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Grossbritannien nach der Wahl
"Ein Schritt Richtung EU-Austritt"

Er sei vollkommen überrascht vom Wahlausgang in Großbritannien und dem der Prognose nach wahrscheinlichen Sieg der regierenden konservativen Tories, sagte Jeremy Cliffe von der Zeitschrift "The Economist" im DLF. Noch bis 22 Uhr sei man davon ausgegangen, dass die Ergebnisse von Tories und Labour nah beieinander liegen würden.

Jeremy Cliffe im Gespräch mit Peter Kapern | 08.05.2015
    Nationalflagge von Großbritannien
    Nationalflagge von Großbritannien (picture-alliance / dpa / Daniel Kalker)
    "David Cameron ist bestimmt unser nächster Premierminister", sagte Jeremy Cliffe vom Economist über den Sieg der regierenden Konservativen. Es komme vermutlich zu einer kleinen Mehrheit und damit zu einer Koalition mit den Liberaldemokraten, obwohl diese wohl die meisten ihrer Sitze einbüßen werden.
    Nach der zu erwartenden Niederlage der Labour-Partei erwartet Cliffe den Rücktritt des Labour-Parteichefs Ed Miliband. Obwohl Premierminister Cameron immer den Eindruck mache, nicht nah bei den Leuten zu sein, habe er einen Vorteil gegenüber Miliband gehabt. Die Labour-Politik bedeute Steuererhöhungen und habe gerade in den kleinen Städten und Vorstädten wenig Erfolg.
    Tories könnten sich über EU-Frage spalten
    Eine erneute Amtszeit von Cameron bringe Großbritannien weiter Richtung EU-Austritt, sagte Jeremy Cliffe. Er werde das angekündigte Referendum bis 2017 durchführen. Die Tories könnten sich darüber spalten, so Cliffe, denn in der Partei gebe es sowohl EU-Befürworter als auch Gegner.

    Peter Kapern: Ob Großbritannien eine neue Regierung braucht, darüber kann man ja durchaus geteilter Meinung sein. Dass das Land aber neue Meinungsforscher braucht, das steht ja wohl völlig außer Frage. Die hatten nämlich wochenlang ein Kopf-an-Kopf-Rennen bei der gestrigen Unterhauswahl versprochen, ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der Labour-Partei mit ihrem Spitzenkandidaten Ed Miliband auf der einen Seite und den Konservativen und ihrem Premier David Cameron auf der anderen. Was sich dann aber nach der Schließung der Wahllokale zeigte, das war alles andere als ein Kopf-an-Kopf-Rennen.
    In London sind wir jetzt verbunden mit Jeremy Cliffe. Er ist politischer Redakteur beim renommierten Magazin "The Economist". Guten Morgen, Mr. Cliffe!
    Jeremy Cliffe: Schönen guten Morgen.
    Kapern: Hat Sie die Tatsache, dass die Tories so klar vor Labour liegen, überrascht?
    Cliffe: Ja, vollkommen. Wie Sie gerade gesagt haben, dachten wir alle vor 22 Uhr gestern wie vorausgesagt, dass die Tories und Labour sehr, sehr eng sein würden in den Ergebnissen. In der Tat ist David Cameron bestimmt unser nächster Premierminister. Er hat fast eine Mehrheit. Eigentlich wird er vielleicht eine Mehrheit bekommen, obwohl sie wahrscheinlich ziemlich klein sein wird. Und Ed Miliband, der Parteivorsitzende der Labour Party, wird sehr wahrscheinlich heute zurücktreten.
    "Viele Briten trauen der Labour Party immer noch nicht viel Wirtschaftskompetenz zu"
    Kapern: Das ist ja dann doch eigentlich erstaunlich, angesichts der Tatsache, dass David Cameron doch sehr häufig in Downing Street Nr. 10 im Amt des Premierministers eine, nun sagen wir mal, unglückliche Figur abgegeben hat. Wie erklären sie den Erfolg?
    Cliffe: Ja, er hat eine sehr unbeliebte Sparpolitik geführt. Viele Wähler sehen ihn nicht mit den normalen Leuten verbunden. Er versteht nicht das Leben der normalen Leute. Aber laut der Umfragen glauben viele Leute, dass seine Führerschaft für die Wirtschaft gut gewesen ist, dass er sehr vertraulich ist. Und Ed Miliband hatte immer größere Probleme als David Cameron. Viele Briten trauen der Labour Party immer noch nicht viel mit der britischen Wirtschaft zu, seine Politik bedeutet viele Steuererhöhungen. Und meines Erachtens war das größte Problem für Labour, dass sie nicht in mittelständischen englischen Städten und Wahlbezirken sehr viel Erfolg hatte. Wir haben alle sehr schlechte Ergebnisse für Labour in Schottland erwartet, aber das schlechteste für die Partei und unerwartetste war in England, was in kleinen Städten und in den Vorstädten passiert ist. Labour hat einfach nicht genügend konservative und liberaldemokratische Parlamentssitze gewonnen.
    Kapern: Mr. Cliffe, mit was für einer britischen Regierung wird es der Rest Europas denn jetzt zu tun bekommen? Worauf müssen wir uns hier auf dieser Seite des Kanals einstellen?
    Cliffe: Sie meinen das, was mit der Europapolitik zu tun hat?
    "Noch ein paar Schritte Richtung EU-Austritt"
    Kapern: Ja, beispielsweise.
    Cliffe: Schon die Tatsache, dass noch eine Cameron-Regierung sehr wahrscheinlich ist, bedeutet, dass Großbritannien noch ein paar Schritte Richtung EU-Austritt ist. David Cameron hat sich vor ein paar Jahren dafür ausgesprochen, dass er ein Referendum abhalten würde, wenn er wiedergewählt würde. Das wird jetzt bestimmt passieren bis 2017. Und obwohl er vielleicht eine Mehrheit hat oder knapp eine Mehrheit hat, wird es sehr schwer für ihn sein. Es gibt viele in seiner Partei, die gar nicht wollen, dass Großbritannien Mitglied der Europäischen Union sei. Also es ist sehr wahrscheinlich, dass seine Partei sich spalten wird über diese Frage. Sie feiern jetzt im Sitz der Tories, aber lange wird es nicht dauern.
    Kapern: Sagt Jeremy Cliffe, politischer Redakteur beim renommierten Magazin "The Economist". Mr. Cliffe, danke, dass Sie so früh am Morgen Londoner Zeit nach einer so langen Wahlnacht schon für uns und unsere Hörer Zeit hatten. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag nach London.
    Cliffe: Guten Tag noch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.