Donnerstag, 18. April 2024

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"Große Ermunterung und Ermutigung für die SPD-Wahlkämpfer"

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) sagte im Deutschlandfunk, der Verlauf des TV-Duell zwischen Bundeskanzler Schröder und Unions-Kandidatin Merkel sei eine Ermutigung für die Wahlkämpfer der SPD. Der Auftritt Schröders werde den Aufholprozess der Sozialdemokraten stärken. Schröder sei souverän gewesen und habe handlungs- und zukunftsorientiert gesprochen. Auch die Meinungsumfragen seien eindeutig, fügte Thierse hinzu.

Moderation: Friedbert Meurer | 05.09.2005
    Friedbert Meurer: Gestern Abend vor einem Millionenpublikum: das mit Spannung erwartete Fernsehduell zwischen Bundeskanzler Schröder und Angela Merkel läuft auf gleich vier Fernsehkanälen.

    O-Ton Merkel: Liebe Bürgerinnen und Bürger, ich kann ihnen nicht versprechen, alle Probleme von einem Tag auf den anderen zu lösen, aber ich sage ihnen vor der Wahl, was wir nach der Wahl tun werden und ich bin überzeugt, in Deutschland steckt mehr. Die Menschen in diesem Lande können mehr. Wir müssen unsere Chancen nutzen. Dafür bitte ich um ihr Vertrauen.

    O-Ton Schröder: Ich habe noch nie vor der Zeit aufgegeben. Das hat mein ganzes Leben gekennzeichnet. Ich tue das auch diesmal nicht und ich bin ziemlich sicher, dass wir eine reelle Chance haben, das Blatt noch zu wenden.

    Meurer: Wer war Sieger oder Siegerin gestern Abend? Die Experten sind sich uneinig. Der Kanzler sei zwar souveräner gewesen, sagen die einen; die anderen, Angela Merkel sei präziser und konkreter gewesen. Laut Meinungsumfragen aber hat der Kanzler gewonnen. – Am Telefon begrüße ich Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, SPD. Guten Morgen Herr Thierse!

    Thierse: Guten Morgen Herr Meurer!

    Meurer: Sie haben schon gesagt, dass Sie den Kanzler besser fanden. Warum?

    Thierse: Ich fand schon, dass er gezeigt hat, dass er das, was seit Monaten den Bürgern eingeredet wird, dass rot/grün gescheitert sei und dass Gerhard Schröder sich auf Abschiedstournee befindet, überzeugend widerlegt hat. Er war souverän, er war stark, er hat handlungsorientiert und zukunftsorientiert gesprochen. So spricht keiner, der die Wahl verloren gibt, der auf Abschiedstournee ist, der gescheitert ist.

    Meurer: Vielleicht spricht so einer, der einfach ein medienerfahrener Profi ist?

    Thierse: Ach wissen Sie, dies ist als Vorurteil immer schon gepflegt worden, damit man dann sagen kann, das war doch zu erwarten, sie ist doch nicht zu unterschätzen, weil sie ordentlich argumentiert hat, hätte sie gewonnen. Die Meinungsumfragen sind ganz, ganz eindeutig. Die große Mehrheit der Bürger, der Fernsehzuschauer hat gesehen, dass dieser Kanzler kompetent, sachorientiert, stark ist. Ich weiß natürlich, dass jetzt viele Journalisten, die mit der CDU verbunden sind, viele Politiker und Experten genau dieses Ergebnis der Meinungsumfragen, diesen Eindruck der Bürger umzudeuten versuchen, aber das war ja der Vorteil dieses Fernsehduells, dass die Bürger, die Wähler sich ein unmittelbares Bild machen konnten und nicht auf die Vermittlung durch Journalisten angewiesen waren. Das Ergebnis ist an dieser Stelle wirklich eindeutig.

    Meurer: Sie sind im Wahlkampf. Bei Ihnen überquert gerade ein Flugzeug den Himmel. Herr Thierse, muss man aber auch sagen, dass in der Hauptsache über CDU-Programmatik, über Paul Kirchhof geredet wurde und weniger oder fast gar nicht über die SPD-Programmatik?

    Thierse: Das hat natürlich auch ein bisschen mit der Moderation zu tun, wenn das zum Gegenstand der Fragen gemacht wird. Ein Moderator hat Frau Merkel ja sogar mit Frau Kirchhof angeredet. Dann ist es ja sinnvoll, auch darauf einzugehen. Es ist doch auch sinnvoll deutlich zu machen, dass die kirchhofschen Vorschläge auf eine geradezu dramatische Weise ungerecht sind, wenn alle 25 Prozent Steuern zahlen sollen, obwohl der Spitzensteuersatz gegenwärtig für die sehr gut Verdienenden bei 42 Prozent liegt. Dann muss man deutlich machen, dass nach dem kirchhofschen Modell der Chefarzt und die Krankenschwester ungefähr die gleichen Steuern zahlen müssen. So etwas zu zeigen, die Alternativen zu zeigen, auch die Gesundheitsprämie, die Kopfpauschale bei der CDU auf der einen Seite, die Bürgerversicherung, unser Vorschlag, auf der anderen, unser Vorschlag einer Millionärssteuer, Festhalten an der Steuerposition, solche Unterschiede muss man doch sichtbar machen in einer solchen Debatte denke ich.

    Meurer: Nehmen Ihnen es die Wähler im Wahlkampf ab, Herr Thierse, dass die SPD in einer nächsten Legislaturperiode sozialer sein will?

    Thierse: Ich denke, dass wir in diesen Jahren auch nicht unsozial waren. Wir haben Reformen des Sozialstaats in Angriff genommen, nicht um ihn abzubauen, nicht um ihn auf sein Gerippe zu verdürren, sondern um ihn zukunftsfähig zu machen. Die demographische Herausforderung, der Umstand, dass wir erfreulicherweise alle älter werden, muss unsere Systeme belasten, wenn man daran denkt, dass wir dann längere Rente und Pension beziehen und länger Gesundheitsdienstleistungen in Anspruch nehmen. Darauf zu reagieren, den Sozialstaat zukunftsfähig zu machen, das ist sozial. Sich davor zu drücken, das ist unsozial.

    Meurer: Zum TV-Duell. Herr Thierse, was kann es für die nächsten 14 Tage für die SPD bringen?

    Thierse: Ich bin kein Prophet. Keiner kann es genau vorhersagen, aber ich denke es ist eine große Ermunterung und Ermutigung für die SPD-Wahlkämpfer. Ich glaube, dass es den Aufholprozess der SPD deutlich stärken wird.

    Meurer: Wenn Sie sich das Duell selber anschauen, war das in der Form befriedigend, oder kann man etwas besser machen?

    Thierse: Na ja, es war schon ungewöhnlich. Vier Journalisten sitzen zwei stehenden Politikern gegenüber. Ich hätte es schon besser gefunden, wenn es zweimal eine Stunde gegeben hätte. Dann können die Bürger aufmerksamer folgen. Dann können auch die einzelnen Sachthemen ausführlicher, differenzierter, ohne Hektik behandelt werden. Aber das wollte ja Frau Merkel nicht. Mut zu zwei Duellen hatte sie offensichtlich nicht.

    Meurer: Ist nicht andererseits in anderthalb Stunden alles gesagt worden?

    Thierse: Es sind ein paar Themen gar nicht angesprochen worden. Ich werfe das nicht den beiden Kandidaten vor, sondern den Moderatoren. Was mir besonders am Herzen liegt: das Thema Ostdeutschland, Aufbau im Osten kam überhaupt nicht vor. Nur als ein kleines Beispiel!

    Meurer: Das war Bundestagspräsident Wolfgang Thierse von der SPD. Schönen Dank Herr Thierse und auf Wiederhören!

    Thierse: Auf Wiederhören!