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Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter
"Eine Maut nur für Ausländer ist nicht europarechtskonform"

Der Bundestag hat die Pkw-Maut in überarbeiteter Form beschlossen. "Die EU-Kommission hat es nur genehmigt, weil die Kanzlerin massiv interveniert hat", kritisiert Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter im DLF. Es sei ein schlechtes Beispiel, wenn Deutschland EU-Regeln für sich außer Kraft setze.

Anton Hofreiter im Gespräch mit Mario Dobovisek | 25.03.2017
    Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter.
    Sozial ungerecht, Bürokratiemonster, zu teuer - Grünen-Fraktionsvorsitzender Anton Hofreiter hält gar nichts von der Pkw-Maut. (pa/dpa/Stratenschulte)
    Mario Dobovisek: Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag, ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Abend, Herr Hofreiter!
    Anton Hofreiter: Guten Abend!
    Dobovisek: Ihre Kritik bezieht sich unter anderem auf die Grenzregionen. Für die sehen Sie Nachteile. Allerdings macht die Bundesregierung ja auch Zugeständnisse. Autofahrer aus dem Ausland zahlen demnach nur auf Autobahnen, nicht auf Bundesstraßen. Warum reicht Ihnen das nicht?
    Hofreiter: Das Hauptproblem der Maut ist neben dem, dass sie nach den meisten Prognosen negative Einnahmen für den Bund bringt, das heißt Verlust, was das erste Mal wäre in der Geschichte einer Mauteinführung, und neben dem, dass halt viele Menschen über Autobahnen anreisen, nämlich gerade wenn auf Autobahnen eine Maut ist und anderen Straßen nicht, hat das den Effekt, dass man den Verkehr insbesondere in die Ortszentren leitet, was besonders negativ ist.
    Aber das Hauptproblem an der Maut ist eine andere Sache. Das Hauptproblem ist, dass sie nach allem, was man erkennen kann, europarechtswidrig ist, und die EU-Kommission es nur genehmigt hat, weil die Kanzlerin, also Merkel selbst, massiv interveniert hat in der Kommission.
    Und das setzt in dieser ganz schwierigen Lage, in der die Europäische Union im Moment ist, ein ganz schlechtes Beispiel, wenn ausgerechnet das große, mächtige Deutschland interveniert, und noch dazu für so was eigentlich Absurdes wie diese Ausländermaut, die Regeln für sich außer Kraft zu setzen.
    Laut Koalitionsvertrag zahlen nur Ausländer
    Dobovisek: Bisher wurden die Fernstraßen allein aus Steuergeldern finanziert, also von allen, die in Deutschland Steuern zahlen. Künftig muss jeder, der die Autobahn benutzt, dafür bezahlen, und, das betont der Verkehrsminister, nicht doppelt. Was ist daran ungerecht?
    Hofreiter: Das Besondere, was daran ungerecht ist, und weshalb es solche Schwierigkeiten gibt, ist, dass die Maut – sie ist ja eine Ausländermaut, das ist ja das große Versprechen im Koalitionsvertrag, nur von den ausländischen Fahrzeughaltern bezahlt wird. Das ist der große Unterschied zu den Ländern in Österreich, in Italien, in Frankreich.
    Das sind Länder, wo es auch eine Maut gibt, da müssen halt alle die Maut bezahlen. Es gibt andere Länder, wo es keine Maut gibt, so wie in den Niederlanden, da muss niemand Maut bezahlen. Es ist rechtlich kein Problem, eine Maut für alle einzuführen, aber so, wie es die CSU macht und die CDU und die SPD mitmacht, eine Maut nur für Ausländer einzuführen, ist erstens nicht europarechtskonform in meinen Augen.
    Und zweitens führt sie dazu, dass – nämlich die Bürokratiekosten haben sie für alle Autofahrer, aber die Einnahmen nur von den ausländischen –, dass die Ausgaben höher sind als die Einnahmen. Das ist ja die Ursache für dieses absurde Ergebnis.
    "Ausgaben sind höher als die Einnahmen"
    Dobovisek: Wie kommen Sie zu dieser Erkenntnis, dass die Einnahmen nicht da sind? Denn das Verkehrsministerium rechnet mit einer halben Milliarde.
    Hofreiter: Ja, das ist der Gutachter, der bestellt ist vom Verkehrsministerium. Alle anderen Gutachter rechnen damit, dass die Einnahmen geringer sind als die Ausgaben, und die Ursache dafür ist, dass man halt nur als Nettoeinnahmen der Ausländer hat, aber die Kosten, die Bürokratiekosten, die Systemkosten für alle Autofahrer hat.
    Und da Deutschland ein relativ großes Land ist mit 45 Millionen Fahrzeugen, also einheimischen Fahrzeugen, von denen man keine Einnahmen hat, aber nur Kosten – das hat am Ende das Ergebnis, nach Meinung der großen Mehrheit der Gutachter, unter anderem des Bundesrechnungshofs, dass die Ausgaben höher sind als die Einnahmen.
    Dobovisek: Fahre ich 300 Kilometer auf einer norditalienischen Autobahn, dann kostet mich das 20 Euro, jeder einzelne Kilometer wird abgerechnet. Die deutsche Jahresflatrate sozusagen gibt es für den Benziner für rund 70 Euro. Ist doch noch ein Schnäppchen sozusagen.
    Hofreiter: Ja, aber darum geht es nicht. Ich meine, wozu soll man eine Regelung einführen, die erstens in Europa zu Verwerfungen führt und zweitens mehr Ausgaben hat als Einnahmen? Ich meine, welchen Sinn macht das? Ich meine, führen Sie bei sich selbst irgendwelche bürokratische Regelungen ein, um dann am Ende weniger Geld zur Verfügung zu haben als davor?
    Großbanken spekulieren auf Privatisierungspläne
    Dobovisek: Wenn wir ehrlich zueinander sind, dann wird es ja auch sicherlich bei den 70 Euro nicht bleiben, sondern es wird steigen, und es gibt einfach ein Umdenken, eine Umstrukturierung der Finanzierung der Autobahnen. Reden wir vielleicht auch über Privatisierung?
    Hofreiter: Das vermuten viele, dass das der Hintergrund ist. Dass es gar nicht um die Einnahmen für den Staat geht, sondern dass die Einnahmen an die Autobahnen gebunden werden sollen und über die Autobahngesellschaft dann entsprechend das Ganze privatisiert werden soll.
    Es gibt ja schon lange Großbanken, die da dahinter her sind und die sich wünschten, das als ganz zuverlässige Einnahmequelle zu haben. Welches Desaster man damit anrichten kann, das sieht man in Frankreich, wo das Autobahnnetz weitgehend privatisiert ist und wo Sie ganz klar sehen, dass da Unmengen Schranken quer über die Autobahn gezogen sind, was –
    "Ich kenne kein Mautmodell für Pkws, das sinnvoll ist"
    Dobovisek: Ja, das geht ja auch anders. In Italien gibt es keine Schranken. Da gibt es ein anderes Abrechnungssystem. Da muss man nicht zwischendurch immer wieder anhalten, um zu bezahlen. Und das funktioniert da seit acht Jahren relativ gut und flüssig mit einer Privatisierung der Autobahnen. Da fließt kein Steuergeld mehr. Und das ist ja dann sozusagen auch der Ausgleich, denn niemand muss doppelt bezahlen.
    Hofreiter: Na ja, aber am Ende führt es halt dazu, dass letztendlich der Autofahrer die Renditen einiger weniger großer Konzerne finanziert. Und in Italien, wenn Sie sich das verkehrsplanerisch anschauen, funktioniert das überhaupt nicht gut, weil Sie nämlich in ganz vielen Fällen Parallelstraßen zu den Autobahnen haben, die mautfrei sind, weil sie dadurch, dass Sie bei der Auffahrt bezahlen, relativ viele Umwegfahrten haben und Sie eine völlig überproportionale Betonierung der Landschaft haben.
    Also verkehrsplanerisch ist das ein Spaß, und Sie betonieren halt einfach zusätzlich noch viel mehr Natur, als notwendig ist. Ich kenne kein Mautmodell für Pkws, das sinnvoll ist. Bei den Lkws schaut das anders aus. Da haben wir viel weniger, die sind viel besser handelbar. Zum Beispiel, bei den Lkws haben wir insgesamt so 600- bis 800.000.
    Bei den Pkws allein 45 Millionen nur in Deutschland. Und die Lkws haben auch im Unterschied zu den Pkws extrem große Tanks und können deshalb auch durch relativ große Länder durchfahren. Lkw-Maut macht, wie gesagt, wegen der überschaubaren Stückzahl, wegen der anderen Systemkosten im Verhältnis zu den Einnahmen, Sinn. Pkw-Mauts machen in der Regel in der Form, wie es sie in Europa gibt, wenig Sinn.
    Sozial ungerecht - "de facto eine Kopfpauschale"
    Dobovisek: Warum sagen Sie zum Beispiel, dass, wenn wir zu unseren Nachbarn nach Österreich blicken, andere haben das ganz ähnlich, mit solchen kleinen Pickern, wie sie sagen, Vignettenaufkleber, die man kauft an der Tankstelle, an der Raststätte, sich ans Auto klebt – warum ist das nicht händelbar aus Ihrer Sicht?
    Hofreiter: Das wäre schon händelbar, wenn man es entsprechend einführen würde. Aber das ist ja genau in Deutschland nicht gewünscht, weil dann das zentrale Wahlversprechen der CSU fallen würde. Aber in Österreich hat das keine Lenkungswirkung, macht es eine sozusagen stumpfe, plumpe Maut, die de facto eine Kopfpauschale ist, egal, ob man ein kleines oder großes Auto hat, egal, ob das viel oder wenig verbraucht.
    Das heißt, Menschen mit wenig Einkommen zahlen das gleiche wie Menschen mit viel Einkommen, es ist also auch noch sozial ungerecht. Aber es ist händelbar. Aber man muss es halt auch nicht machen, weil, wie gesagt, wenn man vernünftig mit dem Geld umgehen würde, hätten wir genug Einnahmen im Bereich der Straße, um die Straßen vernünftig zu unterhalten.
    Hoffnung auf ein Scheitern der Maut
    Dobovisek: Wer die steigenden Mautgebühren nicht zahlen möchte, kann ja mit der Bahn fahren. Klingt doch aus grüner Sicht ganz gut, Herr Hofreiter.
    Hofreiter: Ja. Aber da sind die Mautsätze zu gering, und da müssten wir viele Dinge ändern, um entsprechend die Bahn attraktiv zu machen. Aber ich habe noch gute Hoffnung, dass diese Maut nicht kommt, denn die Länder, insbesondere unter starkem grünem Druck führt dazu, dass immer mehr Länder sich entscheiden, den Vermittlungsausschuss anzurufen, und vielleicht haben wir ja schlichtweg das Glück, dass dieses Bürokratiemonster, das nach Meinung von der überwiegenden Mehrheit der Gutachter mehr Ausgaben wie Einnahmen verursacht für die öffentliche Hand, dass dieses Bürokratiemonster nie kommt.
    Dobovisek: Aber die Länder können doch nicht verhindern. Sie können nur sozusagen verzögern.
    Hofreiter: Ja, aber die Legislaturperiode läuft ja nicht mehr so lange, und die ganzen Maßnahmen sind ja so wenig sinnvoll insgesamt, dass einfach schon eine gute Chance besteht oder zumindest eine Chance besteht, dass es vielleicht in der Form nie kommt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.