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Große Kunst für Kinder

Vor 400 Jahren wurde Rembrandt geboren. In dem reich bebilderten Buch "Rembrandt für junge Leser" stellt der niederländische Kunsthistoriker Gary Schwartz das Leben des berühmten Künstlers vor: vom märchenhaften Aufstieg bis zum finanziellen Ruin.

Von Martina Wehlte | 15.07.2006
    Rembrandt ist zurzeit in aller Munde. Am 15. Juli gilt es, seinen 400. Geburtstag zu feiern, und der Ausstellungsbetrieb läuft auf Hochtouren. Speziell in den Niederlanden - dem Geburtsland des weltberühmten Malers - aber auch in Deutschland, wo beispielsweise in Kassel und Berlin große Retrospektiven zu sehen sind.

    Sein künstlerischer Rang, seine kunstgeschichtliche Bedeutung und das Faszinosum seiner Persönlichkeit, sind unbestritten und werden nun neuerlich gewürdigt. Neben den pfundschweren Katalogen sind auch opulente Monografien auf den Markt gekommen, und sogar eine Bibel mit Rembrandt-Illustrationen.

    Die Kinder- und Jugendbuchverlage aber haben das Jubiläumsjahr schlichtweg verschlafen. Oder stimmt es etwa, dass Rembrandt für Kinder und Jugendliche nichts ist, weil er immer so dunkel gemalt hat, wie ein großes Verlagshaus die Lücke im Kinderkunstbuchsegment kommentierte? Dr. Sibylle Brosi, Leiterin der museumspädagogischen Abteilung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, meint hierzu:

    "Überhaupt nicht. Wir haben ein großes Rembrandt-Porträt, selbst auch, und wenn wir meinetwegen eine Porträtführung machen, und vergleichen mittelalterliche Porträts, Renaissance-Porträts, und wir kommen schließlich zu Rembrandt, bleiben die Kinder wie gebannt stehen. Sie sind fasziniert und merken genau das, was Rembrandt auch ausmacht: Dass er Gefühle darstellt, das Psychologische erfasst - das erkennen sie. Und das ist für Kinder genauso interessant wie für Erwachsene."

    Derselben Ansicht ist der amerikanische Kunsthistoriker Gary Schwartz, einer der besten Rembrandt-Kenner, der es Anfang der 80er Jahre erstmals gewagt hatte, am Mythos des holländischen Malers zu kratzen: Indem er auf die offenkundige Diskrepanz zwischen dem von menschlicher Wärme und tiefer Empfindung durchdrungenen Werk einerseits, und einem nicht gerade integren Charakter, sowie der insgesamt wohl schwierigen Persönlichkeit Rembrandts hinwies.

    Gary Schwartz ist der einzige Autor der mit einem Jugendbuch über Rembrandt auf dem Markt ist. Es wendet sich an die Zielgruppe ab 12 Jahren, und ist mit charakteristischen Beispielen sowohl aus dem grafischen, als auch dem malerischen Oeuvre reich bebildert. Hier begegnet dem Leser der Historienmaler, zu dem Rembrandt Harmensz van Rijn in seiner Lehrzeit bei den Leidener Malern Jacob van Swanenburgh und Pieter Lastman ausgebildet wurde.

    Das prominenteste Beispiel dieses Genres ist zweifellos die so genannte "Nachtwache" von 1642, ein lebensgroßes Gruppenbild der Amsterdamer Bürgerkompanie der Musketiere. Waren die Auftraggeber mit dem Werk zufrieden? Und wie reagierten damals wohl die Betrachter? Gary Schwartz lässt einen ehemaligen Schüler Rembrandts zu Wort kommen, Samuel van Hoogstraten:

    "Es genügt nicht, dass ein Maler seine Figuren nebeneinander aufreiht. Dies sieht man hier in Holland in den Häusern der Bürgerwehren viel zu oft. Wahren Meistern gelingt es, ein Werk zu schaffen, das in sich geschlossen ist. Rembrandt beachtete diesen Grundsatz bei seinem Gemälde in der Versammlungshalle der Bürgerwehr von Amsterdam besonders gut. Manche sagen zu gut, denn seine Fantasie hat dem Gesamtbild mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als den Einzelporträts, für die er eigentlich den Auftrag hatte. Doch bei aller verdienten Kritik wird Rembrandts Gemälde meiner Meinung nach alle anderen überdauern. Es ist so malerisch entworfen, so elegant angeordnet und so ausdrucksstark, dass einigen Leuten die anderen Porträts in der Versammlungshalle dagegen wie Spielkarten erscheinen. Nach meinem Geschmack hätte er jedoch mehr Licht verwenden können."

    Leider wird die beeindruckende Wirkung dieses repräsentativen Gemäldes weder durch die Abbildung in dem kleinformatigen Buch, noch etwa durch eine Interpretation des Autors hinreichend vermittelt. Schwartz nimmt es vielmehr zum Anlass, einen kulturgeschichtlichen Einblick in das Amsterdamer Leben der damaligen Zeit zu geben. Das gelingt ihm in seiner Darstellung immer wieder auf anschauliche und spannende Weise, so dass er diese Passagen noch hätte ausbauen können.

    Ebenso die Auszüge aus der Familiengeschichte, die er ja durchaus auch hypothetisch hätte ausschmücken dürfen - sofern die Quellen nicht hinreichen. Zahlreiche Porträts prominenter Amsterdamer Bürger belegen seine außerordentliche Fähigkeit des Psychologisierens und der Charakterisierung durch Gesten, Haltung und Gesichtsausdruck der Dargestellten, vielfach unterstützt durch die symbolhafte, mitunter dramatische Lichtführung. An einer geradezu rokokohaft anmutende Radierung von seinem späten Förderer Jan Six ist das ersichtlich, und Gary Schwartz gelingt es in diesem Fall, mit wenigen Worten das Wesentliche an diesem hervorragenden Blatt herauszustellen:

    "Es zeigt den Patrizier in einer ungewöhnlich lockeren Haltung: Er lehnt entspannt an einer Fensterbank und liest. Die Bücher und Manuskripte im Vordergrund, sowie die Gemälde an der Wand weisen Six als Kunst- und Literaturliebhaber aus. Der Säbel auf dem Tisch deutet sein Interesse am Fechten an. Wenn Du Dir die Radierung genau anschaust, dann wirst Du feststellen, dass die Beleuchtung etwas Besonderes aufweist: Der Teil von Six’ Gesicht, der dem Fenster abgewandt ist, müsste normalerweise im Schatten liegen. Auf der Radierung ist er jedoch beleuchtet, zwar nicht direkt, aber durch das Licht, das die aufgeschlagene Buchseite widerspiegelt. Dies sagt uns auf symbolische Art, dass Six’ Verstand durch seine geistigen Anstrengungen erhellt ist. Dies lenkt das Interesse des Betrachters auf die innere Welt des Abgebildeten."

    Was die besondere Qualität des Porträts ausmacht, ist mit dieser Beschreibung für jeden verständlich geworden. Es sei aber vermerkt, dass allein in diesem Zitat ein Sach- und ein Grammatikfehler stillschweigend korrigiert wurden, was für die Übersetzung aus dem Amerikanischen symptomatisch ist. Der Übersetzer - der nicht genannt wird - hat auch das amerikanische "you" hier und an anderen Stellen in ungeschickter Anbiederung mit "Du" übersetzt, statt mit "man".

    Schließlich geht im Kontext eines anderen Bildes eine Augenwischerei auf sein Konto, die abschwächend auf die Interpretation einwirkt. Ein Doppelbildnis von Rembrandt und seiner Frau Saskia in ausgelassener Stimmung wird vielfach als Darstellung des Gleichnisses vom verlorenen Sohn interpretiert - was Schwartz selbst zu Recht in Frage stellt. Die Frau auf dem Schoß des Mannes bezeichnet der Übersetzer als "Frauenzimmer" - ein Begriff, mit dem Jugendliche heute ähnlich wenig anfangen können, wie mit der Nennung des Gleichnisses. Warum also wird nicht genannt, was gemeint ist: eine Hure! Diese Enttabuisierung würde wohl auch die biblische Deutung des jungen Paares ad absurdum führen.

    Dem Autor selbst ist vorzuwerfen, dass er sich nicht auf die Kunst der Beschränkung versteht. Ein größerer Gewinn für den in Bildbetrachtungen unerfahrenen jungen Leser wäre es gewesen, an einem Bild ausführlich die Vorgehensweise bei der Deutung zu demonstrieren. So kritisiert auch Sibylle Brosi, mit der ich über das Buch sprach:

    "Immer nur an der Oberfläche wird gekratzt bei den einzelnen Bildinterpretationen. Und wenn ich das so lese, und mich in die Situation von Jugendlichen versetze, denke ich: Ach ja, ist es jetzt so? Oder meint er es jetzt so? Er schlägt mir diese Interpretation vor, und die, und jetzt sind wir auch schon wieder beim nächsten Bild. Der Kunsthistoriker vertieft sich in die Materie, der schaut nach der Zeitgeschichte, der schaut nach dem Land, nach der Familie. Der muss also wirklich alle Fakten haben, und das hat er nun als Handwerkszeug in der Hand. Und man könnte nun den jungen Leser auch abholen, als Kriminalist, der selbst jetzt diese Dinge zur Verfügung hat, und dann ein Bild interpretieren kann."

    Aber der Zugang zu Rembrandt ist doch angeblich so schwer für Kinder und Jugendliche! Chagall, Macke, Paul Klee, also Maler des 20. Jahrhunderts, die eine kindgemäße Bildsprache in ihre eigene Malweise transformiert haben, sprechen doch unmittelbarer an - und sind selbstverständlich in den Kinderkunstbuchprogrammen zu finden!

    "Aber Rembrandt ist natürlich mit seinen Geschichten weitaus interessanter. Es verbirgt sich ja ungeheuer viel dahinter und man kann ungeheuer viel interpretieren. Man kann eigentlich jede Kunst jedem Kind beibringen. Und ich glaub´ auch, dass die Kinder an allem sehr interessiert sind, wenn sie gelockt werden, wenn sie inspiriert werden, und wenn es richtig gut verpackt ist."

    Und wie verpackt man beispielsweise die Darstellung einer biblischen Geschichte so richtig gut?

    "Ich würde zunächst einmal das Bild betrachten lassen. Und dann würde ich - da der heutige Jugendliche nicht weiß, um welche Geschichte es sich handelt - die Geschichte dazu erfinden lassen, was es sein könnte. Durch die Komposition, durch die Aufeinanderbezogenheit der Personen, und durch die Dramaturgie und die Lichtführung, wird der Jugendliche vielleicht nicht hundertprozentig die Geschichte nacherzählen können, weil er sie ja nicht weiß, aber eine ganz, ganz ähnliche. Und das finde ich viel mehr 'an Rembrandt herangehen’, als jetzt einen Rubensvergleich zu machen."

    Das nämlich hat Gary Schwartz gemacht bei Rembrandts Bild von "Judas, der die 30 Silberlinge zurückgibt" (1629), um den Mythos vom stets schöpferischen Genie zugunsten des perfekten Handwerkers - der er ja auch war - zu relativieren. Wenn der Autor rein kompositionelle Rückbezüge auf ein Rubensgemälde ganz anderen Inhalts zieht, so ist das in der wissenschaftlichen Analyse ein ganz probates Mittel, birgt aber eine nicht zu unterschätzende Gefahr:

    "Ich würd’s nicht wählen für die Vermittlung an einen Jugendlichen, denn mir wird das zu schnell abgetan, als wäre Rembrandt in dem Fall ein Kopist. Es wird nicht recht verstanden, was Rembrandt eigentlich aus Rubens gezogen hat, und wie er sich geschult hat."

    Gary Schwartz beherrscht sein Fach so souverän, dass ihm die Gefahr derartiger Missverständnisse bei seinem Publikum sicher nicht bewusst gewesen ist. Er wäre gut beraten gewesen, einen Museumspädagogen oder -pädagogin hinzuzuziehen. Die hätten ihm bestimmt auch zu einem Glossar und einem tabellarischen Überblick über die historischen Ereignisse der Zeit geraten. Zumindest aber hätte der DuMont Verlag auf diese Idee kommen können.