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Großbritannien
UKIP könnte ersten Sitz im Unterhaus bekommen

Der Unterhaus-Abgeordnete Douglas Carswell ist von den Konservativen zu den Rechtspopulisten der UKIP gewechselt. Er legte dabei sein Mandat nieder und erzwang so Nachwahlen im Wahlkreis Clacton. Seine Chancen bei der Abstimmung heute sind gut, denn viele Bürger mögen ihn. Für einige ist er aber auch ein Verräter.

Von Jochen Spengler | 09.10.2014
    Douglas Carswell könnte der erste UKIP-Abgeordnete im Unterhaus werden.
    Douglas Carswell könnte der erste UKIP-Abgeordnete im Unterhaus werden. (AFP / Justin Tallis)
    Douglas Carswell ist nicht der erste Konservative, der zu UKIP wechselt, aber er dürfte ihr erster Parlamentarier im Unterhaus werden, prognostiziert der Politikwissenschaftler Matthew Goodwin:
    "Clacton ist die günstigste Region für UKIP im gesamten Land. Eine vergessene Küstenstadt mit einer Menge älterer, weißer Wähler und nur vier Prozent Ausländern, klassisches vernachlässigtes Territorium für UKIP. Douglas Carswell hat dort als Konservativer über 50 Prozent der Stimmen geholt. Er wird überhaupt nicht darum kämpfen müssen, unter der UKIP Flagge zu gewinnen."
    Der Badeort ist 90 Bahnminuten von London entfernt. Gleich gegenüber vom Bahnhof hat Douglas Carswell sein Wahlbüro. Sein Gesicht lacht einem dutzendfach von der Fensterfront entgegen, und er selbst steht leibhaftig davor und spricht mit Wählern und Journalisten.
    "Ich tue heute das, was ich seit einem Jahrzehnt tue. Ausnahmslos jede Woche klopfe ich an Türen, trinke eine Menge Tee und gewinne Freunde. Ich musste nicht erst in den Wahlkampfmodus schalten, weil ich das an jedem normalen Samstag mache."
    Viele Autofahrer hupen zustimmend, wenn sie den 1,90 Meter Mann entdecken, einige äußern Missfallen. In seinem Wahlbüro geht es zu wie im Taubenschlag. Aus ganz England kommen UKIP-Sympathisanten, um zu helfen beim Werben und Flugblattverteilen.
    "Diese Leute reden wie ich. Dadurch bin ich so motiviert worden. Ich kann gar nicht glauben, dass ich in eine Partei eingetreten bin, und ich bin heute 50 Meilen gefahren",
    erzählt David aus Stansted. Weiße Haare, ein rotes Tweedjackett, früher war er Pilot für KLM, jetzt ist Rentner.
    "Es ist egal, welche Partei in Westminster regiert, alle folgen derselben Tagesordnung. Ich habe für den Gemeinsamen Markt 1975 gestimmt, aber nicht für politische Integration. Ich möchte, dass die Regierung, die ich in London wähle, dieses Land kontrolliert."
    "Er ist ein politisches Genie"
    Chris ist Mitte 40 und aus London angereist:
    "Ich glaube ihm einfach, dass die Leute an der Spitze der Tories nicht vertrauenswürdig sind und er deswegen für UKIP antritt."
    Reporter: "And what's your main reason to engage for UKIP?"
    Chris: "Douglas Carswell ist mein Hauptgrund, ich bin sein Fan und er ist ein politisches Genie."
    Das Genie überzeugt gerade Sarah, die bislang immer Labour gewählt hat. Er sei ein netter Mann, und sie glaube, dass er etwas verändern werde.
    Clactons Glanzzeit als Badeort ist lange vorbei. Heute finden sich auf der Hauptstraße vor allem Nagel- und Tattoo-Studios, Immobilienmakler und Wettbüros. Vor einem zieht Leith hektisch an der Zigarette. Er ist Mitte 50, seit Jahren arbeitslos und auch er wird aus Frust jene Partei wählen, deren Name er gar nicht genau weiß:
    "I probably vote for UKI, was it UKI? UKIP! That's it. Give someone else a chance."
    "Ich finde sein Verhalten schrecklich"
    Auffällig viele Rentner bevölkern die keineswegs trostlose, sondern freundliche Kleinstadt. Manche sind aus Londons Multikulti-Bezirken hierher geflohen, wo sie sich einen preiswerten Bungalow leisten können und ihren Lebensabend verbringen - in einer Art englisch-nostalgischer Enklave fern der furchteinflößenden Metropole mit ihren vielen Ausländern. Die haben Sid gestört, aber der 75-Jährige ist dennoch kein Freund von Douglas Carswell.
    "Ich finde sein Verhalten schrecklich. Ein Verräter, der seine Wähler im Stich gelassen hat und sie nun auf den Holzweg führt."
    Auch Sheila auf ihrem Elektromobil bleibt den Tories treu und sagt:
    "Douglas Carswell als Person ist ein netter Mann. Aber ich nehme es ihm ein bisschen übel, dass er zu UKIP gegangen ist und die Seiten gewechselt hat, weil er wohl glaubte, UKIP werde gewinnen."
    Das verhindern soll Giles Watling, ein lokaler Ratsherr der Konservativen, der bis Ende August noch eng mit Douglas Carswell zusammen gearbeitet hat.
    "Es war ein großer Schock und ich finde mich selbst im Auge des Sturms,"
    erzählt der 61-jährige Ex-Schauspieler beim Flugblattverteilen.
    "Wir sind ohne Zweifel die Underdogs in diesem Rennen, aber wir schaffen es. Ich habe eine sehr gute Chance zu gewinnen."
    Doch das glauben nicht einmal die eigenen Parteifreunde in London. Bürgermeister Boris Johnson etwa lobt im Radio den "fantastischen Kandidaten" in Clacton, kann sich aber nicht mehr an seinen Namen erinnern:
    "We got a fantastic guide called... Sterling, Gerling....come on tell me the name of this Guy. Giles Watling. Something to do with ling, anyway, Giles Watling."