Freitag, 19. April 2024

Archiv

Großbritannien und die EU
Brexit-Gegner wollen ein zweites Referendum

Londons Bürgermeister Sadiq Khan hat ein weiteres Referendum über den Austritt Großbritanniens aus der EU gefordert. Dafür gebe aber keine Mehrheit, sagt Dlf-Korrespondent Friedbert Meurer. Sollte sich das ändern, müsste Fristverlängerung beantragt werden, denn die Briten wollen bald schon raus aus der EU.

Friedbert Meurer im Gespräch mit Frederik Rother | 18.09.2018
    Sadiq Khan, Bürgermeister von London
    Sadiq Khan, Bürgermeister von London, ist ein Brexit-Gegner (Thomas Padilla, dpa/picture alliance )
    Frederik Rother: Sadiq Khan, Londons Bürgermeister, fordert ein zweites Referendum in Großbritannien, in dem über die Brexit-Verhandlungsergebnisse abgestimmt werden soll, einschließlich der Option, in der EU zu bleiben. Diese Äußerungen haben für einiges Aufsehen gesorgt. Zum einen, weil Khan in die verfahrenen Brexit-Diskussionen einsteigt – erst heute hat der zuständige britische Minister, Dominic Raab, mehr Entgegenkommen der EU gefordert. Zum anderen hat sich mit Sadiq Khan aber auch ein mächtiger Labour-Politiker nach vorne gewagt, der für seine Pro-EU-Position bekannt ist. Das entspricht nicht der offiziellen Linie der eigenen Partei, und das wird beim Labour-Parteitag am Wochenende wohl für Diskussionen sorgen.
    Friedbert Meurer in London, warum kommt Sadiq Khan gerade jetzt mit dem Vorschlag?
    Friedbert Meurer: Also, ich denke, das hat mit diesem Parteitag zu tun, der jetzt am Sonntag in Liverpool beginnt. Sadiq Khan wird sich offenbar gefragt haben, wenn nicht jetzt, wann dann. Jetzt muss ich diesen Vorschlag unterbreiten. Es hat schon einige Stimmen in der Partei gegeben, der allerletzte wollte er auch nicht sein. Und dann hat er wohl auch auf die Umfragen geschaut. Bislang war es so, dass hier in Großbritannien eigentlich ein zweites Referendum von einer großen Mehrheit, von 60 Prozent der Briten, abgelehnt wurde. Auch viele Remainer haben gesagt, das ist jetzt entschieden, lass es uns durchziehen, dann haben wir es geschafft. Jetzt sieht man aber, wie schwierig das alles geworden ist, deswegen sind es jetzt die Remainer vor allen Dingen, die ein zweites Votum haben wollen. Und da steht es jetzt fifty fifty in der Bevölkerung. Also eine Mehrheit für ein zweites Referendum gibt es immer noch nicht.
    Rother: Das heißt, die Umfrageergebnisse bewegen sich, wie stehen denn ganz allgemein gesagt die Chancen für ein zweites Referendum?
    Meurer: Ich glaube, man muss sie realistisch einschätzen, dass es im Moment nicht so aussieht, dass es zu einem zweiten Referendum kommt. Wir haben nicht mehr allzu viel Zeit, am 29. März wollen die Briten die EU verlassen. Es gibt die theoretische Möglichkeit, dass die Briten da sozusagen Fristverlängerung beantragen können. Vor allen Dingen muss man zweitens eines sich auch vor Augen halten, wenn der Vorschlag eines Referendums kommt, dann muss er von der Regierung kommen, dann muss er von den Konservativen kommen, die haben die Mehrheit im Unterhaus. Und da ist überhaupt nichts zu sehen, ganz im Gegenteil. Theresa May ist eisern gegen ein zweites Referendum, die Brexiteers sowieso, das ist also ein Non-Thema bei den Konservativen, hängt alles bei Labour. Labour aber will Neuwahlen statt eines Referendums, könnte aber vielleicht bei Neuwahlen dann sagen, wir haben als eine Forderung dieses zweite Referendum. Also viele Wenns, es sieht im Moment nicht unbedingt danach aus.
    "Jeremy Corbyn hat immer mehr an Boden gewonnen"
    Rother: Sie haben Labour jetzt erwähnt, Sadiq Khan ist Labour-Politiker, wie kommt denn sein Vorstoß in der Partei an?
    Meurer: Ich glaube, gar nicht mal so schlecht. Es wird die Frage sein, ob Corbyn diese Linie halten kann, sozusagen die Diskussion auch ein wenig tottreten zu wollen. Eigentlich will er am liebsten gar nicht über Brexit reden, sondern er will über seine Themen beim Parteitag reden, also soziale Gerechtigkeit, Gesundheitswesen, Bau von Häusern und Wohnungen, günstigen Wohnungen, das sind seine Themen. Es könnte aber, und es wird bestimmt so sein, dass auf dem Parteitag da geredet wird. Denn die Bewegung Momentum kommt hier auch ins Spiel, die den Aufstieg Corbyns ja begleitet hat, viele junge Leute. Und diese jungen, linken Leute sind durchaus pro EU, anders als ihr Gottvater Jeremy Corbyn, und auch Momentum macht da ein bisschen Druck auf Jeremy Corbyn, sich zu bewegen.
    Rother: Hat die Diskussion um den richtigen Brexit das Potenzial, die Partei zu spalten?
    Meurer: Die Partei ist schon gespalten. Es ist hier die Rede davon, dass es eine Neugründung geben soll, dass die Zentristen die Partei verlassen sollen. Jeremy Corbyn hat immer mehr an Boden gewonnen innerhalb der Partei. Es hat ja den Versuch gegeben, ihn zu stürzen, der ist misslungen. er sitzt fester im Sattel denn je. Jetzt kommt diese Brexit-Geschichte noch dazu, ein wenig kann man schon erkennen, dass es ein wenig danach aussieht, die alte Frontstellung, die Zentristen, zu denen Sadiq Khan gehört, möchten das zweite Referendum, möchten am liebsten den Brexit wieder rückgängig machen, Corbyn nicht. Aber wie gesagt, da gibt es schon einen neuen Frontverlauf mit Momentum. Man wird schauen, wie sich die Brexit-Diskussion auf die innerparteiliche Machtbalance auswirken wird.