Dienstag, 19. März 2024

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Große Koalition
Streit um Verteidigungsausgaben

Die Nato-Mitglieder mögen doch bitte dafür sorgen, bis 2024 jeweils mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung auszugeben. So die Ermahnung von US-Vizepräsident Mike Pence. Doch in Berlin ist man sich offenbar nicht einig, wie streng die Vorgaben der Nato auszulegen sind.

22.02.2017
    Soldaten bergen während einer Übung einen Kameraden, der einen verletzten Soldaten simuliert, und transportieren ihn in ein gepanzertes Transportfahrzeug.
    Wie verbindlich ist das Zwei-Prozent-Ziel der Nato? (dpa)
    Sieben Monate vor der Bundestagswahl sind die Parteien längst im Wahlkampfmodus. In den vergangenen Tagen ging es um die Agenda 2010, die der designierte SPD-Kanzlerkandidat Schulz in Frage stellt, jetzt geht es um die Verteidigungsausgaben. Genauer: Um die Vereinbarung der Nato-Mitglieder, bis 2024 ihre Rüstungsausgaben auf mindestens zwei Prozent des Brutto-Inlandsprodukts zu heben.
    Von der Leyen weist Gabriel-Äußerungen zurück
    Noch-SPD-Chef und Außenminister Sigmar Gabriel hatte auf der Münchner Sicherheitskonferenz dieses Ziel als unrealistisch bezeichnet. Dafür bekommt er nun einen Rüffel seiner Kabinettskollegin Ursula von der Leyen (CDU). Die Verteidigungsministerin ermahnte Gabriel in einem "Stern"-Interview, er möge sich an die Beschlüsse der Nato halten. Der Vizekanzler scheine vergessen zu haben, "dass er 2014 schon mit in der Regierung saß und dass damals der sozialdemokratische Außenminister diese Verpflichtung mit unterschrieben hat". Und die Ministerin fügt hinzu: "Es ist nicht gut, wenn das Gedächtnis einer Regierung so kurz ist, dass sie nach drei Jahren nicht mehr zu ihrem Wort steht."
    Unterschiedliche Lesarten
    Für von der Leyen ist offensichtlich klar: Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier haben der Nato auf dem Gipfel in Wales 2014 zugesichert, dass bis zum Jahr 2024 zwei Prozent des BIP für die Rüstung ausgegeben werden – derzeit sind es 1,2 Prozent. Gabriel sieht das anscheinend anders. Auf seiner ersten Pressekonferenz als Außenminister sagte er am Mittwochmittag in Berlin, natürlich müsse die Bundesrepublik mehr für die Verteidigung tun. "Aber weder legt uns die Nato fest auf zwei Prozent, noch tut sie das in wenigen Jahren, noch ist es sinnvoll, einen so verengten Blick auf die Sicherheit zu haben", fährt er fort. Ist das Zwei-Prozent-Ziel also gar nicht verbindlich? Zumindest gibt es Spielraum für Interpretationen. Die Nato veröffentlicht im Internet die Schlusserklärung des Gipfels in Wales in deutscher Übersetzung. Dort heißt es:
    "Die Bündnispartner, deren Anteil vom BIP für Verteidigungsausgaben gegenwärtig unter diesem Richtwert liegt, werden (…) darauf abzielen, sich innerhalb von zehn Jahren auf den Richtwert von 2 Prozent zuzubewegen, um ihre NATO-Fähigkeitenziele zu erreichen und Fähigkeitslücken der NATO zu schließen."
    Gabriel nimmt Streit in Kauf
    Darauf "zubewegen" ist - so liest Gabriel offenbar den Text - nicht als Verpflichtung zu verstehen, dieses Ziel tatsächlich bis 2024 auch zu erreichen. Damit nimmt der Außenminister die Konfrontation mit den USA in Kauf. Bei seinem Europabesuch am Wochenende hatte US-Vizepräsident Pence unmissverständlich klargemacht, dass die Trump-Regierung deutlich höhere Ausgaben von den Bündnispartnern verlangt. Im Nato-Hauptquartier in Brüssel sagte Pence an die Adresse der Nato-Länder zum Zwei-Prozent-Ziel: "Wenn Sie einen Plan haben, dahin zu kommen, will unsere Allianz, dass Sie ihn beschleunigen. Wenn Sie noch keinen Plan haben, machen Sie einen."
    Und ebensowenig Angst wie vor einem Streit mit den USA hat Gabriel wohl vor einem neuen Koalitionskrach. Der Verteidigungsministerin bescheinigt er – ganz Wahlkämpfer – jedenfalls Naivität. Wer jetzt eine Erhöhung der Militärausgaben von 25 bis 30 Milliarden Euro pro Jahr in kurzer Frist fordere, "der hat erstens eine ziemlich naive Vorstellung davon, was in diesem Land möglich ist, insbesondere dann, wenn - wie im Fall von Frau von der Leyen - die CDU zeitgleich Steuersenkungen von 35 Milliarden Euro fordert".