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Grüne Umweltministerin in Thüringen
Schwerer Abschied vom Mandat

Die Trennung von Amt und Mandat gehört bei den Grünen schon zur politischen Tradition. In Thüringen hadern viele in der Partei mit Umweltministerin Anja Siegesmund, denn die lässt sich mit ihrem Verzicht auf das Abgeordnetenmandat Zeit.

Von Henry Bernhard | 09.04.2015
    Anja Siegesmund ist endlich da angekommen, wo sie vermutlich ihrer Meinung nach schon lange hingehört: Sie ist Ministerin im Thüringer Umweltministerium. Und nebenbei hat sie noch ein Abgeordnetenmandat. Das ist legal und wird bundesweit praktiziert, nicht nur in Thüringen: "Das Mandat hat ja keiner geschenkt bekommen! Ich bin Spitzenkandidatin von Bündnis 90/ Die Grünen gewesen und als solche auf Listenplatz 1 mit dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger für uns Grüne eingezogen."

    Und deshalb würde Anja Siegesmund auch gern bleiben im Erfurter Landtag. Rein formal natürlich und nur für Abstimmungen. Zeit, in Ausschüssen herumzusitzen und komplizierte Anträge auszuarbeiten, dafür wird man als Ministerin wohl keine Zeit mehr finden. Ein Gutes hat so ein politischer Doppelschlag natürlich außerdem: Es verbessert den Kontakt zum Landtag und auch das Einkommen - immerhin 1.755 Euro zusätzlich zum Ministergehalt - und falls es mit dem Ministeramt nicht so gut läuft, bietet das Landtagsmandat ein willkommenes Sicherheitsnetz. Also alles wohl geplant - wäre da nicht ihre eigene Partei: Die hatte nämlich schon 1980 die Trennung von Amt und Mandat in ihrer Satzung beschlossen. Astrid Rothe-Beinlich - grünes Urgestein in Thüringen, parlamentarische Geschäftsführerin der Landtagsfraktion und zudem Dauerkonkurrentin von Anja Siegesmund - lässt es sich nicht nehmen, genau das einzufordern: "Das ist ein zutiefst verinnerlichtes grünes Beispiel von Gewaltentrennung. Eine Partei soll ja auch gucken: Was machen die da im Parlament? Und insofern glaube ich, dass die Trennung von Amt und Mandat bei den Grünen was ist, was sich durchaus bewährt hat, auch wenn es nicht mehr überall praktiziert wird."
    Entscheidung zu gegebener Zeit
    Die Grüne Basis sieht das genauso. Die brachte auf der Landesdelegiertenkonferenz im November einen Antrag, der "das gleichzeitige Ausführen eines Regierungsamts und eines Abgeordnetenmandats für grundsätzlich unvereinbar" erklärt. Der Antrag wurde angenommen, und er hat Anja Siegesmund nicht begeistert - um es freundlich zu formulieren. Aber da ist ja noch die Frist von "maximal einem Jahr", innerhalb der sie das Mandat abgeben soll. So steht es im Beschluss. "Genau! Innerhalb eines Jahres. Und das gibt mir noch etwas Raum und Zeit. Und das werde ich auch zu gegebener Zeit dann entscheiden."

    "Zu gegebener Zeit": Und die geht noch ein Weilchen, bis Ende November, um genau zu sein. Zeit, in der eine Arbeitskraft in der grünen Fraktion fehlt, in der fünf Abgeordnete die Arbeit von sechs machen müssen. Doch statt sich zu ärgern - freut sich der Fraktionsvorsitzende Dirk Adams höflich über die Mehrarbeit - zumindest, wenn er öffentlich redet: "Das ist sicher schwierig, ist eine große Herausforderung für uns Abgeordnete. Wir werden am Ende dieses Plenums, wenn wir zwei Untersuchungsausschüsse auf den Weg gebracht haben, jede und jeder Abgeordnete drei Ausschüsse betreuen. Das ist nicht leicht, aber wir machen das gerne. Weil: Wir haben ein Regierungsmitglied in unserer Fraktion, und der stärken wir auch gern den Rücken."
    Der Nachrücker macht sich schon bereit
    Nicht alle in der Grünen-Fraktion formulieren das so gewandt. Einige sind sogar ziemlich sauer, über das Verhalten ihrer Parteikollegin. Ins Mikrofon aber sagt man das lieber nicht. Selbst Carsten Meyer, ehemaliger grüner Landtagsabgeordneter, formuliert vorsichtig: "Für die Fraktion macht es die Sache natürlich nicht einfacher. Weil wir wenig genug Menschen in der Fraktion sind; und natürlich kann eine Ministerin nicht die normale Fraktionsarbeit täglich mit bewältigen. Das ist schwierig, ja."

    Schwierig. Auch für Siegesmunds Nachrücker, der in den Landtag einziehen wird, wenn sie ihr Mandat dann zurückgibt. Olaf Müller läuft sich schon mal warm, nimmt an Fraktionssitzungen teil, aber er drängelt nicht. "Das sind natürlich so Begebenheiten, die man von außen, quasi als Abgeordneter in Warteposition, nicht wirklich beeinflussen kann. Und ich versuche, soweit es in meinen fachlichen und zeitlichen Rahmen hineinpasst, auch den einen oder anderen auch in seiner Arbeit mit zu unterstützen."

    Anja Siegesmund will's sich mit der Basis nicht verscherzen - nichts ist schlimmer, als die eigene politische Unglaubwürdigkeit. "Im Herbst" will sie ihr Landtagsmandat zurückgeben. Wann genau das sein soll - also vor Ablauf der Frist im November, lässt sie offen. Ein Schelm, der denkt, dass dies zusammenhängen könnte mit einem Datum, das für die Umweltministerin nicht ganz unerheblich ist: Ab dem 29. September ist die 38-Jährige nämlich seit sechs Jahren Landtagsabgeordnete und hat dann Anspruch auf Altersentschädigung zum Renteneintritt. 1.300 Euro beträgt die monatlich, plus Inflationsausgleich - bis zum Lebensende. Nicht unerheblich. Aber wie waren noch mal gleich ihre Argumente, ihr Mandat erst im Herbst zurückzugeben?
    "Das macht uns unverwechselbar"
    "Ich bin Spitzenkandidatin von Bündnis 90/ Die Grünen gewesen und als solche auf Listenplatz 1 mit dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger für uns Grüne eingezogen. Und das erfordert dann einfach auch den nötigen Spielraum für Entscheidungen."

    Ein Versorgungsskandal ist es nicht, sondern gängige parlamentarische Praxis. Aber es ist ein Zeichen dafür, dass auch die moralinsauren Grünen, wenn sie denn mal an den Fleischtöpfen angekommen sind, gern mit großen Löffeln zulangen. Der Ur-Grüne Carsten Meyer wird da gern grundsätzlich. "Ich gehöre fast zu den Gründungsmitgliedern der Grünen in Westdeutschland. Das war natürlich eines unserer Grund-Dogmen schon fast, zu sagen, wir möchten politische Macht haben, aber wir möchten sie gerne begrenzen bei einzelnen Personen. Und das halte ich nach wie vor für richtig und wichtig. Das zeichnet uns aus; das macht uns unverwechselbar."

    Kleine Randbemerkung: Auch der Grüne-Landesvorsitzende Dieter Lauinger muss den Parteivorsitz niederlegen, weil er Minister geworden ist. "Zeitnah" steht im Parteitagsbeschluss. Was "zeitnah" bedeutet? Justizminister Lauinger ist sich da ganz sicher über die korrekte Auslegung eines schwammigen Begriffs. "Zeitnah heißt: Im Laufe des Jahres 2015."

    Natürlich kann man das so sehen. Aber man spürt, dass hier der Begriff und die Zeit gedehnt werden.