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Grünen-Politiker: Gesellschaft nicht von Extremisten kaputtmachen lassen

Maßnahmen wie die Ausweisung von Salafisten oder Vereinsverbote sieht Volker Beck kritisch. Viel wichtiger sei es, Flagge zu zeigen und Agitationen nicht unwidersprochen hinzunehmen. Das gelte auch in Zusammenhang mit Pro-NRW-Leuten, betonte der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion.

Volker Beck im Gespräch mit Friedbert Meurer | 10.05.2012
    Friedbert Meurer: Die Bilder aus Bonn sind erschreckend. Bärtige, meist junge muslimische Männer schlagen brutal auf Polizisten ein. Die rechtspopulistische Partei Pro NRW, die auch bei der Landtagswahl jetzt am Sonntag antritt, hatte gezielt die Karikaturen des dänischen Zeichners Kurt Westergaard vor Moscheen gezeigt, um zu provozieren. Die Provokation gelang. Wer sind diese Salafisten?

    Am Telefon in Berlin Volker Beck, er ist Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Beck.

    Volker Beck: Guten Morgen.

    Meurer: Sie waren vorgestern am Neubau der Moschee im Kölner Stadtteil Ehrenfeld, haben dort an einer Gegendemonstration teilgenommen. Es gab dort Pro-NRW-Aktivisten und Salafisten, im Gegensatz zu Bonn blieb es aber friedlich. Wie haben Sie das alles erlebt?

    Beck: Na ja, es gab einen salafistischen Prediger, der auf Jugendliche eingeredet hat, und da er bei der Frage, bleibt das gewaltfrei, nicht sehr eindeutig war, habe ich ihm in seine Rede reingeredet, vor Schreck hat er dann ins Arabische gewechselt, aber seine Anhänger haben dann mit mir gesprochen und wir haben eine halbe, dreiviertel Stunde diskutiert und ich habe gemerkt, das sind ganz unterschiedliche Leute, die diesem Mann zuhören.

    Zum Teil waren es wirklich indoktrinierte Salafisten, da kamen standardisierte Antworten und die hatten auch auf jedes Argument eine Antwort, blitzartig, aber es waren auch junge Männer dabei, von denen man gemerkt hat, sie sind da eigentlich nicht richtig drin gefangen, aber sie haben das Gefühl, sie kommen als Muslime in der Gesellschaft zu kurz, die Muslime werden benachteiligt gegenüber Christen und Juden.

    Meurer: Aber warum machen die mit, wenn es zu solchen Gewalttaten kommt – nicht in Ehrenfeld, aber in Bonn?

    Beck: Ich weiß nicht, ob die selber gewalttätig waren, die letztere Gruppe, von denen ich da geredet habe. Aber es gab ja auch in Bonn einen Teil der Muslime, die versucht haben, die anderen zurückzuhalten bei den Ausschreitungen. Wichtig ist aber für mich gewesen zu sehen, dass man eigentlich mit denen zu wenig redet, und wir müssen hier neben der Repression, die sicher notwendig ist gegen diejenigen, die zu Gewalt aufrufen oder selber gewalttätig sind, auch schauen, dass wir mit Jugendarbeit, mit politischer Bildungsarbeit in dieses Milieu eindringen, um den salafistischen Predigern ihre Anhänger ein Stück weit abspenstig zu machen.

    Meurer: Was sagen Sie dem verletzten Polizisten, wenn der sagt, das mit der Jugendarbeit reicht mir jetzt aber überhaupt nicht?

    Beck: Da würde ich ihm sagen, Du hast völlig recht, derjenige, der Dich attackiert hat, der muss vor Gericht gestellt werden und die Schärfe des Gesetzes spüren, da muss auch bei den Urteilen entsprechend zugelangt werden nach dem, was das Recht an diesem Punkt hergibt. Aber die Repression alleine wird mit dem Problem nicht zurechtkommen. Ich höre jetzt viele Forderungen von Innenpolitikern, die ganz auf starker Max machen, aber wo Forderungen im Raum sind, die entweder gar nicht passen, oder auch nicht umsetzbar sind.

    Meurer: Aber wenn es geht, soll man Scharfmacher nicht ausweisen?

    Beck: Ich denke, das scheitert schon daran, dass ein Teil von denen deutschstämmig ist. Die haben nicht nur einen deutschen Pass, deren Eltern sind auch Deutsche, da werden Sie mit Ausweisungen nicht weit kommen. Und auch mit dem Thema Vereinsverbote kommen Sie natürlich nur dort weiter, wo es tatsächlich Vereine gibt. Viele von diesen Gruppen sind aber lockere Netzwerke ohne Rechtsform. Deshalb ist nicht alles, was jetzt gerade diskutiert wird, wirklich am Ende die Lösung.

    Was mich erstaunt hat, dass die Innenpolitik doch ein bisschen länger geschlafen hat, als ich mir das vorstellen konnte. Die Salafisten sind erst seit 2011 im Verfassungsschutzbericht, das spricht dafür, dass sie vorher wohl auch gar nicht wirklich beobachtet wurden. Das hat mich tatsächlich erstaunt, weil man weiß, dass zwar nicht alle Salafisten gewalttätig sind und nicht alle Salafisten sich in Richtung Terrorismus entwickeln, aber umgedreht diejenigen, die als Terroristen aufgefallen sind, in der Vergangenheit alle aus dieser Gruppierung kamen.

    Meurer: Würden Sie, Herr Beck, auch an einer Gegendemonstration gegen die Salafisten teilnehmen?

    Beck: Das hängt immer vom Demonstrationsanliegen ab. Aber durchaus! Ich denke, man muss mit den Extremisten im Islamismus genau wie bei den Rechtsextremisten da entsprechend vorgehen und auch Flagge zeigen und man darf diese Agitation nicht unwidersprochen hinnehmen.

    Meurer: Aber wenn man so Ihr Engagement verfolgt, Herr Beck, es richtet sich eher gegen Pro NRW, die in den letzten Tagen jedenfalls friedlich geblieben sind, als gegen die Salafisten, die 29 Polizisten und davon zwei schwer verletzt haben.

    Beck: Diese Pro-NRW-Leute haben ja darauf gesetzt, eine gesellschaftliche Zuspitzung hinzubekommen und das Klima zu vergiften, haben sich wirklich als Brandstifter betätigt, obwohl das, was sie gemacht haben, sicher vom Demonstrationsrecht gedeckt war. Am Ende des Tages muss man feststellen, diese Salafisten und die Pro-NRWler haben politisch und ideologisch mehr gemeinsam, als sie voneinander glauben.

    Meurer: Die Grünen stehen aber ansonsten doch für Meinungsfreiheit. Was ist denn mit der Meinungsfreiheit, die Mohammed-Karikaturen zu zeigen, auch vor einer Moschee?

    Beck: Es heißt ja nicht, dass wenn man für Meinungsfreiheit steht, dass man alles, was man im Rahmen der Meinungsfreiheit macht, deshalb gut heißt. Ich war nicht dafür, dass man die Demonstrationen von Pro NRW verbietet, aber ich war dafür, dass man zeigt, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in den Städten diese Art von Auseinandersetzung ablehnt, dass wir unsere Konflikte in der Gesellschaft zivil und ohne Hetze lösen wollen. Dass es da Probleme zuweilen gibt, das wird niemand leugnen, aber die Art, wie Pro NRW damit umgeht, akzeptieren wir nicht. Pro NRW hat ja mit der Losung für sich geworben, "Freiheit statt Islam", also sie haben alle Muslime bekämpft, sie haben die Glaubensfreiheit der Muslime nicht anerkannt und sie sind gegründet worden als Initiative gegen den Bau der großen Moschee der Ditib in Köln und wollten tatsächlich eigentlich verbieten, dass die Muslime ein anständiges Gotteshaus bauen nach ihren Bauvorschriften, das ein bisschen einen repräsentativen Charakter hat, und das ist von der Glaubensfreiheit gedeckt.

    Meurer: Stehen wir am Anfang einer Eskalation bis hin zum Religionskrieg?

    Beck: Also man soll jetzt, bloß weil Wahlkampf ist und alle ein bisschen schärfer formulieren, die Kirche im Dorf lassen. Wir werden unsere Gesellschaft uns nicht von Extremisten kaputtmachen lassen und der Rechtsstaat wird auf extremistische Gruppierungen argumentativ, aber auch repressiv, wo es notwendig ist, reagieren. Da ist eine Aufgabe für uns, das ist völlig klar, aber die können wir bewältigen. Einen Religionskrieg würde ich nicht prognostizieren.

    Meurer: Volker Beck, der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion, bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Beck, schönen Dank und auf Wiederhören!

    Beck: Bitte schön! Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.