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Große Maler in der schwäbischen Provinz

Die Kunsthalle Tübingen ist durch ihren langjährigen Kurator Götz Adriani bekannt geworden. Zum 40. Geburtstag des Ausstellungshauses hat sein Nachfolger Daniel Schreiber nun eine Jubiläums-Schau mit Werken von Cézanne, Renoir und Picasso organisiert.

Von Christian Gampert | 15.09.2011
    Es geschieht nicht oft, dass eine Einzelperson zum Synonym für eine ganze Institution wird. Bei Götz Adriani darf man das behaupten: Die Tübinger Kunsthalle wäre nichts ohne ihn. Allerdings wäre auch Adriani heute sicherlich ein anderer, hätte er als junger Kurator nicht die Chance erhalten, ein völlig eigenständiges Programm zu machen. Als Adriani 1971 anfing, gerade mal 30 Jahre alt, war Tübingen - ausstellungstechnisch gesehen - Brachland. In den 1990er-Jahren wurde es dann zum Wallfahrtsort, wo über 400.000 Menschen Schlange standen für Cézanne und Renoir und ähnlich viele für Degas und Toulouse-Lautrec.

    Genau diese Künstler stehen im Mittelpunkt der kleinen Reprise, die Adriani sich nun zum 40. Geburtstag der Kunsthalle leistet. Längst hat er sich auf den Vorstandsposten der Kunsthallen-Stiftung zurückgezogen, und der Kurator Daniel Schreiber macht - in diesen finanziell problematischen Zeiten - die Ausstellungen. Aber die Jubiläums-Schau hat Adriani selber konzipiert, er legt beim Aufbau die Titel-Schildchen unter die Werke, die zum Teil schon einmal in Tübingen waren:

    "Mir ging es darum, sowohl bei den Zeitgenossen als auch bei den Klassikern Dinge zu machen, die noch nie in Deutschland gezeigt wurden. Das war bei Polke so, das war bei Serra so, und das war Cézanne so und Degas und Renoir so und auch bei Rousseau."

    Adriani hatte sich mit Ausstellungen der damals völlig unbekannten Sigmar Polke oder Ulrich Rückriem in Tübingen gründlich unbeliebt gemacht. Als er dann die "Wegbereiter der Moderne" zeigte (heute ein geflügeltes Wort), kam der Erfolg. Und beim Wiedersehen mit diesem späten 19. Jahrhundert zeigt sich einmal mehr: Adriani liebt das Unfertige, Schwebende, Tastende, er liebt die Skizze, das Werden des Werks. Es gibt zwar einen großartigen Saal mit Cézanne-Bildern, vor allem die Landschaften bei L’Estaque. Aber Adrianis Herz gehört ersichtlich den Papierarbeiten, den Bleistift-Studien, den Aquarellen. Cézannes zarte Landschafts-Skizzen, seine Badenden, auch den kräftigeren "Rumpunsch" hängt Adriani in einen Raum mit diesen suchenden Giacometti-Zeichnungen und konterkariert diese wiederum mit derb-obszönen Selbstkarikaturen von Toulouse-Lautrec.

    Will sagen: Adriani ist auch ein bekennender Erotiker, wie man spätestens seit seiner "Bordell und Boudoir"-Ausstellung weiß. Allerdings ist das solide abgefedert durch kunsthistorische Einbettung der Werke; das Sexuelle kommt ganz sublim daher wie Edgar Degas' Tänzerinnen oder wie jener grandiose, sich kämmende Rückenakt, der damals zum Signum der Degas-Ausstellung wurde.

    Was man in dieser freundlichen Rückschau freilich nicht mitbekommt: Adrianis Großausstellungen waren Drahtseilakte, rein finanziell gesehen.

    "Und man muss sich auch vorstellen: Ich hatte damals 40.000 Euro Ausstellungsetat. Und musste eine Ausstellung bewältigen, die etwa zwei bis drei Millionen kostet. Und ich hab' es gemacht. Heute würde ich mir wahrscheinlich schlaflose Nächte damit bereiten. Ich habe damals einfach geglaubt, dass wir diese Unsummen, die diese Ausstellung kostete, wieder reinspielen können - und das konnten wir zum Glück dann auch."

    Adrianis Sonne aber, um die alles kreist, ist Picasso. Im letzten großen Saal ist eine konzise Picasso-Retro en miniature zu sehen, von den Anfängen über den Sprung in den Kubismus bis in die wüst verrenkten Porträts und Akte des Spätwerks. Es gibt hier einige wegweisende Großformate aus der Sammlung Frieder Burda, für den Adriani jetzt mit Vorliebe kuratiert; und sehr viele Leihgaben in dieser Ausstellung stammen von anonymen Privatiers.

    Adrianis Situation, die auf den ersten Blick als Splendid Isolation in Tübingen oben auf dem Berg erscheint, erweist sich bei näherem Hinsehen als dichtes Netz an Beziehungen, die manche Ausstellungen erst möglich gemacht haben. Adriani pflegt beste Beziehungen zu Künstlern und Sammlern (und Sponsoren) – das erklärt das sogenannte Tübinger Ausstellungswunder, das hier nochmals gefeiert wird. Die Gegenwart der Tübinger Kunsthalle ist prosaischer – aber das ist, bei schwieriger gewordenen Rahmenbedingungen, ziemlich normal.