Konstanzer Grenzzaun wandert ins Museum

"Wir nennen das Geschichte, die noch qualmt"

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Ein Zaun steht auf einer Wiese. Mit rot-weißem Folienband sind die Buchstaben für Kreuz-Stanz eingewoben.
Der Zaun trennte plötzlich die Städte Konstanz und Kreuzlingen. Es sei beängstigend gewesen, sagen Anwohner. © Landratsamt Konstanz
Von Thomas Wagner · 17.06.2020
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Die Trennung von Paaren und Familien durch einen Grenzzaun war für die Bürger von Konstanz und dem schweizerischen Kreuzlingen eine einschneidende Erfahrung. Wegen der Pandemie trennte ein Zaun die Städte. Der kommt jetzt ins Museum in Stuttgart.
"Tatsächlich, da war dieser Grenzzaun und es ging einfach nichts mehr. Und da wurde dieser Grenzzaun immer höher, immer massiver und Konstanz und Kreuzlingen waren wie Berlin eine geteilte Stadt. Es war beängstigend, weil man ja vorher einfach so rüber laufen konnte."
Der Konstanzer Willi Grossmann wird diesen Tag im Leben nicht mehr vergessen. Die deutsch-schweizerische Grenze: Seit Jahrzehnten als solche kaum mehr erkennbar. Doch über Nacht stand da dieser Zaun – unüberwindbar, vom Grenzschutz bewacht, vor allem aber: Trennend für all diejenigen, die bis zu diesem Zeitpunkt gute Nachbarschaft pflegten.

Händchen halten durch den Zaun

"Gleich am nächsten Morgen hatte ich die ersten Leute, die bei mir im Büro standen", erinnert sich Zeno Danner, Landrat im Landkreis Konstanz. "Die erste Dame hat zu mir gesagt: 'Ich stehe immer morgens um fünf in Bottighofen, das ist gleich hinter der Grenze, um meine Schwiegermutter in Konstanz zu pflegen. Komme ich da jetzt hin und her?' Das war vor allem am Anfang eine Schwierigkeit. Familien, wie kommen die hin- und her?"
Liebespaare, die durch den Grenzzaun auseinandergerissen wurden, konnten nur noch durch den weitmaschigen Zaun hindurch Händchen halten. Freunde durften sich nicht mehr treffen. Familien wurden auseinandergerissen.
Der Grenzzaun zwischen Konstanz und Kreuzlingen. Am Zaun hängt ein Transparent mit einem mahnenden Gedicht.
Liebespaare wurden auseinandergerissen und konnten nur noch durch den Zaun hindurch Händchen halten, erinnert sich der Landrat.© Landratsamt Kreuzlingen
"Also besonders angerührt hat mich die Geschichte eines kleinen Jungen, der nicht mehr zu seinem Vater konnte", berichtet Paula Lutum-Lenger, Direktorin im Stuttgarter "Haus der Geschichte". "Und wir haben dann mit meinen Kollegen beschlossen, dass wir uns um dieses Stück Zaun und um diese Grenzgeschichte und Grenzbeziehungen in Baden-Württemberg kümmern müssen!"

Ein Stück Geschichte

Bei Lutum-Lenger keimte eine Idee: Ein Grenzzaun, der binnen kürzester Zeit Anlass gibt für teils bizarre, teils ergreifende, teils traurige Geschichten, wäre doch ein willkommenes Exponat fürs "Haus der Geschichte".
"Wir nennen das ja Geschichte, die noch qualmt. Und das ist ja ein bisschen so bei diesem Zaun, kann man sagen: Die Geschichte qualmt, die Geschichte der Pandemie. Die Pandemie ist noch nicht Geschichte. Das ist noch nicht abgeschlossen, dieses Kapitel. Aber dieser Zaun ist hoffentlich schon Geschichte, also dieses Stück der Pandemiebewältigung."
Zukünftig wird der Grenzzaun im Stuttgarter "Haus der Geschichte" stehen. Für die Menschen von Konstanz und Kreuzlingen ist er bereits Geschichte.
Übergabe des Zauns an Museumsleiterin Paula Lutum-Lenger auf dem Bauhof von Konstanz.© Landratsamt Konstanz
Ein Zaun, der bei der Übergabe vom Landkreis Konstanz an die Museumsvertreter aus Stuttgart auf dem Betriebshof einer Straßenmeisterei, eher harmlos ausschaut. Mit gerade mal 300 Metern Länge ist das, was da in die Ausstellung kommt, allerdings nur ein kleiner Abschnitt aus dem großen, mehrere Kilometer langen Original.
Das Ding ähnelte beim ersten Hinsehen einem Bauzaun, gäbe es da nicht diese Aufschrift, die die Museumsleute aus Stuttgart in großen Buchstaben auf den Zaun gepinselt haben: "Kreuz-Stanz", liest Museumdirektorin Lutum-Lenger vor. "Das ist die Zusammenführung der beiden Orte Kreuzlingen und Konstanz, eine wunderbare kreative Idee, etwas zusammenzufügen, was zusammengehört."
Allerdings: Statt etwas zusammenzufügen, hat der deutsch-schweizerische Grenzzaun zwischen Kreuzlingen und Konstanz genau das Gegenteil bewirkt. Was längst zusammengefügt war, wurde wieder auseinandergerissen.

Von heute auf morgen Zäune in Europa

"Es ist ein ganz denkwürdiger Zaun aus ganz schwierigen Zeiten, also ein Objekt, das wohl niemand von uns vor drei Monaten auf der Agenda hatte, dass von heute auf morgen in Europa Grenzzäune errichtet und Grenzzäune wieder geschlossen werden und die Menschen nicht mehr zueinanderkommen. Und um diese Interaktionen, die unterbrochen sind, darzustellen und zu präsentieren. Was bedeutet das für die Menschen in dieser Grenzregion, für die das Rübergehen der Grenze so selbstverständlich war? Das war auf einmal unterbrochen."
"Ja, mein Garten, den ich im Tägermoos hatte, Tägermoos ist in der Schweiz, da durfte ich lange nicht hin. Das Gras stand so hoch", erzählt Gerda Binder. "Eigentlich bin ich auch erleichtert, weil mein Mann ist gebürtiger Schweizer. Der will immer seine Schweizer Zeitung. Und der Garten natürlich!"

Grenzen schließen geht gar nicht

Ein Glück, der Grenzzaun ist weg und die Grenzen zur Schweiz sind wieder offen. Gerda Binder ist Konstanzerin. Die Geschichte, die sie erzählt, ist eine der vielen Geschichten, die sich in den vergangenen Monaten am und rund um den ungeliebten deutsch-schweizerischen Grenzzaun abgespielt haben.
Geschichten, die dann durch Begleittexte, durch Fotos und Tondokumente wieder lebendigt werden, wenn der Grenzzaun erst einmal im Stuttgarter "Haus der Geschichte" einen würdigen Platz gefunden hat.
"Vielleicht eingereiht in andere Zäune, Grenzzäune. Da ist S 21, da sind Zäune anderer Proteste noch zu sehen, Mutlangen, Wyhl, all diese Themen. Und in diesem Kontext wird es dann gezeigt", blickt Paula Lutum-Lenger voraus.
Für den Konstanzer Landrat Zeno Danner ist der Zaun, wenn er dann mal im Museum zu sehen sein wird, eher ein Mahnmal mit einer politischen Botschaft. Was auch immer zukünftig passieren mag, Grenzen schließen, das geht gar nicht! Selbst wenn ein böses Virus wieder aufmuckt.
"Wir müssen gemeinsam und über die Grenzen hinweg die Pandemie bekämpfen oder ähnliche Situationen bewältigen, wenn sie dann mal kommen, und sollten eben nicht an der Farbe des Personalausweises so etwas festmachen."
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