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Grünen-Europapolitiker befürwortet Militärschlag gegen Syrien

Ein Militäreinsatz in Syrien sei keine Strafaktion gegen Präsident Assad und führe auch nicht zur Lösung des Syrienkonflikts, betont der Abgeordnete der Grünen im Europaparlament, Werner Schulz. Es gehe allein darum, dem Regime die Möglichkeit zu nehmen, weiterhin Chemiewaffen einzusetzen.

Werner Schulz im Gespräch mit Dirk Müller | 05.09.2013
    Dirk Müller: Wird sich Wladimir Putin bewegen in Richtung Militärschlag, wie ist die deutsche Haltung? Dazu bei uns jetzt am Telefon der grüne Europaabgeordnete Werner Schulz, ausgewiesener Russlandkenner und Außenpolitiker. Guten Morgen!

    Werner Schulz: Ja, schönen guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Schulz, machen Sie wenigstens mit mit Barack Obama?

    Schulz: Ja, also ich verstehe auf jeden Fall, dass Barack Obama bemüht ist, diese Situation in Syrien aufzulösen und diesen unglaublichen Einsatz von Massenvernichtungswaffen nicht ungeschehen zu lassen oder zumindest eine Reaktion darauf zustande zu bringen. Und insofern wird es enorme Gespräche geben in Sankt Petersburg, nehme ich an.

    Müller: Sie sagen, Reaktion. Sie meinen mit Reaktion Raketen?

    Schulz: Na ja, schauen Sie, diese 'Responsibility to Protect', die Schutzverpflichtung der Völkergemeinschaft bei einem derartigen Massenmord oder bei dem Einsatz von Chemiewaffen, haben wir ja seit dem Völkermord in Ruanda oder diesen ethnischen Säuberungen auf dem Balkan. Die Verpflichtung, dass so etwas zur Vergeltung führen muss beziehungsweise dass man diesen Leuten das Handwerk legt, dass man ihnen die Möglichkeiten nimmt, weitere solche Giftgaseinsätze durchzuführen. Darum geht es. Das ist nicht irgendwo eine Strafaktion, sondern es geht darum, dass man Assad die Möglichkeit nimmt, weiterhin Chemiewaffen herzustellen – falls er sie überhaupt selber hergestellt hat. Dieses Material könnte ja auch aus Russland stammen, das ist im Moment alles noch nicht ganz klar, aber die Lagermöglichkeiten zu zerstören und auch die Abschusstechnik zu nehmen, also dass keine weiteren Giftgasangriffe passieren. Das ist ja nicht der einzige in Damaskus gewesen, es sind ja viele kleinere Vorfälle in diesem Syrienkonflikt schon gewesen.

    Müller: Herr Schulz, das müssen Sie jetzt noch mal erklären, bitte: Sie sagen Vergeltung ja, aber keine Strafmaßnahme. Der Unterschied zwischen Vergeltung und Bestrafung?

    Schulz: Ja, was heißt Strafe? Man bestraft jetzt nicht Assad, sondern man nimmt ihm die Möglichkeit. Es geht darum, die Möglichkeit zu zerstören, weiterhin solche Waffen einzusetzen. Das ist der entscheidende Punkt, glaube ich, also dieses Wording oder die Begriffe, die da im Umlauf sind, also Strafaktion, Vergeltung, symbolische Aktion, das halte ich für falsch. Ich glaube, es geht wirklich darum, die Möglichkeit zu nehmen, weiterhin chemische Waffen einzusetzen. Soweit das militärisch möglich ist, das kann ich nicht beurteilen. Aber darum geht es im Moment. Weil würde es keine Reaktion geben, ermuntert man solche Diktatoren, weiterhin solche Waffen einzusetzen, vielleicht noch in einer größeren Dimension sogar.

    Müller: Wir können das also festhalten, Werner Schulz, grüner Politiker im Europäischen Parlament, ist für den Einsatz eines Militärschlages gegen Assad.

    Schulz: Also in einer gewissen Weise ja, klar, weil die UNO-Konzeption der 'Responsibility to Protect' sieht so etwas vor. Natürlich muss das völkerrechtlich abgesichert sein – wobei das bereits Völkerrecht ist, und wir dürfen auch nicht zulassen, dass das Völkerrecht eine Geißel in der Hand von Herrn Putin ist, der nun seit zwei Jahren jegliche Resolution im Sicherheitsrat blockiert. Im Windschatten von Russland bewegt sich dann auch China mit solchem Veto. Sondern es gibt ja auch die Generalversammlung. Und die Einberufung der Generalversammlung würde eine solche Reaktion dann auch völkerrechtlich legitimieren.

    Müller: Die Beweise reichen für Sie aus, dass es genau so gewesen ist, wie Barack Obama sagt?

    Schulz: Na gut, das ist noch ein wunder Punkt. Ich habe diese Beweise noch nicht gesehen, die müssten natürlich auch öffentlich gemacht werden. Da hat Putin recht, die müssen dem Sicherheitsrat vorgelegt werden. Das ist bisher immer nur in Andeutungen geschehen. Also dass der amerikanische Geheimdienst über Beweise verfügen würde, der BND über Beweise verfügen würde. Wir selbst haben solche Beweise noch nicht präsentiert bekommen. Andererseits, die krude These von Herrn Putin, der sagt, also auch er, Russland, wäre für einen Militärschlag bereit, nur ist seiner Auffassung nach das Giftgas von den Rebellen eingesetzt worden, das ist natürlich noch viel gewagter. Also ich weiß auch nicht, ob wir weiterkommen, abzuwarten, bis die UNO-Mission ausgewertet worden ist, weil die UNO-Mission ist in einer gewissen Weise eine Farce. Also festzustellen, dass da Giftgas eingesetzt worden ist, ich glaube, diese Beweise haben wir, dass Giftgas eingesetzt worden ist. Das haben die Ärzte, die vor Ort die Menschen behandelt haben und feststellen mussten, dass da offenbar Sarin eingesetzt worden ist, uns schon gesagt. Dass die UNO-Mission nichts sagen kann oder sagen wird, von welcher Seite das eingesetzt worden ist, das ist die absolute Schwachstelle. Denn das ist ja eigentlich das, worauf es ankommt: Wer hat dieses Giftgas eingesetzt?

    Müller: Ja, aber sind Sie denn da sicher, dass die UNO das nicht machen wird? Das heißt, die UNO wird doch von innen oder von außen wie auch immer manipuliert?

    Schulz: Nein, aber man versucht, seine politischen Interessen da durchzusetzen, und verhindert praktisch, dass ein solches Mandat, ein ganz klares Mandat vergeben worden ist, also feststellen, dass Giftgas eingesetzt worden ist, möglicherweise auch die Substanz selbst, und von welcher Seite. Aber all die Indizien, die wir haben, also dieser Großeinsatz, dass es an acht unterschiedlichen Stellen passiert ist, dass es mit einer relativ komplizierten Technik auch passiert ist, also mit Raketen verschossen worden ist oder Bomben verschossen worden ist, das deutet eindeutig darauf hin, dass das nicht von den Rebellen passiert ist, weil sie über diese Technik nicht verfügen.

    Müller: Reden wir noch mal über Moskau, über Wladimir Putin, Herr Schulz, über den Kreml-Chef. Wir haben das gestern in der Redaktion etwas anders verstanden. Das Interview, was Wladimir Putin im Fernsehen gegeben hat, da soll er ja gesagt haben, er ist unter bestimmten Bedingungen bereit, sich an diesem Militärschlag zu beteiligen oder zumindest auch grünes Licht politisch von seiner Seite aus zu geben. Diese Stelle, die Sie eben zitiert haben, dass sich das ausschließlich auf die Rebellen dann als Ursache bezieht, das haben wir hier so nicht mitbekommen. Dennoch, es hat ja gestern einerseits dieses vermeintliche Einlenken, dieses Angebot von Putin, zumindest rhetorisch, gegeben. Auf der anderen Seite hat er nachher ein Interview gegeben – wir haben die Agenturen hier vorliegen –, wo er sagt, Colin Powell hat damals gelogen, international, die ganze Welt belogen, und John Kerry hat das auch jetzt getan. Spielt er mit allen?

    Schulz: Ja, das ist tatsächlich der Fall, das ist ein wirklicher Zynismus. Auf der einen Seite sagt er, er kann sich vorstellen, dass sich Russland an einer militärischen Operation beteiligt, auf der anderen Seite sagt er, er geht davon aus, dass die Rebellen das Giftgas eingesetzt haben. Das heißt also eine militärische Aktion gegen die Rebellen, das ist die Schlussfolgerung aus seiner Aussage. Und was die Beweisführung damals im Irakkrieg anbelangt, als Colin Powell angebliche Chemiewaffenproduktionsstätten im Sicherheitsrat vorgeführt hat: Richtig, das hat sich als falsch erwiesen. Bloß, wir haben einen Unterschied jetzt in Syrien: Es geht nicht mehr darum, dass es da eventuell Produktionsstätten gibt, sondern es ist Giftgas eingesetzt worden, das ist der große Unterschied. Das Einzige, was noch nicht klar bewiesen ist – und da müssen wirklich die Beweise auf den Tisch: von wem es eingesetzt worden ist. Wie gesagt, die Indizien, über die wir verfügen, deuten eindeutig darauf hin, dass es auf der Seite von Assad passiert ist. Ob das nun von der Regierung selbst ausgelöst worden ist oder ob es der blindwütige jüngere Bruder von Assad war, der die Nationalgarden befiehlt – gut, das wird man vielleicht nicht ganz klären können, aber das spielt auch eine Rolle in diesem Zusammenhang.

    Müller: Herr Schulz, ich muss noch eine Frage loswerden, wir haben nicht mehr so viel Zeit: Gesetzt den Fall, es kommt zu einem Militärschlag, geführt durch Washington und Paris, Sie würden das unterstützen, haben Sie gerade gesagt. Reicht es dann aus deutscher Sicht, gute Ratschläge zu geben?

    Schulz: Nein. Niemand verfügt hier auch über gute Ratschläge. Es ist auch nicht die Lösung des Syrienkonfliktes. Es ist im Grunde genommen nur das Achtungszeichen, dass solche Waffen nicht mehr eingesetzt werden, weil sie international geächtet sind.

    Müller: Also deutsche Beteiligung war im Grunde die Frage.

    Schulz: Weil Syrien auch diese Konvention zum Nichteinsatz von Chemiewaffen unterzeichnet hat. Aber schauen Sie, auch Putin ist ja in der Hinsicht sehr zynisch, also er ist ja nicht zimperlich, Giftgas einzusetzen. Überlegen Sie oder denken Sie allein an das Geiseldrama im Südtheater Nord-Ost vor elf Jahren, da wurde Sarin oder Giftgas eingesetzt, da sind 130 Geiseln umgekommen. Das heißt, der Autokrat, der russische Autokrat Putin hat ein großes Verständnis für das brutale Vorgehen von Diktatoren, sei es Lukaschenko oder Assad. Ich hoffe sehr stark, dass die Kanzlerin ihn bewegen kann – sie hat ja Einfluss auf ihn, er sagt ja gelegentlich, sie hat wieder mit mir geschimpft –, vielleicht soll sie das wieder ausdrücklich tun.

    Müller: Herr Schulz, deutsche Beteiligung, ja, oder nein? Wir haben noch ein paar Sekunden.

    Schulz: Nein, wir können uns nicht beteiligen, das ist ganz klar.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der grüne Europaabgeordnete und Russlandkenner Werner Schulz. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.