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Großer "politischer Gewinn" für Präsident Assad

Ein Regimewechsel werde nach den militärischen Erfolgen Assads nun keine Verhandlungsgrundlage mehr auf der geplanten Syrien-Konferenz sein, sagt Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Aber er glaubt auch nicht, dass Assad das stark fragmentierte Syrien wieder komplett erobern könne.

Markus Kaim im Gespräch mit Peter Kapern | 06.06.2013
    Peter Kapern: Jetzt hat sich auch die britische Regierung festgelegt: sie habe physiologische Beweise für den Einsatz des Giftgases Sarin im syrischen Bürgerkrieg, ließ sie gestern wissen. Und weiter: Höchst wahrscheinlich sei der chemische Kampfstoff von den Regierungstruppen Syriens verwendet worden. Zuvor hatte schon die französische Regierung behauptet, sie habe Beweise für den Giftgaseinsatz.

    Gestern mussten die Aufständischen in Syrien einräumen, dass sie von den Regierungstruppen aus der Stadt Al Kusseir vertrieben worden sind. Al Kusseir, das ist eine kleine Stadt, 30.000 Einwohner waren es vor dem Krieg. Nun ist es eine weitgehend menschenleere Ruinenstadt, in die jetzt also wieder die Truppen Baschar al Assads eingezogen sind. Die strategische Bedeutung dieses Ortes wird allerdings sehr hoch veranschlagt, weil von Al Kusseir aus die Autobahnen kontrolliert werden können, die Damaskus mit dem Norden und dem Osten des Landes verbinden.

    – Bei uns am Telefon ist nun Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Guten Morgen, Herr Kaim!

    Markus Kaim: Guten Morgen, Herr Kapern.

    Kapern: Herr Kaim, ein syrischer General hat gestern gesagt, wer Al Kusseir kontrolliert, kontrolliert ganz Syrien. Ist das so?

    Kaim: So weit will ich vielleicht nicht gehen. Aber es hat eine strategische Bedeutung insofern, weil damit nicht nur die Autobahnen kontrolliert werden können, sondern Präsident Assad den Zugang zu den alawitischen Siedlungsgebieten wiedergewonnen hat, also seiner Machtbasis. Und darüber hinaus markiert der Fall dieser Stadt verschiedene wichtige Dinge für den Konflikt: Erstens, dass die Hisbollah-Miliz mittlerweile ein relevanter Akteur in diesem Konflikt geworden ist. Ohne das Eingreifen der Hisbollah-Milizen hätte wahrscheinlich das syrische Regime diesen Sieg nicht davongetragen. Und für die bevorstehende oder angepeilte Konferenz in Genf verschiebt das so auch das militärische Momentum. Was ich damit sagen will, ist: Wenn das syrische Regime und Präsident Assad jetzt wieder in die Offensive gerät, wieder Oberwasser bekommen hat, wird das wahrscheinlich die Chancen einer Konferenz in Genf, die ja jetzt für den Juli angepeilt ist, eher mindern.

    Kapern: Sie haben gerade noch in Frage gestellt oder vorsichtig formuliert, ob denn tatsächlich die Regierungstruppen jetzt wieder auf dem Vormarsch sind. Muss man nicht sagen, dass der Verlust von Al Kusseir so was ist wie ein Wendepunkt in diesem Bürgerkrieg?

    Kaim: Wendepunkt – so weit gehe ich insofern nicht, weil wir bereits festzustellen haben, dass Teile Syriens von den Rebellen auch dauerhaft kontrolliert werden. Von daher will ich jetzt diese eine Stadt nicht so hoch einschätzen. Es ist ja eine Entwicklung, die wir seit einigen Monaten sehen, dass Syrien als politische Entität längst verfallen ist, dass Teile Syriens gerade im Norden und Nordosten auf Dauer von Rebellen kontrolliert werden, dass Parallelstrukturen bereits aufgebaut sind, die das tägliche Leben charakterisieren, Parallelverwaltung, Parallelrechtsprechung. Und ich bin auch etwas zurückhaltend, zu glauben, dass das jetzt in den nächsten Wochen oder Monaten so zurückgedreht werden wird. Ich glaube, die Zukunft Syriens, egal was jetzt in Genf in den nächsten Wochen passieren wird, wird auf absehbare Zeit erst mal auf diese politische Fragmentierung des Landes hinauslaufen.

    Kapern: Was macht Sie denn so sicher, denn Sie haben ja gerade die wichtige Rolle der Hisbollah-Milizen geschildert für die Rückeroberung Al Kusseirs, dass der Vormarsch der Regierungstruppen nun nicht einfach bis auch in die letzte Ecke dieses Landes weitergeht?

    Kaim: Wenn man sich die Landkarte vergegenwärtigt, dann ist ja relativ klar, dass die Hisbollah-Milizen hier einfach eingesetzt werden konnten, vergleichsweise einfach, weil es eben nur 30 Kilometer bis zur syrisch-libanesischen Grenze sind. Und der Ursprungsort der Hisbollah-Miliz ist ja nun einmal der Libanon. Also das war vergleichsweise einfach. Aber diese Truppen können ja jetzt nicht in wenigen Stunden oder Tagen in den Osten des Landes verlegt werden, dort einsatzfähig gemacht werden. Dort stehen sie anderen Rebellenkontingenten gegenüber. So eine einfache Gleichung, was im Westen des Landes passiert, würde jetzt auch im Osten passieren, der bin ich noch etwas zurückhaltend, zu glauben. Und tatsächlich ist es ja auch eine Frage, welche Rebellen dort jetzt in die Defensive geraten sind. Ein Problem der Rebellen ist ja auch ihre Fragmentierung, das Fehlen ihres inneren Zusammenhaltes. Das heißt, was im Westen des Landes jetzt im Moment passiert ist, muss noch nicht zwingend ein Vorzeichen für den Rest des Landes sein.

    Kapern: Wenn es tatsächlich so ist, dass Baschar al Assad nicht in der Lage sein wird, das gesamte Land wieder zurückzuerobern, was macht Sie dann so sicher, dass sich seine Position mit Blick auf die geplante Friedenskonferenz jetzt noch eher verhärten wird?

    Kaim: Losgelöst von den militärischen Gewinnen hat das Ganze eine politische Dimension, die ich versucht habe, anzudeuten. Das syrische Regime kann jetzt gegenüber der internationalen Öffentlichkeit und auch durchaus glaubhaft behaupten oder darauf verweisen, dass es militärisch nicht länger in der Defensive ist. Dass es im Gegenteil in der Offensive ist, dass es Unterstützung von außen genießt, eben von der Hisbollah-Miliz, von anderen staatlichen Akteuren, Russland, Iran zu unterschiedlichen Graden. Dass letztlich damit auch eine Forderung, wie sie in den vergangenen zwei Jahren von westlichen Regierungen erhoben worden ist, dass nur ein Regimewechsel, ein Abgang von Präsident Assad die Lösung des Konfliktes sein könnte, dass das alles nicht auf der Tagesordnung für Genf stehen kann. Und dass letztlich auch das Wort sogar Regimewechsel, losgelöst von der Person Präsident Assads, wahrscheinlich keine Verhandlungsgrundlage für das sein wird, was für Genf angepeilt sein wird. Losgelöst von den konkreten militärischen Geländegewinnen ist, glaube ich, der politische Gewinn für Präsident Assad umso größer.

    Kapern: Wird diese Genfer Konferenz, deren schwierige Voraussetzungen Sie ja gerade erläutert haben, denn dann überhaupt zu Stande kommen können? Gestern hat ja der UNO-Sonderbeauftragte Brahimi gesagt, das Problem sei, dass die syrischen Konfliktparteien einfach noch nicht bereit seien, sich auf Verhandlungen einzulassen.

    Kaim: Ja, ich glaube, das ist im Kern das Hauptproblem. Derjenige, der militärisch in die Offensive geraten ist, der syrische Präsident in diesem konkreten Falle, hat vergleichsweise wenig Anlass, jetzt einer Konferenz zuzustimmen. Und wenn ja, dann nur zu seinen Bedingungen, die aber wahrscheinlich für die internationale Gemeinschaft zumindest bislang noch nicht akzeptabel sind, dass er nämlich weiter im Amt sein wird. Und damit einer politischen Lösung, wie sie die Rebellen vorhaben, im Weg stehen wird. Ich glaube, drei Themenkomplexe werden das große Problem dieser Konferenz sein, weshalb ich auch noch etwas zurückhaltend bin: Erstens die Frage, wer nimmt denn daran teil. Streitpunkt ist ja bislang, welche Rolle der Iran spielen wird, der auf der einen Seite keine diplomatischen Beziehungen zu den USA hat, aber ein wichtiger Spieler ist. Dann die Frage, ob man vorher einen Waffenstillstand hinbekommt, wie es eigentlich bei solchen internationalen Konferenzen üblich ist. Und die dritte Frage ist auch das Erwartungsmanagement, was denn in Genf wirklich erreicht werden kann.

    Kapern: Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik heute Morgen im Deutschlandfunk zur aktuellen Lage in Syrien. Herr Kaim, vielen Dank für das Gespräch und einen schönen Tag.

    Kaim: Ich danke Ihnen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.