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Große Depression
Kein Vergleich zur heutigen Wirtschaftskrise

Gerne werden aktuelle Wirtschaftskrisen mit ihr gleichgesetzt: die Große Depression von 1929 bis 1939 mit ihren furchtbaren Folgen für die Weltgeschichte. Doch das solche Vergleiche hinken, veranschaulichen Jan-Otmar Hesse, Roman Köster, Werner Plumpe in ihrem Buch.

Von Michael Braun | 26.01.2015
    Die Verführung ist groß, historische, also abgeschlossene Krisen und aktuelle Krisen miteinander zu vergleichen. Dann weiß man doch, welche Krisenbewältigung die richtige ist. In der Geldpolitik sind es nicht zuletzt die handelnden Personen, die so zu denken scheinen. Zumal dann, wenn sie, wie der voriges Jahr abgelöste amerikanische Notenbankpräsident Ben Bernanke, selbst historische Krisenstudien betrieben haben und dann die Gelegenheit bekommen, aktuelles Handeln als zwingende Lehre aus der Geschichte darzustellen. Ben Bernanke im November 2008, als er eine Zinssenkung mehrerer Notenbanken belobigte:
    "Wert und Verdienst einer koordinierten Geldpolitik haben Politiker und Wissenschaftler jahrzehntelang diskutiert. Aber in der Praxis war sie selten. Jedoch am 8. Oktober haben die amerikanische Zentralbank und fünf weitere Notenbanken ihre Zinsen gesenkt. Öffentlichkeit und Finanzmärkten wurde so signalisiert, dass wir gemeinsam den globalen wirtschaftlichen Herausforderungen begegnen werden."
    In dieser geldpolitischen Tradition handelt auch die Europäische Zentralbank. Gerade erst hat sie beschlossen, Staatsanleihen zu kaufen. Sie druckt Euro, kauft Banken die Papiere ab, verschafft den Instituten also neues Geld, damit sie den Unternehmen Kredite geben können, dann die Konjunktur anspringt und die Arbeitslosigkeit sinkt. Hat die EZB die richtige Medizin verabreicht? Warum dies nicht am historischen Beispiel abgleichen? Und welche Krise könnte sich besser mit der aktuellen messen als die große Depression?
    Die haben sich drei Autoren noch einmal vorgenommen: Werner Plumpe, der Frankfurter Wirtschaftshistoriker, und zwei seiner noch nicht ganz so arrivierten Schüler: Jan-Otmar Hesse und Roman Köster. Das mit Blick auf die aktuelle Debatte Schönste am Buch kommt zum Schluss: Zehn von 242 Seiten, die sich mit der Weltwirtschaftskrise der Jahre 1929 bis 1939 und der gegenwärtigen Finanzkrise befassen. Zehn Seiten, auf denen sieben Unterschiede zwischen der historischen Weltwirtschaftskrise und der aktuellen Finanzkrise herausgearbeitet werden, um dann die saftige Schlussfolgerung zu formulieren:
    "Dass 2008 eine völlig andere Situation vorlag als Ende der 1920er-Jahre. Es fällt daher auch schwer, die mit der Begründung, ein vergleichbares Desaster wie nach 1929 verhindern zu wollen, ergriffenen Maßnahmen als zwingende Folge einer vergleichenden Krisenanalyse zu akzeptieren. Es scheint wohl eher so zu sein, dass für unpopuläre Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzsektors nach Begründungen gesucht wurde, die in der demokratischen Öffentlichkeit Aussicht auf Akzeptanz hatten."
    Deshalb haben sich die Autoren die Weltwirtschaftskrise noch einmal vorgenommen. Auf rund 170 Seiten schildern sie die Komponenten: die Arbeitslosigkeit in Deutschland, der relativ milde Krisenverlauf in Großbritannien, die verheerende Wirkung der Zollschranken in den Vereinigten Staaten, die spät eingetretene, dann aber dauerhafte Krise in Frankreich, ein bei aller Kürze überraschend differenzierter Blick auf die Lage in China und der Sowjetunion. Sie halten alles knapp, gönnen sich aber doch den charmanten Luxus, die menschlichen Schwächen der Krisenpolitik nicht zu vergessen. So erwähnen sie eine amerikanische Behörde, die 1933 mit Mindestlöhnen und Mindestpreisen eine Deflation verhindern sollte. Deren erster Leiter "hatte ein massives Alkoholproblem und verschwand mitunter einfach mehrere Tage von der Bildfläche".
    Oder sie schildern die Dürren in Nordamerika in den Jahren 1933 bis 1935, Folge auch der Rodung von Präriegras, Bodenerosion und Staubstürmen, die ganze Ernten vernichteten. Gut, das ist alles schon erzählt worden. Damit wollen die Autoren auch gar nicht punkten. Sie nehmen mit solcher Darstellung sozusagen nur Anlauf zu einem Thema, das ihnen wichtiger ist: die Weltwirtschaftskrise in der wirtschaftswissenschaftlichen Debatte.
    Spannend ist, wie jüngere Autoren den Streit der beiden wichtigsten volkswirtschaftlichen Schulen des 20. Jahrhunderts, der zwischen den Keynesianern und den Monetaristen, fortführten. Der amerikanische Ökonom Barry Eichengreen etwa, der 1992 in dem Buch "Goldene Fesseln" erklärte, wie der Goldstandard der Weltwährungen zurzeit der großen Depression zum entscheidenden Transmissionsmechanismus der Krise wurde.
    "Laut Eichengreen beschränkte der Goldstandard (...) die währungspolitischen Spielräume der einzelnen Staaten und zwang sie zu einer unter dem Gesichtspunkt der ökonomischen Stabilisierung geradezu widersinnigen Politik."
    Natürlich blitzen da Assoziationen zur Europäischen Währungsunion auf, die von ihren Mitgliedern Wettbewerbsfähigkeit über Haushaltsdisziplin und Sparpolitik verlangt. Weil die sonst denkbare Alternative, die Abwertung einer nationalen Währung zwecks Exportförderung, ja nicht mehr möglich ist. Doch solche einfachen Schlüsse lassen die Autoren nicht zu. Denn sie argwöhnen, so der spiritus rector des Buches, Werner Plumpe, die Weltwirtschaftskrise werde für aktuelle Debatten missbraucht:
    "Ja, ich glaube, ein wenig ist das der Fall. Man soll das nicht alles sehr einseitig und sehr einfach sehen. Aber zum Teil ist es auch so, dass die Weltwirtschaftskrise und ihre Folgen, in ihrer ganzen Apokalyptik - das ist ja schrecklich, was danach gekommen ist im deutschen Fall, mit Hitler und all den Folgen - sich sehr gut eignet, um zu rechtfertigen, was man da heute tut und ohne eigentlich im Einzelnen erklären zu müssen, was man da nun eigentlich gerade macht. Nun kann man sich hinstellen und sagen, das, was man tut, dient der Verhinderung dieser Wiederholung. Und dann ist das scheinbar gerechtfertigt, was man da tut. Aber das ist gerade der Punkt. Die Motive sind völlig in Ordnung. Aber aus den Motiven entsteht noch lange keine gute Wirtschaftspolitik, sondern die wäre dann eben kontrovers zu diskutieren. Und wir haben ein bisschen den Eindruck, dass der Verweis auf die Weltwirtschaftskrise genutzt wird, um Diskussionen gar nicht erst zuzulassen."
    Allein für diese Erkenntnis lohnt sich die Lektüre des Buches. Es kommt in schnörkelloser Sprache daher, enthält eine Fülle von Fakten, liefert damit Argumentationshilfen auch für die Gegenwart, aber warnt vor dem Glauben, aus der Geschichte eine richtige Politik entwickeln zu können.
    Buchinfos:
    Jan-Otmar Hesse, Roman Köster, Werner Plumpe: "Die Große Depression. Die Weltwirtschaftskrise 1929-1939", Campus Verlag, 242 Seiten, Preis: 19,90 Euro, ISBN: 978-3-593-50162-8