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Grünen-Chefin Annalena Baerbock
"Sparen kein CO2 ein, indem wir gute Überschriften produzieren"

Dass die CSU endlich aufgewacht sei und "feststellt, dass die Klimakrise eine der größten Herausforderungen unserer Zeit ist, sei nicht nur überfällig, sondern auch gut, sagte Grünen-Chefin Annalena Baerbock im Dlf. Allerdings wisse sie auch nicht, welche Vorschläge von CSU-Chef Söder wirklich ernst gemeint seien.

Annalena Baerbock im Gespräch mit Stefan Heinlein | 01.08.2019
Grünen-Chefin Annalena Baerbock während einer Rede auf der Landesdelegiertenkonferenz NRW
"Mit schönen Worten allein retten wir das Klima eben auch nicht", sagte Grünen-Chefin Annalena Baerbock im Dlf (imago images / Sven Simon)
Stefan Heinlein: Wer in diesen Tagen die Nachrichten aufmerksam verfolgt, der kann den Eindruck bekommen, Deutschland wird zur Klimarepublik. In rascher Folge immer neue Vorschläge, eine Art Klimawettrennen der Parteien von links nach rechts. Alle Politiker, so scheint es, machen das Thema zur politischen Herzensangelegenheit. Besonders laut tönt es in diesen Sommerwochen aus Bayern: Klimaschutz ins Grundgesetz, ein Jahrhundertvertrag für Nachhaltigkeit, preiswerte Bahntickets oder zuletzt: Verbot von Plastiktüten. Ministerpräsident Söder will sich mit einer bayrischen Ökooffensive offenbar an die Spitze der Bewegung setzen. Doch es gibt auch Kritik: Alles nur Effekthascherei, nur Ankündigungspolitik, so die Opposition in München, und auch die Grünen fordern keine Absichtserklärungen, sondern von der Bundesregierung jetzt endlich Butter bei die Fische. Darüber möchte ich jetzt reden mit der Bundesvorsitzenden der Grünen, Annalena Baerbock. Guten Morgen, Frau Baerbock!
Annalena Baerbock: Schönen guten Morgen!
Heinlein: Es grünt so grün in der Republik, selbst im tiefschwarzen Bayern. Frau Baerbock, macht Ihnen Markus Söder in diesen Tagen so richtig Freude?
Baerbock: Leider grünt es ja derzeit in Deutschland nur in Teilen, weil wir aufgrund der Hitze viel Trockenheit haben, aber dass die CSU jetzt endlich aufgewacht ist und feststellt, dass die Klimakrise eine der größten Herausforderungen unserer Zeit ist, das ist nicht nur überfällig, sondern das ist gut, weil wir können als grüne Partei nicht alleine diese Jahrhundertaufgabe lösen, sondern dafür braucht es nicht nur alle demokratischen Kräfte, sondern dafür brauchen wir Gewerkschaften, dafür brauchen wir die Industrie. Deswegen ist es mehr als überfällig, jetzt endlich was zu tun, aber mit schönen Worten allein retten wir das Klima eben auch nicht.
Wichtigstes Gesetz wäre ein Klimaschutzgesetz
Heinlein: Wo sehen Sie als Grüne denn die Schnittmengen, die Gemeinsamkeiten mit den Klimavorschlägen des bayrischen Ministerpräsidenten?
Baerbock: Das ist schwer zu sagen, weil was Herr Söder da jetzt vorschlägt, da weiß ich jetzt nicht, was wirklich ernstgemeint ist oder nicht. Zentral ist, es gibt das Pariser Klimaabkommen, das schreibt uns ganz genau vor, was wir zu tun haben, nämlich bis 2050 nur noch so viel CO2 auszustoßen wie unser natürliches Lebenssystem auch aufnehmen kann, und das bedeutet natürlich, dass wir aus der Kohle aussteigen müssen, und zwar zügig, und wenn Herr Söder das jetzt auch will, dann sollte er – weil seine Partei regiert ja anders als wir Grünen derzeit mit im Bund – dafür sorgen, dass wir endlich ein Kohleausstiegsgesetz auf den Weg bringen, und Vorschläge zu einer Mobilitätswende, da sind wir voll mit dabei. Natürlich müssen wir die Bahn ausbauen, aber all das passiert nicht von selbst, indem man Überschriften produziert, sondern dafür braucht es vernünftige Gesetze, und das wichtigste Gesetz wäre dann ein Klimaschutzgesetz, wo für alle Sektoren, also für den Verkehr, für die Energie, für die Wärme, für die Industrie vorgeschrieben ist, wie viel CO2 in den nächsten Jahren wann, wo, an welcher Stelle und durch welche Maßnahmen eingespart wird.
Heinlein: Welche Motive, Frau Baerbock, vermuten Sie denn hinter dieser klimapolitischen Offensive von Markus Söder? Markus Söder ist ja nicht allein, auch die Bundesregierung, also Minister Scholz hat ja gestern ein großes Paket vorgelegt für die E-Mobilität. Welches Motiv vermuten Sie hinter dieser Ökooffensive der anderen Parteien? Ist das Taktik, das Schielen auf den Wähler oder echte Sorge um unseren Planeten?
Baerbock: Das muss man dann die entsprechenden Herren selber fragen, aber also was schon ja klar ist, dass die Demonstrationen der Schülerinnen und Schüler nicht unbemerkt an, glaube ich, allen in diesem Land oder allen auf der Welt vorbeigegangen sind. Deswegen waren die Fridays for Future-Proteste auch so wichtig und sind nach wie vor so zentral, aber wir haben auch – und das ist mir total wichtig – seit fast fünf Jahren das Pariser Klimaabkommen, das ist ein völkerrechtlicher Vertrag, da haben sich alle Staaten der Welt drauf verpflichtet, wir haben das im Deutschen Bundestag noch in der letzten Legislatur mit allen Fraktionen – damals waren die AfD und die FDP noch nicht drin – einstimmig entschieden, dass wir das umsetzen. Das heißt, der Handlungsdruck, der besteht schon seit ein paar Jahren, und auch ein Konsens darüber, dass Deutschland dieses Pariser Klimaabkommen erfüllen will, das haben wir völkerrechtlich unterschrieben. Ich hoffe, dass es unterschiedliche Punkte sind, und sicherlich trägt der heiße Sommer beziehungsweise diese Wetterextreme, die wir überall spüren – Starkregen, dann wieder absolute Hitze –, dass man immer wieder Erschreckendes aus der Arktis hört, das trägt sicher bei vielen dazu bei zu sagen, okay, vielleicht sollten wir uns jetzt doch mal überlegen, dass wir es endlich anpacken, aber das muss man dann auch tun.
"Finde es absolut falsch, wenn man jetzt nur parteitaktisch guckt"
Heinlein: Das haben wir jetzt verstanden, Frau Baerbock. Wie große ist denn Ihre Sorge, dass Union und SPD und auch die anderen Parteien am klima- und umweltpolitischen Markenkern Ihrer Partei knabbern? Das ist ja Ihr Markenkern, damit gehen Sie auf den politischen Markt. Wie groß ist die Sorge, dass dadurch die anderen Parteien Ihnen Stimmen abnehmen bei den Wählern?
Baerbock: Für mich, und ich glaube, für viele Menschen in diesem Land, ist das ein so großes Thema, weil man das überall zu spüren bekommt, zum einen die Auswirkungen, aber zum anderen ist es auch nicht so, dass wir jetzt Klimaschutzmaßnahmen einfach im Klacks nebenbei machen, sondern das wird ein großer Umbau unseres Industriestandortes, die Art und Weise wie wir leben, wie wir arbeiten, wie wir uns fortbewegen, die wird sich verändern. Da stecken viele Chancen drin, aber natürlich auch viele Umbrüche, mit Blick auf Beschäftigte, mit Blick auf neue Technologiefelder, mit Blick auf Forschung und Entwicklung, von der wir noch gar nicht wissen, was da kommt. Das ist eine große Aufgabe, und deswegen finde ich es absolut falsch, wenn man jetzt nur parteitaktisch guckt, nutzt uns das, schadet uns das, wenn die anderen das machen, sondern, wie gesagt, dieses Thema ist so groß und so zentral, dass nicht nur alle Parteien in Deutschland gemeinsam dran arbeiten sollten, sondern dass wir da länderübergreifend dran arbeiten sollten, und deswegen gehört die Klimaschutzpolitik auch als Nummer-eins-Thema auf die Agenda der Europäischen Union. Europa muss zur Klimaunion werden, wenn wir das Pariser Klimaabkommen erhalten wollen.
Heinlein: Also ist das, Frau Baerbock, was die CSU, was Markus Söder, was die Bundesregierung in den vergangenen Tagen und Wochen auf den politischen Markt bringen in Sachen Klimaschutz, das ist auch für Sie mehr als nur ein grüner Anstrich auf die rote beziehungsweise schwarze Fassade.
Baerbock: Nein, wie gesagt, das kann ich nicht beurteilen, weil wir sparen keine einzige Tonne CO2 ein, indem wir gute Überschriften produzieren, sondern wie wir richtig CO2 einsparen würden, ist, dass sie jetzt endlich ein Kohleausstiegsgesetz auf den Weg bringen. Die Kohleverstromung ist nach wie vor …
"Wir haben ein Kohleausstiegsgesetz in der Schublade"
Heinlein: Also es bleibt ein Misstrauen gegenüber der CSU und der Bundesregierung, dass sie es nicht so richtig ernst meinen mit dem Klimaschutz. Höre ich das richtig raus aus Ihren Worten?
Baerbock: Ja, weil ansonsten hätte man ja auch ein Gesetz vorgelegt. Also im Koalitionsvertrag – und die CSU ist ja Teil dieser Koalition – hat man festgeschrieben, dass eigentlich die Energiewende der Kernpfeiler der GroKo-Klimapolitik sein sollte. Die traurige Wahrheit ist, dass im ersten Halbjahr diesen Jahres so wenige Windräder aufgestellt wurden wie noch nie in Deutschland seit Beginn der Energiewende. Wir haben ein Kohleausstiegsgesetz in der Schublade. Das haben ja Gewerkschaften, Industrievertreter, Umweltverbände gemeinsam erarbeitet, weil die Große Koalition es nicht gebacken bekommen hat. Das liegt seit einem halben Jahr in der Schublade, und die Kohlekraftwerke laufen weiter beziehungsweise manche werde reduziert, weil sie sich wirtschaftlich schon allein nicht mehr lohnen. Es sollte eine Kommission für Verkehr geben, wo man ja über genau sowas, was Herr Söder vorgeschlagen hat, Bahntickets zu reduzieren, aber auch: wie schaffen wir endlich das Ende des fossilen Verbrennungsmotors, Tempolimit. Da gibt es einen Zwischenbericht, und der wurde dann auch einfach wieder zu den Akten gelegt, und der Verkehrsminister, der ja auch von der CSU ist, kümmert sich nicht um seinen Verkehrsbereich.
Heinlein: Frau Baerbock, das klingt dann doch ein bisschen so, als ob Sie denken, wir Grünen, wir sind das Original in Sachen Klimaschutz, das ist unsere Baustelle, Ökologie, Umwelt, ihr habt da nichts zu suchen, liebe CSU, nur wir können es gut, wir können es besser, lasst bitte die Finger davon.
Baerbock: Nein, also ich glaube, das habe ich in den letzten Antworten definitiv nicht gesagt, sondern ich würde mir wünschen, dass wir das gemeinsam als Parteien, aber, wie gesagt, als Gesellschaft insgesamt angehen könnten, weil diese große Transformation, die auch viele Herausforderungen mit sich bringt, Know-How von Ingenieuren, die Frage von Arbeitsplätzen, das schaffen wir nicht als eine Partei gemeinsam, aber wir kommen auch kein Stück weiter, wenn man einfach nur heiße Luft produziert, sondern wir brauchen endlich ein Klimaschutzgesetz, wir brauchen ganz konkrete Maßnahmen, weil CO2 verschwindet nicht von selbst aus der Luft, sondern wir müssen unseren Ausstoß deutlichst reduzieren, und damit müssen wir jetzt beginnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.