Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Großer Opernabend in London

Das Regietheater mit seinen Verirrungen und Respektlosigkeiten, seinen Zertrümmerungen und eigenmächtigen Veränderungen ist auf den britischen Opernbühnen noch nicht angekommen. Am Londoner Covent Garden hat Steven Pimlott, der frühere Chef der Royal Shakespeare Company, Peter Tschaikowskys beliebte Oper "Eugen Onegin" eingerichtet. Sie handelt von der zunächst unerfüllten Liebe einer Gutsbesitzertochter zu dem Dichter Onegin.

Von Jörn Florian Fuchs | 18.03.2006
    In der Kunst, vor allem der bildenden, sind die Engländer uns Kontinentalen oft eine Nasenlänge voraus, nicht erst seit Francis Bacon. Von den Vortizisten über die Surrealisten britischer Prägung bis zur Young British Art à la Damien Hirst – London war und ist ein Schmelztiegel für Avantgardisten und Kulturrevolutionäre.

    Merkwürdigerweise ist das in punkto Oper, Opernregie ein wenig anders. Da gibt es häufig sehr buntes, schnell in Kitsch abgleitendes Spektakel mit nur begrenzt konzeptionellem Anspruch – vergleiche manch Händelhaftes an der Bayerischen Staatsoper – und es gibt die Monumentalisten, die in riesigen Bühnenprospekten ständig kleine Sängerdarsteller hin und herbewegen – ein Name gefällig? David Poutney! Ja und dann gibt es noch die wahren Ästheten wie zum Beispiel Richard Jones, da wird ein Opernabend schnell zum psychedelischen Trip – alles fließt und bewegt sich, mal wunderschön, mal langweilig.

    Zum Typus des Ästheten zählt auch Steven Pimlott, der vormalige Chef der ehrwürdigen Royal Shakespeare Company und seit einiger Zeit auch Opernregisseur, mit bisher recht guter Presse. Das dürfte sich nach der jetzigen Premiere von Tschaikowskys "Eugen Onegin" in Covent Garden wohl kaum ändern, dies zumindest legt der tosende Publikumsjubel nahe. Nun sind Publikumsreaktion und Kritik ja eigentlich nicht ganz dasselbe, aber heute machen wir mal eine Ausnahme – sie sollen es sein.

    Denn der neue Londoner "Onegin" war wirklich ein Erlebnis, ein ganz großer Abend. Dies liegt einerseits an der ausgezeichneten Besetzung, andererseits gerade an der konservativen, bildmächtigen Inszenierung. Steven Pimlott und sein Ausstatter Antony McDonald erzählen die Geschichte um eine vertane Liebeschance in großflächigen, fast schwimmenden Bildern. Vor einer je nach Stimmung stimmungsvoll beleuchteten Landschaft mit Aue und Gewässer werden ausgelassene Feste gefeiert, ein Duell ausgetragen oder einfach nur über das Leben und die Liebe sinniert.

    Bevor sich das verfehlte Paar Tatiana und Onegin treffen, glaubt man sich zunächst in eine berühmt gewordene "Traviata"-Aufführung versetzt: Da sind doch plötzlich Anna Netrebko und Rolando Villazón auf der Bühne! Der Eindruck täuscht, es sind nur Kleidung und Frisuren, allerdings der Villazón ist echt und singt die Rolle des Lensky mit wunderbarem Timbre und sanft fließenden Bögen. In nichts nach steht ihm dabei seine Netrebko, die heißt hier Olga, phänomenal gesungen von Nino Surguladze.

    Dieses quirlige Paar wird konterkariert durch die ruhig-verschlossene Tatiana, die sich allerdings einmal kurz die Freiheit nimmt zu tanzen – unter einem Wasserspeier. Als Amanda Roocroft, die schön spielt, aber manchmal ein bisschen mit der Intonation zu kämpfen hat, als diese zerbrechliche Tatiana Onegin trifft, da hat selbiger noch schwarzes Perückenhaar. Am Ende trägt er würdiges Grauweiß und wird so augenblicklich erkennbar als Dimitri Hvorostovsky – die Rolle des erst arroganten, dann einsichtig-bereuenden Antihelden scheint ihm auf den schlanken Leib und die voluminöse Stimme geschrieben.

    Unter der Leitung Philippe Jordans spielt das Orchester der Royal Opera eine eher begleitende Rolle – vor allem auf Grund der bei Jordan bekannten Crescendo-Problematik: Mal ist es zu leise, dann plötzlich viel zu laut.

    Zwischen den einzelnen Szenen schwebt in London ein immer anders bemalter Vorhang herab, er zeigt griechisch anmutende Figuren, einen verschämten Jüngling oder eine Venus. Wenn dieser Vorhang sich öffnet, so gibt er den Blick frei auf Seelenbilder, auf ästhetisch umgesetzte Zustandsbeschreibungen der Figuren, manche dieser Bilder – etwa das Schlafzimmer Tatianas mit sanftem Rot im Hintergrund – möchte man so aus dem Theater mit nach Hause nehmen, zum An-Die-Wand-Hängen für schlechte Zeiten und kalte Tage.

    Die Schlussszene bietet eine monumentale Winterlandschaft – und gerade hier erweist sich die vielleicht wichtigste Stärke der Inszenierung: Denn Pimlott kann nicht nur Figuren hin und her bewegen, sondern er zeigt Personen, Menschen, die uns ihre Gefühle berührend vermitteln – der wirklich verzweifelte Onegin und die todtraurige Tatiana sind ein, wenn nicht der kraftvolle Kontrast zur Schönheit der Bühne.