Mittwoch, 24. April 2024

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Zukunft der Großen Koalition
"Walter-Borjans und Esken müssen sich entscheiden"

Klimaschutz sowie Digitalisierung und Effizienzsteigerung der Verwaltung sieht der JU-Vorsitzende Tilman Kuban als die wichtigsten Aufgaben der GroKo in diesem Jahr. Zur Fortsetzung der Zusammenarbeit müsste die neue SPD-Spitze aber zum Aufbau von Vertrauen beitragen, sagte Kuban im Dlf.

Tilman Kuban im Gespräch mit Sandra Schulz | 02.01.2020
Tilman Kuban, Bundesvorsitzender der Jungen Union (JU) spricht bei einer CDU-Wahlkampfveranstaltung zur Europawahl
Für die Zukunft der GroKo sieht der JU-Chef Tilman Kuban vor allem das neue SPD-Führungsduo in der Pflicht (dpa/Christophe Gateau)
Tilman Kuban verteidigte den Vorstoß von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer für ein umfassenderes Bundeswehrmandat in Mali und der Südsahara. Deutschland könne sich international nicht andauernd wegducken, beispielsweise im Bezug auf militärisches Engagement, dann aber gleichzeitig einen Platz im UN-Sicherheitsrat einfordern. Zudem gehe es in Mali auch darum, Sicherheit und Bleibeperspektiven für die Menschen zu schaffen, um Flüchtlingsströme schon weit vor den europäischen Grenzen aufzuhalten.
Kuban forderte vom Koalitionspartner SPD eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Vorschlägen von Kramp-Karrenbauer und nahm die neue SPD-Spitze in die Pflicht: "Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken müssen sich jetzt entscheiden, ob sie Vertrauen aufbauen wollen, oder ob sie nur einen Grund suchen, diese Koalition zu verlassen." Als große Herausforderungen für die Koalition im Jahr 2020 nannte Kuban die Umsetzung des Klimapakets, die Herausforderungen der Verwaltung angesichts des demografischen Wandels, sowie die Digitalisierung und Effizienzsteigerung staatlicher Behörden.
Gegen Verbotsagenda beim Klimaschutz
In Sachen Klimaschutz unterstrich Kuban, dass er und die Junge Union gegen Maßnahmen zu Lasten von Wirtschaft und Wohlstand sind: "Wir wollen eine Innovationsagenda und keine Verbotsagenda", sagte der JU-Vorsitzende. Deutschland alleine werde das Klima nicht retten können. Dies sei nur möglich, wenn es gelinge, die großen Emmitenten USA und China für den Klimaschutz zu begeistern. Dies werde aber nicht gelingen, wenn diese Länder sähen, dass mit Klimaschutz große Wirtschafts- und Wohlstandseinbußen einhergingen.

Das Interview in voller Länge:
Sandra Schulz: Turbulent ist es zum Jahresende zugegangen auf den Parteitagen von CDU und SPD. Die Sozialdemokraten haben eine neue Parteiführung, und die bei den Christdemokraten hält sich Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer zwar, spielt auf dem Parteitag aber einen wertvollen Trumpf aus, eine Vertrauensfrage. Kramp-Karrenbauer steht weiter unter Profilierungsdruck, umso mehr angesichts sinkender Beliebtheitswerte. Den jüngsten Profilierungsversuch hat sie jetzt zwischen den Jahren gestartet mit ihrem Vorschlag für ein umfassenderes Bundeswehrmandat in der Südsahara. Widerspruch kam schnell von der SPD-Parteichefin Esken. Wenn jetzt nach den Parteitagen auch wieder es wahrscheinlicher erscheint, dass Union und SPD doch in der Berliner Koalition weitermachen, da stellt sich doch die Frage, wie. Darüber können wir in den folgenden Minuten sprechen. Am Telefon ist Tilman Kuban, Vorsitzender der Jungen Union und Mitglied im CDU-Parteivorstand. Schönen guten Morgen!
Tilman Kuban: Guten Morgen, Frau Schulz, und ein gutes neues Jahr!
Schulz: Danke, Ihnen auch! Den Gang der Debatte um das Afrikaengagement, den wir jetzt gesehen haben zwischen den Jahren, der kam vielen ja bekannt vor aus der Syriendebatte, die Annegret Kramp-Karrenbauer im Herbst angestoßen hat für eine internationale Schutzzone dort. Es gab da Irritationen beim Koalitionspartner wegen mangelnder Abstimmung, und genau dieses Muster sehen wir jetzt auch wieder. Bleibt das 2020 der Arbeitsmodus der schwarz-roten Koalition?
Kuban: Also erst einmal muss man inhaltlich sagen, Frankreich ist einer unserer wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen die Terroristen in Afrika, und Frankreich stellt beispielsweise in Mali 4.000 Soldaten, während wir ungefähr 1.000 Soldaten dort stellen. Man muss schon sagen, wir können uns nicht jedes Mal wegducken, aber auf der anderen Seite dann einen Platz im UN-Sicherheitsrat einfordern. Wir wissen seit 2015, dass die Flüchtlingsströme nicht an der europäischen Außengrenze Halt machen, und dabei ist Mali eines der wesentlichen Transitländer für viele Flüchtlinge. Wenn wir eine Bleibeperspektive schaffen wollen, dann muss man dort auch für Sicherheit sorgen und kann diesen Ländern nicht den Islamischen Staat überlassen. Deswegen halte ich den Vorstoß von Annegret Kramp-Karrenbauer in dieser Frage inhaltlich für richtig.
SPD-Spitze muss sich entscheiden
Schulz: Ja, aber es ging ja jetzt bei meiner Frage auch um das Wie. Die Argumente kennen die Sozialdemokraten natürlich auch, aber wir haben jetzt wieder das Muster gesehen, dass es keine ausreichende Abstimmung gab beim Syrienvorstoß. Da hatte Annegret Kramp-Karrenbauer Außenminister Maas, wenn ich mich recht erinnere, mit einer SMS informiert, und jetzt kommt wieder genau die gleiche Kritik. Wie kommen Sie und die SPD da kommunikativ zusammen?
Kuban: Es muss in einer Koalition immer möglich sein, dass es, wenn es neue Entwicklungen gibt, dass man über diese neuen Entwicklungen auch spricht, und da kann man nicht alles sofort abblocken, sondern dann muss man, aus meiner Sicht, auch sagen, dann machen wir andere Vorschläge. Ich habe beispielsweise vom deutschen Außenminister in den letzten zwei Jahren keine wahrnehmbaren politischen Vorstöße erlebt. Von daher sollte man sich eher mal über die Inhalte unterhalten. Wenn eine Verteidigungsministerin in Fragen der Verteidigung – es sind ja nicht völlig abwegige Themen – inhaltliche Vorschläge macht, dann ist es doch Aufgabe in so einer Koalition, darüber zu sprechen, aber Sie haben recht, am Ende lebt eine Koalition von Vertrauen zwischen den handelnden Personen, und Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken müssen sich jetzt entscheiden, ob sie dieses Vertrauen aufbauen wollen oder ob sie nur einen Grund suchen, diese Koalition zu verlassen, aber dann sollen sie doch einfach auch ehrlich sagen.
Schulz: Wenn wir jetzt davon ausgehen, dass die SPD in der Koalition bleibt, was sind die wichtigsten Projekte jetzt aus Ihrer Sicht, aus Sicht des JU-Vorsitzenden, für 2020? Was muss da ganz dringend gestemmt werden?
Kuban: Es gibt viele große Herausforderungen, die vor uns liegen, beispielsweise die Umsetzung des Klimapakets, aber auch die Frage, wie gehen wir eigentlich mit unserem Staat in den nächsten Jahren um. Wenn wir wissen, dass in den nächsten zehn Jahren fast 30 Prozent der Verwaltungsmitarbeiter in den Ruhestand gehen, dann ist es jetzt die Aufgabe und die große Chance zu sagen, wir starten eine Digitalisierungsoffensive für unsere Verwaltung. Wir wollen Maßnahmen ergreifen, um diesen Staat schnell und effizienter zu machen. Wir wollen vielleicht auch darüber reden, dass wir das Planungsrecht oder Gerichtsverfahren schneller machen in Deutschland. Das sind alles große Projekte, die jetzt angeschoben werden müssen und wo wir nicht erst noch wieder zwei Jahre ins Land gehen lassen dürfen.
Schulz: Machen Sie das für uns konkreter. Welches Gesetzesvorhaben, welches Projekt – das, was Sie jetzt schildern, Effizienzsteigerung beim Staat, das ist ja einigermaßen schwammig –, welche gesetzliche Regel muss Schwarz-Rot da jetzt stemmen 2020?
Kuban: Wir haben beispielsweise, wenn wir das letzte Thema nehmen, Planungs- und Beschleunigungsgesetz, etwas auf den Weg gebracht, wo es darum geht, dass wir die Verfahren in Deutschland beschleunigen, eine Stichtagsregelung für eine verbindliche Feststellung von Tatsachen, vielleicht mit dem Bereich der Umweltverträglichkeitsprüfung wäre etwas oder aber auch Verwaltungsgerichtsverfahren bei Großprojekten auf eine Instanz zu beschränken – das wären sehr konkrete Punkte –, aber auch die Frage des Verbandsklagerechts, dieses einzuschränken, damit wir in Deutschland wieder schneller werden, damit in Deutschland auch Großprojekte zum Ende geführt werden. Das sind sehr konkrete Punkte, wo sich auch die Koalition schon in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart hat.
Schulz: Okay, jetzt habe ich in Ihrer Aufzählung eben das Thema Digitalisierung nicht gehört. Wir haben jetzt über die Feiertage, da hat der eine oder andere die Funklöcher, die wir in Deutschland haben, vielleicht auch mal als Auszeit genossen, aber die sind und bleiben natürlich ein Ärgernis. Wir wissen, dass die Anbieter auch noch nicht verpflichtet sind zu einer 100-prozentigen Abdeckung. Macht die Koalition da Schluss mit der Zukunft, bevor die überhaupt angefangen hat?
Kuban: Wir reden in Deutschland momentan alle sehr viel und sehr gerne über das Thema 5G, aber mancher im ländlichen Raum wäre froh, wenn er überhaupt mal durchgehend vielleicht 3G oder 4G hätte. Da ist Deutschland europaweit nur im hinteren Mittelfeld. Wir haben circa zwei Drittel der LTE-Versorgung in ganz Deutschland flächendeckend. Das kann uns überhaupt nicht zufriedenstellen. Deswegen hat die Bundesregierung ja auch gesagt, wir wollen bis Ende 2020 eine flächendeckende Abdeckung mit 4G und ab 2025 eine flächendeckende Abdeckung mit 5G. Dafür diskutieren wir ja momentan auch fleißig und aus meiner Sicht auch in die falsche Richtung an der einen oder anderen Stelle, dass wir uns nur auf ein großes Unternehmen aus China konzentrieren, anstatt dass wir da vielleicht auch mal wirklich darüber sprechen, wie wir in Deutschland diesen Ausbau schaffen.
"Politik für Zusammenhalt sorgen und darf eine Gesellschaft nicht spalten"
Schulz: Das ist die Diskussion um Huawei, aber wenn Sie sagen, die Anbieter seien auf eine flächendeckende Abdeckung verpflichtet, dann verschweigt das ja, dass laut Verträgen 98 oder 99 Prozent geschuldet sind, oder 99 Prozent sind jetzt angepeilt. Das heißt, übersetzt aber ja, dass, wenn wir von 80 Millionen Bundesbürgern ausgehen, dass immer noch anderthalb Millionen dann ohne Versorgung sind. Da hätte man ja zu Zeiten des Postboten auch nicht gesagt, ach, anderthalb Millionen Leute können halt keine Post bekommen, egal. Also das verstehen Sie unter flächendeckend?
Kuban: Flächendeckend 5G hieße 2025, dass wir in allen Bereichen 5G haben, aber dass wir trotzdem im letzten Prozent auch darüber sprechen wollen, dass da natürlich dann mindestens 4G vorhanden ist.
Schulz: Okay. Wenn wir rübergehen zum anderen wichtigen Thema 2020 absehbar – Sie haben es gerade auch schon angesprochen –, das ist der Klimaschutz. Da hat Angela Merkel jetzt in ihrer Neujahrsansprache die Polarisierung in unserem Land skizziert. Sie hat gesagt, den einen gehe es nicht schnell genug und die anderen hätten Angst, dass sie überfordert werden, weil mit dem Klimaschutz auch neue Belastungen auf die Bürger zukommen. In welchem Lager ist da die Junge Union?
Kuban: Am Ende muss Politik für Zusammenhalt sorgen und darf eine Gesellschaft nicht spalten. Deswegen fand ich die Aussage, die Angela Merkel dort getätigt hat, absolut richtig und gut und habe mich sehr darüber gefreut, dass sie auch diesen Zusammenhalt in diesem Land stärken will, und das werden wir auch mit ihr gemeinsam tun.
Schulz: Ja, aber Sie hat ja angekündigt oder angedeutet oder skizziert, dass es diese Spaltung längst gibt. Deswegen noch mal die Frage, in welchem Lager ist da die Junge Union?
Kuban: Wir werden nicht diejenigen sein, die diese Spaltung vorantreiben, sondern wir wollen diejenigen, die vielleicht gerade im ländlichen Raum leben und sagen, wir fühlen uns so ein bisschen als die Verlierer, weil wir nur die Lastenträger sind, und diejenigen, die vielleicht eher in größeren Städten leben und sagen, hier könnte es doch auch ein bisschen schneller gehen, diejenigen zusammenzubringen und zu sagen, Stadt und Land müssen Hand in Hand arbeiten, und wir wollen nicht eine Spaltung dieser Gesellschaft herbeiführen. Da stehen wir voll an der Seite der Bundeskanzlerin. Deswegen lasse ich mich da auch nicht in irgendein Lager schlagen. Aber nehmen Sie doch beispielsweise mal den neuesten Punkt: Ab gestern dürfen wir in Deutschland günstiger Bahn fahren, und das ist doch ein großer Erfolg. Ich bin überzeugter Bahnfahrer, auch viel in Deutschland unterwegs, und darüber dürfen wir uns vielleicht in Deutschland auch mal freuen, als immer nur zu meckern, vielleicht auch mal sagen, ist doch ein guter Schritt, dass wir ab jetzt dann vielleicht mehr Leute auf die Strecke bekommen, die sich nicht mehr in ihr eigenes Auto setzen, sondern sagen, ich kann auch den ICE nehmen.
Innovationen statt Verbote beim Klimaschutz
Schulz: Ja, das war Teil des Klimapakets und ist jetzt, wie gesagt, seit gestern in Kraft. Aber lassen Sie uns noch mal genauer die Positionierung der Jungen Union verstehen. Wenn wir wissen, Fridays for Future, eine Organisation bringt viele junge Leute auf die Straße, die JU ist da aber absehbar nicht dabei?
Kuban: Wir diskutieren mit Fridays for Future, manchmal auch sehr kontrovers, weil ich persönlich und die Junge Union sind auf der Linie, zu sagen, wir wollen, dass es in Deutschland eine Innovationsagenda und keine Verbotsagenda gibt. Wir wollen klarmachen, dass für uns wir hier in Deutschland auch in Zukunft Innovationsweltmeister bleiben wollen, weil wir am Ende für 2,2 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich sind. Die größten Emittenten sind allerdings China mit 28 Prozent und USA mit 16 Prozent. Genau da müssen wir doch ansetzen. Wir werden das Klima alleine nicht in Deutschland retten, sondern wir werden es nur retten, wenn wir die anderen großen Emittenten auch dafür begeistern können, zu sagen, ihr müsst auch Klimaschutz machen. Das werden sie am Ende nicht tun, wenn sie sehen, dass in Deutschland große Wirtschaftskrafteinbußen und große Wohlstandseinbußen für die Gesellschaft damit einhergehen. Ich glaube das einfach nicht, dass die Chinesen und Amerikaner sagen, das ist ja dann ein Supermodell, das kopieren wir einfach mal, sondern sie werden es nur tun, wenn wir am Ende auch damit erfolgreich sind, auch wirtschaftlich erfolgreich sind, als Gesellschaft erfolgreich sind und hier in Deutschland gut leben. Deswegen wollen wir eine Innovationsagenda und keine Verbotsagenda.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.