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Großbritannien und der Brexit
Schafft das "House of Lords" ab!

Der Riss, ob und wie Großbritannien die EU verlassen soll, geht mitten durch die konservative Regierungspartei. Die größte Oppositionspartei Labour hat auch keinen klaren Kurs. Und jetzt nimmt auch noch der Streit um das Oberhaus an Fahrt auf.

Von Friedbert Meurer | 20.06.2018
    Ein Blick in das britische Oberhaus in London.
    Ausgerechnet von sehr konservativer Seite wird die Abschaffung der Lords ins Spiel gebracht. Und ausgerechnet liberale Kreise verteidigen die Lords, die ihnen einst als verzopft und antiquiert galten. (AFP / Kirsty Wigglesworth)
    Vorgestern Nachmittag im britischen Unterhaus: Paul Scully, ein konservativer Abgeordneter und Brexit-Befürworter, verliest eine Petition. Sie lautet: das "House of Lords" möge bitte abgeschafft werden. Scully fordert eine Volksabstimmung darüber. Das Oberhaus sei "ein Ort der Vetternwirtschaft, wo nicht gewählte Personen über zu viel Einfluss und Macht verfügen. Sie wollen den Willen der gewählten Volksvertreter hintertreiben."
    169.000 Briten haben die Petition bisher unterschrieben. Seit Wochen müssen sich die Mitglieder des britischen Oberhauses eine wahre Suada an Vorwürfen anhören. Sie wollten den Brexit hintertreiben und stellten sich über das Volk, obwohl niemand sie gewählt habe. Täglich ist das in den Zeitungen zu lesen oder in der Radio Talkshow von Nigel Farage zu hören.
    "Was wollen die Anführer im House of Lords? Jetzt geht es darum, das Oberhaus abzuschaffen und durch einen gewählten Senat zu ersetzen."
    "Verfahrenstricks" einer "privilegierten Elite"
    Auch der Antrag heute im Unterhaus geht auf die Lords zurück. Eine große Mehrheit forderte letzte Woche, dass das britische Parlament beim Brexit das letzte Wort haben soll, bevor Großbritannien am 29. März 2019 die EU verlässt. Der frühere UKIP-Chef Farage macht keinen Hehl daraus, dass er das widerspenstige Oberhaus abschaffen will. Seine Hörer stimmen ihm zu.
    "Die Lords machen Leute wie mich sehr wütend. Sie wirken wie eine sehr privilegierte Elite, die uns mit ihren Verfahrenstricks bevormunden will."
    Ausgerechnet von sehr konservativer Seite wird jetzt die Abschaffung der Lords ins Spiel gebracht und ausgerechnet liberale Kreise verteidigen jetzt die Lords, die einst doch als verzopft und antiquiert galten.
    Der Kernkonflikt ist ein anderer
    Im Kern aber geht es nicht um das "House of Lords". Sie können in Endeffekt vom Unterhaus überstimmt werden. Es geht um den Machtkampf zwischen Parlament und Regierung überhaupt. Dominic Grieve war Generalstaatsanwalt der konservativen Regierung und ist jetzt Wortführer der EU-freundlichen Rebellen im eigenen Lager.
    "Um das klar zu stellen: Unser Antrag würde die Regierung nicht zu etwas zwingen. Aber das Unterhaus kann am Ende seine Meinung über den Vertrag mit der EU deutlich machen, ohne damit gleich ein Misstrauensvotum gegen die Regierung auszulösen. Die Regierung soll dann ihre nächsten Schritte sehr sorgfältig prüfen."
    Der Dauerstreit dreht sich um folgendes Szenario: Die Regierung May kehrt im Herbst, wenige Monate vor dem Brexit-Termin, mit keinem oder mit einem schlechten Ergebnis aus Brüssel zurück. Theresa May will dem Parlament dann zwar ein Votum einräumen. Aber wenn das Unterhaus "nein" sagt, würde Großbritannien eben ohne Deal die EU verlassen. Das halten viele aber erst recht für eine Katastrophe.
    Möglicherweise wird heute noch in letzter Minute eine Kompromissformel gefunden. Wie vergiftet die Diskussion aber ist, zeigte der Auftritt von Lord Andrew Robathan am Montag im Oberhaus. Der Brexiteer warf den Kritikern vor, in Wahrheit den Brexit "zerstören" zu wollen. Ganz leicht im Hintergrund war eine Replik zu hören. Sie lautete: "Sie sind einfach nur ein Idiot!"