb zu groß seien, weil immer mehr Ausländerkinder hineindrängten. Kevin Courtney, Vorsitzender der größten britischen Lehrergewerkschaft National Union of Teachers kontert: Für zu viele Kinder pro Klasse sei ausschließlich der eiserne Sparkurs des britischen Finanzministers George Osborne verantwortlich.
    "Die Klassen werden immer größer. Klassen, in denen jetzt 30 Kinder sitzen, denen wird gesagt, dass sie ab September 35 Kinder haben werden. Die Regierung weigert sich, die Schulbudgets an die Inflation anzupassen. George Osborne und Nicky Morgan frieren die Summe, die sie pro Schüler bezahlen, einfach ein."
    Nicky Morgan, die Bildungsministerin, lässt das nicht auf sich sitzen: "Das Schulbudget ist das höchste, das wir jemals hatten, es ist gestiegen seit 2011/12." Aber auch wenn das Schulbudget als Ganzes steigt: Es hält nicht Schritt mit der wachsenden Zahl der Schüler, die neu eingeschult werden. Das Institute for Fiscal Studies sagt, die Ausgaben pro Schüler würden bis 2020 um acht Prozent sinken. Die Suppe müssen am Ende nicht nur die Schüler, sondern auch die Lehrer auslöffeln.
    "Ich bin seit 14 Jahren Lehrer. Im Moment ist das gerade die schlimmste Zeit, seit ich angefangen habe. Ich bin nicht sicher, wie mein Job in Zukunft aussehen wird. Im Moment haben 21 Prozent aller Lehrer überhaupt keine Ausbildung dafür. Ich musste noch eine sehr harte Ausbildung durchlaufen. Im Moment braucht man dafür in einigen Schulen nicht mal einen Bachelor."