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Großes Panorama einer kranken und korrupten Gesellschaft

Der Roman ist vollgestopft mit schweren und harten Themen. Schmierige Geschäfte, sexuelle Ausbeutung, Polizeifolter und islamistische Gewalt prägen die Seiten von Alaa al-Aswanys Roman "Der Jakubijan-Bau". Und dann verlegt der Autor das ganze Geschehen in ein einziges Gebäude. Der Jakubijan-Bau, einst ein hochherrschaftliches Wohnhaus im Zentrum Kairos, ist eine Chiffre für das gesamte Land.

Von Moritz Behrendt | 24.04.2007
    Erbaut in den 30er Jahren, als Kairo sich ein Vorbild nahm an der europäischen Moderne:

    "Zehn eindrucksvolle Geschosse im prächtigen klassisch-europäischen Stil: Balkone, geschmückt mit steingehauenen griechischen Gesichtern, Säulen, Treppen und Gänge in naturbelassenem Marmor, außerdem das neueste Modell eines Schindler-Aufzugs"

    Doch der Bau hat schon bessere Zeiten gesehen und so bewohnen ihn inzwischen alle Schichten der ägyptischen Gesellschaft. Da ist Saki al-Dassuki - ein in die Jahre gekommener Sohn einer angesehenen Oberschichtfamilie. Dassuki ist ein Frauenheld und Lebemann. Sein Leben lang hat er sich auf dem Ruf seines Vaters Familie ausgeruht. Nun auf seine alten Tage holt ihn das Gefühl ein, ein Versager zu sein. Er träumt davon, was alles aus ihm hätte werden können:

    "Er hätte sicher ein Ministeramt übernommen, wäre vielleicht sogar Ministerpräsident geworden. Ein großartiges Leben, wahrhaft seiner würdig, statt dieser ziellosen und würdelosen Existenz: Erst betäubt und beklaut ihn eine Hure, dann schmeißt ihn die eigene Schwester aus der väterlichen Wohnung, und schließlich schläft er gemeinsam mit seinem Domestiken Abascharon im Büro. War das nun Pech oder ein Fehler in seinem Charakter, der ihn immer drängte, die falsche Entscheidung zu treffen?"

    Saki al-Dassuki ist der Charakter mit der größten Tiefe in dem Roman: Die Tragik, mit der seine Wandlung in Szene gesetzt ist, wird mit einer gehörigen Portion Humor erzählt. - Ein anderer Bewohner ist Chefredakteur einer französischsprachigen Tageszeitung. Im Job die Seriosität in Person, lockt er nach Feierabend mit Geld und Weltläufigkeit junge Männer in sein Apartment. Er benötigt ihre sexuelle Zuneigung, um mit den Traumata seiner Kindheit fertig zu werden. Ganz oben auf dem Dach wohnen die Dienstboten: So wie Taha, der nicht auf die Polizeischule gelassen wird, weil sein Vater nur Hauswart ist, und sich dann zum militanten Islamisten entwickelt.

    Die einzelnen Geschichten der Haus-Bewohner sind lose miteinander verknüpft, die Episoden sind meist nur aneinandergereiht. Dass dennoch eine gelungene Geschichte entsteht und nicht nur Stückwerk, ist dem Leitmotiv zu verdanken. Alle Episoden handeln von der schamlosen Ausnutzung politischer, finanzieller und religiöser Macht. Etwa wenn der dubiose neureiche Geschäftsmann Hagg Asam mit dem Sekretär der regierenden Partei über einen Sitz im Parlament verhandelt und dieser ihm alle Zweifel nimmt:

    "Also bitte, Sie reden mit Kamal al-Fuli. Dreißig Jahre Parlamentserfahrung. Es gibt keinen Kandidaten in unserem geliebten Ägypten, der ohne unsere Zustimmung siegen würde, so Gott will."

    Erst wird um die Summe gefeilscht, dann gemeinsam gebetet. - Der Autor, im Brotberuf Zahnarzt, bohrt tief in den Wunden der ägyptischen Gesellschaft. Der Roman kommt nicht ohne Brutalität aus: Das Kind der Zweitfrau von Hagg Asam wird zwangsabgetrieben, der Islamist Taha wird im Gefängnis gefoltert und sexuell misshandelt. Schonungslos offen behandelt das Buch die Symptome einer kranken und korrupten Gesellschaft.

    Es verwundert daher schon, wie "Der Jakubijan-Bau" es durch die ägyptische Zensur geschafft hat. Vielleicht liegt es an dem Trick des Autors, das Geschehen in die Zeit des ersten Golfkrieges Anfang der neunziger Jahre zu verlegen. Dabei haben die Themen an Aktualität seither eher gewonnen. Die religiöse Legitimierung schmieriger Geschäfte, Islamismus, mangelnde soziale Chancengleichheit: Die Themen lesen sich wie die Zusammenfassung des Arab Human Development Report. Doch was politische Analysen mit lebensfernen Fremdworten zu erklären versuchen, schildert Alaa Al-Aswany mit Humor und bewegender Menschlichkeit.

    Die realistische Darstellung der Stadt und ihrer Bewohner anhand eines Wohnhauses erinnert natürlich an Naguib Machfus, der in seiner "Midaq-Gasse" die ägyptische Gesellschaft in den vierziger Jahren in einem Mikrokosmos versammelt hat. Die gleiche literarische Qualität wie Mahfus Romane hat Aswanys Buch nicht. Vor allem die vielen altklugen - und völlig überflüssigen - Bemerkungen des Erzählers stören den Lesefluss. Dennoch ist "Der Jakubijan-Bau" ein spannend erzählter Episodenroman mit wunderbaren Dialogen.

    Aswany thematisiert auch die Mittel, mit denen sich die mittel- und machtlosen gegen die herrschenden Verhältnisse zur Wehr setzen können: Gewalt, Hinterlist und Liebe. Die romantische Beziehung des alternden Playboys Saki al Dassuki zu seinem Hausmädchen Buthaina fällt deutlich aus dem Rahmen des realistischen Gesellschaftspanoramas. Diese offene Begegnung zweier Generationen und sozialer Schichten - und zwar auf Augenhöhe - ist in Ägypten kaum vorstellbar. - Einmal legt Dassuki eine Platte von Edith Piaf auf und schwärmt von der Zeit als Ägypten war wie Europa. Buthaina dagegen will ihren Liebhaber dazu bewegen mit ihr auszuwandern. Am liebsten nach Frankreich, Hauptsache weg aus dem ihr verhassten Ägypten. Dieses Ausmaß an Frustration ist für Dassuki jedoch unergründlich:

    "Ich werde Eure Generation niemals verstehen. Zu meiner Zeit war die Vaterlandsliebe wie eine Religion."

    Das Buch erschien bereits 2002 auf Arabisch. Für manche Ägypter war es ein Skandalroman, für andere das literarische Ereignis des letzten Jahrzehnts. "Der Jakubijan-Bau" wurde zum Bestseller, Übersetzungen in mehrere Sprachen folgten. Es verwundert schon, warum er erst jetzt auf Deutsch erschienen ist - zur Erinnerung: 2004 war die arabische Welt Gastland auf der Frankfurter Buchmesse und da wurden zahlreiche Bücher aus dem Arabischen übersetzt, die allenfalls mittelmäßig waren.

    Dagegen ist der Jakubijan-Bau äußerst lesenswert, vor allem wegen seiner sozialen und politischen Brisanz. Und er ist auch eine Antwort auf den Vorwurf, die arabisch-islamische Welt sei zur Selbstkritik nicht fähig, denn bei Alaa al-Aswany haben Schuldzuweisungen an Israel und Amerika keinen Platz. Bei ihm kommen die Probleme von innen.

    Alaa al-Aswany: "Der Jakubijan-Bau"
    Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich
    Lenos Verlag, Basel 2005
    372 Seiten, 19,90 Euro