Freitag, 29. März 2024

Archiv


Grünen-Politiker: Keinerlei Beleg für eine Schutzlücke ohne Vorratsdatenspeicherung

Die Vorratsdatenspeicherung sei ein "brutaler Paradigmenwechsel" und verfassungsrechtlich problematisch, findet der Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz (Grüne). Auf das Ultimatum zur Umsetzung der EU-Richtlinie solle die Bundesregierung gelassen reagieren.

Konstantin von Notz im Gespräch mit Christoph Heinemann | 22.03.2012
    Christoph Heinemann: Die Europäische Kommission droht: Sollte die Bundesregierung nicht innerhalb von vier Wochen eine Regelung zur Vorratsdatenspeicherung gefunden haben, wird es teuer, könnten Strafzahlungen angeordnet werden. Das geht bis zu Tagessätzen von 350.000 Euro, und dieses Geld könnte man auch sinnvoller ausgeben. Die Bundeskanzlerin pocht auf eine rasche Verständigung innerhalb der Regierung, die Kanzlerin sprach gestern mit Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Das teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit:

    "Dass die Vereinbarung der Bundeskanzlerin mit der Bundesjustizministerin ist, dass nun erneut und mit, wenn Sie so wollen, neuem Schwung Gespräche aufgenommen werden zwischen den entsprechenden Ressorts mit dem Ziel einer Lösung."

    Heinemann: Neuer Schwung ist vonnöten, denn die EU-Kommission besteht darauf, dass eine Richtlinie aus dem Jahr 2006 angewendet wird. Am Telefon ist jetzt Konstantin von Notz, Mitglied des Bundestags-Innenausschusses, stellvertretendes Mitglied des Rechtsausschusses und für Bündnis 90/Die Grünen Mitglied der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft. Guten Morgen.

    Konstantin von Notz: Guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr von Notz, Sie haben ein gemeinsames Kaffeetrinken angeregt der zuständigen EU-Kommissarinnen Malmström (Innen) und Reding (Justiz). Was erhoffen Sie sich von dem Brüsseler Kaffeekränzchen?

    von Notz: Na ja, dass aus Brüssel eben nicht mehr hoch widersprüchliche Aussagen und Bestrebungen zur Vorratsdatenspeicherungsumsetzung kommen. Denn wie eben in dem Bericht schon angeklungen ist es so, dass die Richtlinie grundlegend überarbeitet werden soll oder überarbeitet wird - das ist schon beschlossen - und Deutschland jetzt hier mit dem Verfahren zur Umsetzung einer Richtlinie gezwungen werden soll, die gerade überarbeitet wird. Das ist in unseren Augen hoch widersprüchlich und deswegen müssten die beiden Kommissarinnen einfach mal miteinander reden und die Dinge in Einklang bringen.

    Heinemann: Das ist aber üblich, dass Richtlinien, egal ob sie überarbeitet werden oder nicht, umgesetzt werden müssen. Gilt auch für andere Länder.

    von Notz: Ja, das mag so sein, aber es gibt nach meinem Kenntnisstand europaweit über 2000 Verfahren, die laufen, auch in Deutschland sind es mehrere Dutzend. Nehmen wir das VW-Gesetz in Niedersachsen, da läuft auch ein Verfahren gegen Deutschland. Ich habe schwer den Eindruck, dass der Druck, der jetzt erzeugt wird, und dass es da Gespräche auch zwischen der Bundeskanzlerin und der Bundesjustizministerin gibt, schon ein bisschen den verschiedenen Landtagswahlkämpfen geschuldet ist. Man versucht, da eben einfach sich über dieses Sicherheitsthema, das vermeintliche Sicherheitsthema bei der Union zu profilieren, und das ist angesichts des tiefen Eingriffes in unsere Grundrechte, die die Vorratsdatenspeicherung bedeutet, unseriös.

    Heinemann: Wie sollte die Bundesregierung auf das Ultimatum aus Brüssel reagieren?

    von Notz: Gelassen. Gelassen, wie sie das in den anderen vielen Dutzend Verfahren auch tut, und vor allen Dingen den Schwerpunkt darauf setzen, dass die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger geschützt bleiben. Dafür muss man sich klar machen, dass die Vorratsdatenspeicherung eben ein Paradigmenwechsel ist. Während bisher Menschen nur überwacht werden dürfen und ihre Daten gespeichert werden dürfen, wenn ein konkreter Tatverdacht besteht, sollen nun von 82 Millionen Deutschen, von allen Menschen die Kommunikationsdaten gespeichert werden. Das bedeutet auch zum Beispiel die Aufenthaltsdaten, wo bewegen sich Menschen. Das ist ein brutaler Paradigmenwechsel, der verfassungsrechtlich hoch problematisch ist. Deswegen hat das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung auch aufgehoben. Insofern würde ich sagen, es kommt hier schwer auf Gründlichkeit und Genauigkeit an. Und ich bin mal sehr gespannt, wie dann die überarbeitete Richtlinie aus Brüssel aussehen wird. Ich kann mir gut vorstellen, dass auch angesichts der Verfassungsrechtsprechung in anderen europäischen Ländern da vielleicht nur noch eine Kann-Regelung daraus wird und man diese Richtlinie gar nicht mehr umsetzen muss. Insofern ist wirklich Ruhe vor Eile geboten.

    Heinemann: Herr von Notz, ich möchte das Wort "brutal" aufnehmen, das Sie gerade benutzt haben. Freuen Sie sich darüber, dass der mutmaßliche Mörder von Toulouse aufgespürt werden konnte?

    von Notz: Ja selbstverständlich!

    Heinemann: Die Polizei kam dem Mann über das Internet auf die Schliche. Ist damit nicht der Nachweis über die tatsächliche Nützlichkeit der Vorratsdatenspeicherung erbracht?

    von Notz: Nein. Damit ist der Nachweis erbracht, dass es genau in diesen Fällen eben gut ohne die Vorratsdatenspeicherung geht. Und das, was Sie jetzt hier ansprechen, ist ein ganz klassisches Problem der Diskussion, die wir führen, und der Diskussion, die auch gestern angesichts eines Gutachtens des Max-Planck-Instituts im Rechts- und im Innenausschuss geführt wurde. Es gibt keinerlei, keinerlei Beleg dafür, dass eine Schutzlücke ohne Vorratsdatenspeicherung besteht. Das können wir relativ gut vergleichen, weil wir eben eine Zeit hatten, zwei Jahre, in denen es in Deutschland die Vorratsdatenspeicherung gab, und jetzt eine Zeit haben, in der es sie nicht gibt. Es gibt keinen messbaren Rückgang der Aufklärungsraten. Es ist so, dass sozusagen nicht diejenigen, die einen Grundrechtseingriff dieser Schwere verhindern wollen, belegen müssen, dass die Vorratsdatenspeicherung ineffizient ist. Es muss vielmehr so sein, dass diejenigen, die einen solchen Eingriff wollen, belegen müssen, dass es zumindest effizient ist. Und dann muss man auch noch sehen, ob es verhältnismäßig ist. Aber genau dieser Beleg ist nicht erfolgt und mit Einzelfällen wie dem jetzt von Ihnen genannten, da kann man immer alle möglichen Eingriffe rechtfertigen, weil der Einzelfall natürlich immer schlimm ist. Und natürlich freue ich mich, wenn der Täter von Toulouse verhaftet wird, aber es geht eben, wenn man ein Verfassungsstaat ist und Grundrechte hat, darum, diese auch zu verteidigen.

    Heinemann: Herr von Notz, es geht doch um diesen Einzelfall. Man kann doch den Opfern von Massenmördern dann im Zweifelsfall nicht sagen, na ja, Pech gehabt.

    von Notz: Wenn sie mit dem Einzelfall argumentieren, dann weicht sich alles auf. Dann ist auch die Folterandrohung im von Metzler-Fall irgendwie okay und dann kann man auch überlegen, ob dann nicht so ein bisschen Folter in Ordnung ist. Der Einzelfall ist für den Gesetzgeber ein ganz, ganz schlechter Ratgeber. Sondern es geht auch einfach um belegbare Verbesserungen dann für die Sicherheit und Ähnliches. Sonst könnten sie eben alles rechtfertigen. Wenn wir in allen Wohnungen, die es in der Bundesrepublik gibt, Kameras aufstellen, dann könnte man viel häusliche Gewalt - Kinder werden geschlagen, manchmal sogar getötet -, das könnte man vielleicht alles verhindern. Aber es wäre eben ein unterm Strich unverhältnismäßiger Eingriff und deswegen muss man sich dieser Abwägung schon aussetzen, wenn man Grundrechte verteidigen will. Und insofern sind bei der Vorratsdatenspeicherung viele, viele Fragezeichen da und deswegen ist sie zurecht auch nicht umgesetzt worden.

    Heinemann: Der Innenpolitiker Konstantin von Notz von Bündnis 90/Die Grünen. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören. Und allen Zuhörerinnen und Hörern noch mal Entschuldigung für die schlechte Telefonleitung.

    von Notz: Ich danke Ihnen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Alles Gute.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.