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Großer Modernisierer Chinas

Der Wiederaufstieg Chinas zu einer der führenden Mächte dieser Welt ist offenbar nicht mehr zu stoppen. Ironischerweise vollzieht sich dieser Aufstieg unter der ungeteilten Herrschaft der Kommunistischen Partei, - einer Organisation, die anderswo längst ihre Macht verloren hat. Dieses Doppel-Phänomen ist einem kleingewachsenen Mann aus der Südwestprovinz Sichuan zu verdanken, der erst mit mehr als siebzig Jahren zum unbestrittenen Führer des Landes aufgestiegen war.

Von Klaus Belde | 22.08.2004
    Als Deng Xiaoping am Nationalfeiertag des Jahres 1984 auf dem Tian´anmen-Platz in Peking Bilanz zog, stand er im Zenit seiner Macht. Die politischen Erben seines Vorgängers Mao Zedong waren gestürzt oder kaltgestellt, die Zeit der verlustreichen Experimente, der Kampagnen und Säuberungen schien für immer vorbei. China konzentrierte seine Kräfte endlich auf die längst überfällige Modernisierung.

    Um die Wirtschaft in Schwung zu bringen, brach Deng ohne Scheu ideologische Tabus. Nach Jahrzehnten offiziell verordneter Armut rief er seine Landsleute dazu auf, schnell reich zu werden. Die Bauern durften wieder selbst bestimmen, was sie anbauten, Industriebetriebe wieder selbständig wirtschaften. Sonderwirtschaftszonen an der Küste zogen ausländisches Kapital und Fachwissen an.

    Deng galt als Überlebenskünstler. Dreimal fiel er Säuberungen zum Opfer, dreimal kehrte er gestärkt daraus zurück. Mitte der sechziger Jahre, zu Beginn der Kulturrevolution, hatte Mao ihn aus seinem Amt als Generalsekretär der Kommunistischen Partei entfernen lassen. Bald musste er ihn jedoch zurückholen, weil er auf seinen tüchtigsten Mitarbeiter nicht verzichten konnte.

    Mao dürfte als der Einiger Chinas in die Geschichte eingehen. Deng dagegen hat das Land in die Weltgemeinschaft zurückgeführt. Während Mao China nie für längere Zeit verließ, ging Deng schon als Sechzehnjähriger nach Frankreich und gewann dort wichtige Erfahrungen. Gleich nach seinem Sieg im innerparteilichen Machtkampf reiste er Ende der siebziger Jahre in die USA. Bei einem Rodeo in Texas ließ er sich ohne Scheu mit einem Cowboyhut fotografieren.

    Für Deng zählte vor allem, dass er die westliche Supermacht als Verbündeten gewinnen konnte: Er brauchte die USA als Helfer bei der Modernisierung und als Verbündeten gegen die Sowjetunion, damals noch Chinas Feind Nummer eins:

    Freunde, das amerikanische Volk ist groß, es hat Außergewöhnliches zur menschlichen Zivilisation und zum Fortschritt beigetragen, ... wir bewundern zutiefst Ihre praktische Art und ihren Erfindungsgeist. Wir können viel von Ihnen lernen, und wir sind Ihnen in tiefer Freundschaft verbunden.... Mögen das chinesische und das amerikanische Volk Freunde bleiben .... in gemeinsamer Anstrengung und zum Wohl der Menschheit.

    In den späten 80er Jahren schien es, als habe Deng sein Haus gut bestellt. Als militärischer Oberbefehlshaber kontrollierte er die Armee, in den wichtigsten Staats- und Parteiämtern hatte er jüngere Gefolgsleute positioniert. Trotz aller Klugheit unterschätzte er jedoch den Wunsch seiner Landsleute nach politischen Rechten, den er mit seiner Reformpolitik noch beflügelt hatte. Im Frühjahr 1989 gingen in Peking die Studenten auf die Straße, ihr Protest drohte rasch aus dem Ruder zu laufen.

    Für den Berufsrevolutionär und Bürgerkriegs-Veteranen Deng gab es darauf nur eine Antwort: Der angebliche Aufruhr musste unterdrückt, die Macht der Partei gesichert werden. Kurz nach der blutigen Militäraktion vom 6. Juni rechtfertigte sich der greise Chef-Funktionär vor hohen Offizieren:

    Wir haben es tatsächlich nicht nur mit einfachen Leuten zu tun, die zwischen Richtig und Falsch nicht unterscheiden können. Wir haben es auch mit einer Clique von Aufständischen zu tun und einer großen Anzahl Leuten, die zum Abschaum der Gesellschaft gehören. Sie wollen unser Land umstürzen und unsere Partei aus dem Wege räumen. Das ist der Kern des Problems... Ihr Ziel besteht darin, eine bürgerliche Republik zu schaffen, die völlig vom Westen abhängig ist.

    Trotz aller Härte achtete Deng aber sorgfältig darauf, dass die Wirtschaftsreformen fortgesetzt wurden. Der Erfolg scheint ihm heute, sieben Jahre nach seinem Tode, Recht zu geben. Die ungelöste Frage der politischen Reformen wird jedoch auch seine Nachfolger weiter umtreiben.