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Großes Schauspielerfest und politische Inhalte

Den Spielzeitauftakt am Bochumer Schauspiel hat Intendant Anselm Weber, was die Stücke betrifft, eher klassisch gestaltet. Doch Umsetzung und Darsteller lassen kaum einen Wunsch offen.

Von Christiane Enkeler | 24.09.2012
    Was für ein Auftakt! Das ganze Bochumer Schauspielhaus ist von Beginn an ein kochender Kessel, in dem die Türen rappeln, es kracht und heult und zum Kampf ruft von draußen. Magda Willi hat für "König Richard der Dritte" eine zunächst weit nach vorn drängende Bühne entworfen, die die Holzvertäfelung und Bestuhlung aus dem Saal einfach fortsetzt, als sei das Ganze ein einziger geschlossener Raum. Das erhöht den Druck.

    Das Schauspielhaus Bochum eröffnet seine Spielzeit mit zwei politischen Extrem-Figuren: mit Shakespeares "Richard III.", und zwar mit der Vorgeschichte aus "Heinrich VI.", und mit Rainer Werner Fassbinders "Die Ehe der Maria Braun". So unterschiedlich die beiden Figuren sind, steuern beide doch unbeirrbar nach Macht oder Souveränität, bis sie oben sind, allein, und sich nicht mehr bewegen können. Liebe und Mitgefühl sind auf der Strecke geblieben. Aber man sieht: Es hätte eine Chance gegeben!

    Wir sehen, wie der schwache König Heinrich, Heinrich VI., aus dem Hause Lancaster den dummen Deal vorschlägt, nach seinem Tod sollten die Yorks regieren. Wie seine Frau Margaret, die ihren Sohn ums Erbe betrogen sieht, den Kopf des jüngsten York-Sohns seinen älteren Brüdern vorwirft. Wie Richard winselnd um den Bruder heult und mit dem Kopf gegen die Wand schlägt. Wie er anschließend zu Richard III. wird, indem er Heinrich VI. tötet, dann mindestens einen seiner Brüder und überhaupt alle: Frauen, Kinder, den zögernden Verbündeten. So bilden sich in diesem Dramen-Zusammenschnitt klare Gegner heraus, die sich gewachsen sind: Richard III. gegenüber Margaret aus dem Hause Lancaster, die ihren Mann Heinrich von Beginn an unter Druck setzt, den jüngsten York mordet und aufreizend provoziert.

    Roger Vontobels Besetzung ist schon die halbe Miete: Paul Herwig als Richard III. tobt sich nicht nur am Schlagzeug aus, er beherrscht auch alle umgarnenden Zwischentöne. Jana Schulz als Margaret fetzt wie eine Wahnsinnige über die Bühne und schiebt einen ganzen Energietsunami vor sich her. Roland Riebeling ist als Schwachmat Heinrich VI. leider ein bisschen unterfordert.

    Das Ensemble hält die Spannung über fast vier Stunden, mit einem kleinen Regie-Hänger nach der Pause. Da sind so ziemlich alle tot, trotzdem muss ordentlich was passieren, weil sich die Schlinge der anrückenden Streitkräfte, von Margaret angetrieben, um Richard langsam zuzieht. Zum Glück spielt Paul Herwig Schlagzeug! Da kann man sich ganze Truppenverbände vorstellen! Und als Richard stirbt, drücken ihn die Geister der Toten, eine erschreckend große Gruppe, nieder. Keiner der Regie-Tricks ist neu: die Kamera-Schalten zu Außenplätzen. Das Abrocken auf der Bühne. Das Rappeln an den Türen. Die Auftritte durchs Publikum. Aber es funktioniert verdammt gut!

    Nächster Abend: Die Regie von Jan Neumann lässt Maria Braun am Ende der Geschichte in der Luxus-Starre ankommen. Geschminkt wie eine Puppe steht sie mit ihrem Mann wie Hochzeitstorten-Plastikdeko auf dem dreistöckigen Lebenswerk, das sie sich hier auf der Bühne so sichtbar aus Podesten und Platten Stück für Stück aufgebaut hat. Maria Braun ist das personifizierte Wirtschaftswunder aus dem Fassbinder-Film "Die Ehe der Maria Braun" vom Ende der 70er-Jahre. Hier blickt sie am Schluss von oben auf die Bühne herab, auf der, symbolisch gekennzeichnet durch Flaggen-Kopftücher, verschiedene europäische Nationen den Boden auf den Knien rutschend schrubben: unter anderen Griechenland.

    Das ist auch deswegen nicht eindimensional, weil es szenisch nicht allein steht: Das letzte große Geld "ver-dient" sich das Ehepaar Braun, indem es Marias Chef Oswald beerbt. Dessen testamentarische Begründung für Marias Mann, verlesen, als beide am Ende ganz oben angekommen sind, lautet in etwa: Wer dienen kann, darf herrschen. Aber Oswald, der Chef, stellt das "Dienen" neben das Lieben und hat Demut gelebt. Maria Braun hat knapp das Lebensthema verfehlt und ist zur Karikatur der Macht geworden. Je mehr sie sich zur kalten Karrierelady wandelt, desto grotesker ist auch das allgemeine Spiel inszeniert. Kaffeepulver- und Schaumkuss-Schlacht, Marias stark starr geschminkte Grinsemaske, ihr übertriebenes, herrisches Schreien. Das Publikum lacht – und lacht damit alle kalte Unbehaustheit weg, die zu übertragen für Hauptdarstellerin Bettina Engelhardt eigentlich gar kein Problem ist: Dann liegt über dem ganzen Zuschauersaal sofort ein spannungsvolles, beklommenes Schweigen.

    Der Bochumer Spielzeitauftakt: Das ist jenseits aller Programmatik und Konzepte zum Politischen auf der Bühne vor allem auch ein großes Schauspielerfest.