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Großbritannien und die EU
Merkel und Cameron ziehen an einem Strang

Auch wenn es nicht immer den Anschein haben mag, wenn es um die Reform der EU geht, dann sind der britische Premierminister David Cameron und Bundeskanzlerin Angela Merkel durchaus einer Meinung. Auch Merkel ist nicht daran gelegen, immer mehr Macht an Brüssel abzugeben.

Von Stephan Detjen | 18.02.2016
    Der britische Premierminister David Cameron und Bundeskanzlerin Merkel im Rathaus in Hamburg beim alljährlichen Matthiae-Mahl.
    David Cameron und Angela Merkel ziehen manchmal an einem Strang. (picture alliance / dpa / Lukas Schulze)
    Angela Merkel hat den Abgeordneten eine gute Nachricht mitgebracht. Fast zehn Minuten spricht die Kanzlerin zu Beginn ihrer Regierungserklärung gestern zunächst einmal über das Thema, das auch in Berlin bis zuletzt ganz im Schatten der Flüchtlingsdiskussionen liegt: die künftige Rolle Großbritanniens in der EU. Tatsächlich geht es um viel mehr. Es geht auch um die Mechanik der Macht im europäischen Verfassungsgefüge. Wird jetzt in Brüssel der Deal besiegelt, der den skeptischen Briten den Verbleib in der EU schmackhaft machen soll, gehöre am Ende auch der Deutsche Bundestag zu den Gewinnern, verspricht die Kanzlerin: "In den anstehenden Verhandlungen mit Großbritannien geht es nun darum, die die Einbindung der nationalen Parlamente auch auf europäischer Ebene weiter zu verbessern. "
    Wenn die Parlamente von mehr als der Hälfte der Mitgliedsstaaten das beschließen, sollen Gesetzgebungsinitiativen der EU-Kommission künftig gestoppt werden. Das sieht der Vorschlag vor, den Ratspräsident Tusk mit dem britischen Premierminister Cameron für diesen Gipfel ausgearbeitet hat. Aus britischer Sicht geht es vor allem darum, den rechtlichen Schutzwall vor befürchteten Übergriffen der machthungrigen Europäer aus Brüssel zu erhöhen. "
    "In Großbritannien, wie Sie wissen, leben wir auf einer Insel und deshalb ist die Geschichte ganz anders als auf dem Festland Europas", warb am vergangenen Sonntag der britische Botschafter in Berlin, Sebastian Wood, im Deutschlandfunk um Verständnis für die Sonderrolle seines Landes. Das Ziel einer "ever closer Union", eines immer enger zusammenwachsenden Europas, müsse nicht alle Mitgliedsstaaten zu einer weiteren politischen Integration verpflichten, heißt es in dem Tusk-Cameron Papier. Pro-europäische Traditionalisten sehen darin einen Verrat an dem Gründungsideal, das die Gemeinschaft seit den 50er-Jahren vorangetrieben hat. Doch auch Angela Merkel hat sich seit langem einen Rückbau der Brüsseler Zentralmacht auf die Fahnen geschrieben.
    Gemeinsame Interessen bei der inneren Reform der EU
    "Wir können auch überlegen: Geben wir mal wieder was zurück? Die Niederländer diskutieren im Augenblick gerade darüber. Und diese Diskussion werden wir nach der Bundestagswahl auch führen." Diese Ankündigung Merkels in einer Deutschlandfunk-Sendung vor der letzten Bundestagswahl wurde in London damals hellhörig registriert. "Die Kanzlerin steht auf unserer Seite", interpretierte man in Downing Street 10. Merkel intensivierte seitdem den Gesprächsdraht zum britischen Premier - nicht zuletzt in dem Maße, in dem Frankreich in Berlin immer mehr als unzuverlässige Größe wahrgenommen wurde. Auch als es um die Wahl von Jean-Claude Juncker zum Kommissionspräsidenten ging, teilten Merkel und Cameron die Vorbehalte gegen den klassischen Europäer aus Luxemburg.
    Die neuen europapolitischen Interessen Camerons und Merkels treffen sich spätestens, wenn es darum geht, den Rat – das Entscheidungsgremium der Staats- und Regierungschefs in Brüssel – gegen Kommission und Parlament zu stärken. "Und zweitens sollte man nicht übersehen, dass auch der Europäische Rat ein Teil der Europäischen Union ist. Er ist ein Organ der Europäischen Union. Die Mitgliedsstaaten sind konstitutive Teile der Europäischen Union und nicht ihre Kontrahenten", erklärte Merkel bereits 2010 vor Studenten des Europakollegs in Brügge in einer ihrer seltenen Grundsatzreden zur Verfassungsstruktur der EU. Stimmen die Staats- und Regierungschefs jetzt den britischen Reformforderungen mit der Stärkung der nationalen Parlamente zu, würde auf europäischer Ebene zugleich auch der Rat einmal mehr als Steuerungsorgan der EU gestärkt. Merkel käme das gelegen. Ganz anders als in der Flüchtlingspolitik wird sie daher mit Cameron an einem Strang ziehen, wenn es um die inneren Reformen der EU geht.