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Große Möglichkeiten für deutsche Firmen

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist zu einem siebentägigen Besuch in Lateinamerika aufgebrochen. Brasilien, Peru, Kolumbien und Mexiko stehen auf dem Reiseplan. Der Lateinamerika-Experte Wolf Grabendorff begrüßte die Visite, doch "die Auswahl der Länder hätte sicherlich besser sein können".

Moderation: Jochen Spengler | 13.05.2008
    Jochen Spengler: Brasilien, Peru, Kolumbien und Mexiko - vier Stationen in sieben Tagen. Heute Mittag ist Bundeskanzlerin Angela Merkel zu ihrer bislang längsten Auslandsreise aufgebrochen. Das Ziel der Reise: die Intensivierung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen Deutschlands zu Lateinamerika. Die Reise beginnt in Brasilien. Am Freitag nimmt Frau Merkel dann am EU-Lateinamerika-Gipfel in der peruanischen Hauptstadt Lima teil.

    Am Telefon ist nun der Lateinamerika-Experte Wolf Grabendorff, mit dem wir alles noch etwas vertiefen wollen. Herr Grabendorff, ich grüße Sie!

    Wolf Grabendorff: Schönen guten Tag!

    Spengler: Bei so einem Kanzlerbesuch heißt es ja: Egal wohin es immer geht, die Region ist enorm wichtig für uns. Klären Sie uns auf. Wie wichtig ist Lateinamerika für uns wirklich?

    Grabendorff: Lateinamerika war - das wird oft vergessen - der Kontinent, der in der Nachkriegszeit der wichtigste Kontinent in der sogenannten Dritten Welt für die deutsche Industrie war. Nirgends hat die deutsche Industrie so viel investiert wie in Brasilien, Mexiko und Argentinien. Aber das sind sozusagen die früheren Daten, während in den letzten Jahren vor allen Dingen Asien natürlich so viel wichtiger für die deutsche Industrie geworden ist, und wie die Lateinamerikaner oft selber sagen, haben wir Europäer und wir Deutsche ein bisschen die Region vernachlässigt.

    Spengler: Woran liegt denn das?

    Grabendorff: Das liegt auch daran, dass in Lateinamerika sehr viel privatisiert worden ist zu einer Zeit, wie Deutschland gerade mit der Wiedervereinigung beschäftigt war. Da sind dann die Spanier, die Engländer und die Franzosen eingestiegen. Aber die Deutschen spielen in vielen lateinamerikanischen Ländern, was die Investitionen angeht, nur noch eine dritte oder vierte Rolle.

    Spengler: Kann man denn, muss man denn, wird man denn die Wirtschaftsbeziehungen mit Lateinamerika nun ausbauen können?

    Grabendorff: Das hängt natürlich nicht nur von uns ab, sondern das hängt davon ab, inwieweit die gute wirtschaftliche Lage, die Lateinamerika in den letzten vier Jahren erlebt hat, weiter anhalten wird. Und die wiederum hängt von den Rohstoffpreisen, sprich von der Nachfrage der Chinesen und der Inder ab.

    Spengler: Um noch mal auf meine Eingangsfrage zurückzukommen: Wie wichtig wäre für uns Lateinamerika?

    Grabendorff: Wenn die Lateinamerikaner nachholen würden, was sie nachholen sollten natürlich - vor allen Dingen bei der Infrastruktur, vor allen Dingen bei der Bildung und Ausbildung -, dann haben gerade deutsche Firmen große Möglichkeiten, in dieser Region tätig zu werden. Aber die Konkurrenz ist, wie schon gesagt wurde, sehr groß. Die Amerikaner haben sich etwas aus der Region zurückgezogen, aber inzwischen sind auch die Chinesen und die Inder und die Japaner aktiv.

    Spengler: Sie haben gesagt, dann haben gerade deutsche Firmen Chancen. Wieso gerade deutsche Firmen?

    Grabendorff: Deutsche Firmen haben einen besonders guten Ruf in der Region, wenn man mal von Siemens, die große Probleme mit Korruptionsfällen und so weiter gehabt haben, absehen will. Deutsche Firmen, vor allen Dingen deutsche Maschinen, deutsche Autos haben einen ausgesprochen guten Ruf in der Region, und man vergisst sehr oft, dass weiterhin Sao Paulo die größte deutsche Industriestadt ist.

    Spengler: Brasilien, Peru, Kolumbien, Mexiko - das sind die Stationen. Sind das richtige Staaten für einen Besuch?

    Grabendorff: Brasilien ganz sicherlich. Brasilien ist sozusagen der wichtigste Partner für Deutschland in Lateinamerika. Das wird auf beiden Seiten so gesehen. Auch für die Brasilianer sind wir in Europa der wichtigste Partner.

    Peru ist eine Station wegen des Gipfels. Sonst wäre man sicher nicht nach Peru gefahren. Und ob der Besuch in Kolumbien besonders sinnvoll ist, darüber gehen die Meinungen zumindest in Lateinamerika auseinander. Sie erinnern sich: Da gab es zuletzt große Auseinandersetzungen zwischen Ecuador und Kolumbien. Und Mexiko ist weiterhin ein entscheidender industrieller Standort für die deutsche Industrie.

    Spengler: Nun kippt Lateinamerika seit einigen Jahren ja nach links. Argentinien, Chile, Paraguay, Bolivien, Venezuela - ich will sie gar nicht alle aufzählen, die Länder. Wäre es nicht sinnvoll gewesen, auch eines der linksgerichteten Länder zu besuchen?

    Grabendorff: Genau das ist die Kritik, die man in der lateinamerikanischen Presse gelesen hat. Es wäre sicherlich sinnvoll gewesen, in eines der linken Länder, wobei man sehr unterscheiden muss: Links ist nicht gleich links, sondern es gibt Linke jeder Art in Lateinamerika, die es ja in anderen Regionen auch solche gibt. Vieles von dem, was wir als links und sozialdemokratisch oder populistisch bezeichnen, sind vereinfachende Begriffe, die der nationalen Wirklichkeit in diesen Ländern oft nicht sehr nahe kommen.

    Spengler: Schließen Sie sich denn der Kritik der Presse in Lateinamerika an?

    Grabendorff: Ich würde sagen, die Auswahl der Länder hätte sicherlich besser sein können.

    Spengler: Dann kommen wir noch zu einem Land: Venezuela. Da ist der Staatschef umstritten. Hugo Chávez, der hat sich doch einige Ausfälle gegen Frau Merkel geleistet. War es richtig, darauf sozusagen mit Nichtbeachtung zu reagieren?

    Grabendorff: Aus ihrer Sicht richtig, aber andererseits: Wenn man Chávez ein bisschen kennt und er hat etwas wie eine Meinungsführerschaft in Lateinamerika - ob zu Recht oder zu Unrecht -, dann ist er ja derjenige gewesen, der auf einige Äußerungen von Frau Merkel reagiert hat. Merkel hat ihm sozusagen eine Steilvorlage gegeben, um jetzt den Gipfel noch mal stärker zu politisieren.

    Spengler: Das müssen Sie uns noch einmal ins Gedächtnis rufen. Was hat denn Frau Merkel gesagt?

    Grabendorff: Das hängt damit zusammen: Sie hat der dpa ein Interview gegeben, das ist schon ein paar Tage her natürlich, in dem sie darauf hingewiesen hat, dass Venezuela nicht für Lateinamerika spricht und Chávez genug Probleme zu Hause habe und deswegen er nicht sozusagen die Beziehungen zu Europa verderben könnte, weil es sich eben nur um ihn handelt. Da fühlte er sich offensichtlich sehr in seiner Eitelkeit getroffen. Hinzu kommt noch, dass ausgerechnet in dieser Woche die Interpol die Meinung vertreten wird höchstwahrscheinlich, dass die bei den Farc-Rebellen, also bei dem Überfall von Kolumbien auf Ecuador, gefundenen Computer wichtige Daten über die Art, wie Chávez die Terroristen in Kolumbien unterstützt hat, enthalten. Das heißt, Chávez steht unter einem ziemlichen außenpolitischen Druck in dieser Woche, und da kam ihm die Steilvorlage von Frau Merkel gerade richtig, um sozusagen auf ein anderes außenpolitisches Gebiet auszuweichen. Ich bin nicht sicher, ob er in Lima auftreten wird, aber wenn er auftreten wird, würde ich eher annehmen, dass er Frau Merkel aus dem Weg geht.

    Spengler: Danke schön. Das waren Informationen von Wolf Grabendorff, einem Lateinamerika-Experten, hier im Deutschlandfunk in den "Informationen am Mittag".