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Großmeister der Geige

Historische Aufnahmen mit den großen Geigern Josef Suk und Michael Rabin stehen im Mittelpunkt der heutigen Sendung. Dabei handelt es sich vorwiegend um Einspielungen, die jetzt zum ersten Mal auf CD erschienen sind. Allein das macht sie nicht nur für Kenner und Sammler interessant.

Von Norbert Hornig | 01.04.2012
    Antonin Dvorák
    Aus: Romantische Stücke für Violine und Klavier op. 75
    1. Allegro moderato (Ausschnitt)
    Josef Suk (Violine)
    Josef Hála (Klavier)
    LC 00358 Supraphon SU 4075-2


    Josef Suk und Josef Hála interpretierten das "Allegro moderato" aus den "Romantischen Stücken" op. 75 von Antonin Dvorák.

    Diese Aufnahme von 1956 gehört zu einer Sammlung von gut sieben Stunden Kammermusik verteilt auf sechs CDs, die das tschechische Label Supraphon im Gedenken an Josef Suk herausgebracht hat. Der Geiger starb am 7. Juli des vergangenen Jahres 81-jährig in seiner Heimatstadt Prag. "Josef Suk - Early Recordings" lautet der Titel der Box mit Einspielungen von 1956 bis 1967, die ein markantes Porträt des Kammermusikers Josef Suk darstellen. Von den insgesamt 26 Aufnahmen sind elf CD-Erstveröffentlichungen.

    Josef Suk gehörte zu den Großen seines Faches, man muss ihn in einem Atemzug nennen mit Geigern wie David Oistrach, Arthur Grumiaux oder Henryk Szeryng. Lange war er der führende Repräsentant der tschechischen Violintradition. Seine internationale Karriere begann Mitte der 50er-Jahre, 2002 zog er sich, nach mehr als sechs Jahrzehnten, vom Podium zurück. Der Name Josef Suk steht für makelloses Geigenspiel, für Stilempfinden und Aufrichtigkeit des musikalischen Ausdrucks. Suks Intonationsgenauigkeit war frappierend, sein romantischer Ton betörte mit Sinnlichkeit und Intensität. Als Urenkel von Antonin Dvorák ehrte es ihn, wenn seine Dvorák-Interpretationen "authentisch" genannt wurden, doch als Spezialist für böhmische Komponisten hat sich Josef Suk nie gesehen. Und so überzeugt er in diesen auch klanglich hervorragenden historischen Aufnahmen nicht nur mit Werken von Dvorák, Smetana, Martinu und Janácek, sondern ebenso mit Mozart, Schubert, Brahms oder Grieg. Zu den Raritäten der Edition gehören die Duos für Violine und Violoncello von Bohuslaw Martinu und Zoltan Kodály sowie die Sonatine von Arthur Honegger, die Suk in den sechziger Jahren mit dem französischen Cellisten André Navarra einspielte:

    Arthur Honegger
    Aus: Sonatina für Violine und Violoncello
    3. Allegro (Ausschnitt)
    Josef Suk (Violine)
    André Navarra (Violoncello)
    LC 00358 Supraphon SU 4075-2


    Die meisten Aufnahmen spielte Josef Suk für Supraphon ein, und zwar so erfolgreich, dass er 1999 eine Platinschallplatte für mehr als eine Million verkaufte Tonträger erhielt.

    Immer wenn Josef Suk Werke von Dvorák oder von seinem Großvater aufführte, war er natürlich ganz in seinem Element und sah sich als Hüter einer großen Tradition:

    "Ich bin stolz darauf, dass ich solche Vorfahren gehabt habe. Mein Großvater war ein guter Geiger, er hat in dem Böhmischen Streichquartett gespielt, die zweite Geige. Also die Geige war in unserer Familie das Instrument."

    Das hört man auch dieser rasanten Aufnahme der Burleske aus den "Vier Stücken für Violine und Klavier" op. 17 an, die 1957 in Prag entstanden. Sie ist ein imposantes Tondokument des jungen Josef Suk, der sich zu dieser Zeit auf dem Sprung in die internationale Karriere befand:

    Josef Suk
    Aus: Vier Stücke für Violine und Klavier op. 17
    4. Burleske
    Josef Suk (Violine)
    Jan Panenka (Klavier)
    LC 00358 Supraphon SU 4075-2


    Nicht so lang wie die Karriere von Josef Suk währte die solistische Laufbahn des amerikanischen Geigers Michael Rabin. Sein Aufstieg in die geigerische Weltelite verlief geradezu kometenhaft, am Ende stand jedoch die Tragik des frühen Abstieges und eines rätselhaften Todes.

    Violinenthusiasten sprechen noch immer mit größter Bewunderung von diesem legendären Geiger, der schon als Kind sein Instrument phänomenal beherrschte. Zum vierzigsten Todesjahr des Geigers ist auf dem englischen Label Testament jetzt, neben einer Neuauflage der Studioaufnahmen von EMI, die Edition "Michael Rabin - The Unpublished Recordings" erschienen. Auf drei CDs sind hier bislang unveröffentlichte Aufnahmen versammelt, die in drei wesentlichen Stadien von Rabins Karriere entstanden: in den frühen Wunderkindjahren, der besonders erfolgreichen mittleren Periode und kurz vor seinem Tod.

    Zum ersten Mal ist hier unter anderem zu hören, wie brillant Rabin im Alter von elf Jahren Paganini spielte:

    Nicolò Paganini
    Caprice Nr. 5 a-Moll
    Michael Rabin (Violine)
    LC 03573 Testament SBT3 1470


    Die Caprice Nr. 5 von Nicolò Paganini mit Michael Rabin, aufgenommen während eines Recitals im Dezember 1947. Dieses Livekonzert wirft ein erstes Schlaglicht auf eine der außergewöhnlichsten geigerischen Begabungen des 20. Jahrhunderts. Kurz zuvor war Rabin in die Violinklasse von Ivan Galamian gekommen, die Fähigkeiten des Jungen machten selbst diesen sprachlos: "Ein ganz außergewöhnliches Talent - keine Schwächen, niemals" - keinem seiner Schüler, zu denen auch Itzhak Perlman und Pinchas Zukerman gehörten, erteilte der große Violinpädagoge je ein solches Lob. Schon 1950 gelang Rabin der große Durchbruch, nach seinem Debüt in der Carnegie Hall sah die "New York Times" in ihm bereits einen "vollkommenen Künstler".

    Schon als Teenager führte Rabin das Leben eines reisenden Virtuosen, früh begann er, erste Schallplatten einzuspielen. Die meisten Aufnahmen entstanden zwischen 1954 und 1960 für Capitol und EMI Records, sie besitzen heute Kultstatus. Mit haarsträubender Technik und sinnlich schwärmendem Ton präsentierte sich Rabin hier im Zenit seines Könnens als romantischer Virtuose par excellence. Rabins Spiel scheint von unfehlbaren geigerischen Instinkten gesteuert, es besitzt etwas geradezu Manisches und gleicht in vielem dem Espressivo eines "Belcanto"-Sängers. Eine CD der neuen Testament-Edition enthält auch eine Sammlung von Virtuosenstücken. Es sind die letzten Studioaufnahmen, die Rabin 1960 für Capitol Records machte, die aber aus unbekannten Gründen damals nicht veröffentlicht wurden.

    William Kroll
    Banjo and Fiddle (Ausschnitt)
    Michael Rabin (Violine)
    Brooks Smith (Klavier)
    LC 03573 Testament SBT3 1470


    Über ein Jahrzehnt lang war Michael Rabin rastlos durch die Konzertsäle der Welt geeilt und hatte dabei über eine Million Flugmeilen zurückgelegt. Doch die Anstrengungen dieses aufreibenden Lebens forderten ihren Tribut. Rabins Leistungen begannen zu schwanken, Gerüchte von Zusammenbrüchen und psychischen Problemen, von Medikamenten- und Drogenmissbrauch machten die Runde. Eine Zeit lang zog er sich vom Podium zurück, schaffte dann aber ein Comeback. Dennoch endete das Leben dieses außergewöhnlichen Künstlers tragisch. Gerüchte über Selbstmord kursierten, als Rabin am 19. Januar 1972 tot in seiner New Yorker Wohnung aufgefunden wurde. Vermutlich war die Todesursache aber eine schwere Kopfverletzung, die er sich - unter dem Einfluss von Medikamenten - bei einem Sturz zugezogen hatte. Michael Rabin starb im Alter von nur 35 Jahren. Man kann mutmaßen, wie wunderbar Rabin die vielen Meisterwerke des Violinrepertoires gespielt hätte, für deren Studium ihm nicht die Zeit geblieben war. Die Edition von Testament hat glücklicherweise eine Einspielung des Violinkonzertes von Johannes Brahms zugänglich gemacht, ein Werk, das Rabin nie für Capitol Records oder EMI eingespielt hat. In dieser Liveaufnahme von 1970 mit dem San Diego Symphony Orchestra unter der Leitung von Zoltán Rozsnyai ist noch einmal der späte Michael Rabin zu erleben, zwei Jahre vor seinem allzu frühen Tod.

    Johannes Brahms
    aus: Violinkonzert D-Dur op. 77
    3. Satz (Allegro giocoso, ma non troppo vivace)(Ausschnitt)
    Michael Rabin (Violine)
    San Diego Symphony Orchestra
    Leitung: Zoltán Rozsnyai
    LC 03573 Testament SBT3 1470


    Heute stellten wir Ihnen Veröffentlichungen aus dem Bereich "Historische Aufnahmen" vor, Einspielungen mit den Geigern Josef Suk und Michael Rabin, von denen die meisten zum ersten Mal auf CD veröffentlicht wurden. Sie sind bei Supraphon beziehungsweise auf dem Label Testament erschienen.


    Diskografie

    Josef Suk: "Early Recordings"
    LC 00358 Supraphon SU 4075-2

    Michael Rabin: "The Unpublished Recordings"
    LC 03573 Testament SBT3 1470