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Grünen-Politikerin Beck würdigt Rolle der russischen Wahlbeobachter

Durch den Einsatz lokaler Beobachter sei der Wahlbetrug in den großen Städten zurückgedrängt worden, sagt Grünen-Politikerin Marieluise Beck, die als Beobachterin der OSZE vor Ort war. In den kleineren Städten sei es allerdings viel schwerer gewesen, die Ergebnisse zu prüfen.

Marieluise Beck im Gespräch mit Jonas Reese | 06.03.2012
    Sandra Schulz: Für Deutschland ist er ein alter Bekannter, der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder lobte ihn einst als "lupenreinen Demokraten". Seit dem Wochenende steht fest, dass Wladimir Putin in den Kreml zurückkehrt. Aber Zehntausende in Russland sind ganz anderer Meinung als der frühere Bundeskanzler. Wegen des Vorwurfs der Wahlfälschung protestierten auch gestern wieder Zehntausende. Obwohl die Demonstrationen genehmigt waren, gab es Hunderte von Festnahmen, auch wenn viele Stunden später wieder freigelassen wurden.
    Wir hatten hier im Deutschlandfunk Gelegenheit, mit einer der Wahlbeobachter der OSZE zu sprechen: mit der Grünen-Politikerin Marieluise Beck. Als Erstes hat sie mein Kollege Jonas Reese nach ihren Eindrücken vom Wahltag gefragt.

    Marieluise Beck: Ich selber habe mit einem dänischen Kollegen acht Wahllokale besucht, acht von 96.000. Das macht sehr schnell klar, dass das wirklich eine minimale Stichprobe war und wir darauf angewiesen sind, was andere, vor allen Dingen die lokalen Wahlbeobachterinnen und Wahlbeobachter zusammengetragen haben.

    Jonas Reese: Wie glaubwürdig sind da die Beobachtungen der unabhängigen Wahlbeobachter von "Golos" zum Beispiel? Auch sie haben ja eine gewisse Motivation.

    Beck: Man muss festhalten, dass die russischen Wahlbeobachterinnen und Wahlbeobachter sich den ganzen Tag im gleichen Wahllokal aufhalten und damit doch einen sehr viel schärferen Blick haben als die internationalen, die ja immer nur 20 bis 30 Minuten in einem Wahllokal sind. Nur deswegen war es möglich, dass diese lokalen Wahlbeobachter stärker hinter die Kulissen schauen konnten und diese intelligente Form des Karussellwählens entdecken konnten und auch solche Entdeckungen machten, die uns verschlossen geblieben sind, dass es kleine Signale gab zwischen bestellten Mehrfachwählern und einzelnen Mitgliedern in Wahlkommissionen, unter denen dann jenseits der Registrierung mehrfach gewählt werden konnte.

    Reese: Sie haben es gesagt: Es sind freiwillige Bürger, die das dokumentiert haben. Die Aktion von Putin, Webcams dort aufzuhängen, ist auch eine Neuerung gewesen. Frau Beck, Sie waren auch vor vier Jahren dort, als Präsident Medwedew gewählt worden ist. Ist es da nicht auch eine positive Entwicklung, von der man jetzt reden muss, dass doch mehr Beobachtung zulässig ist?

    Beck: Das kann man sicherlich sagen, dass die ganze Bewegung seit dem Betrug bei der Duma-Wahl ja sehr viele Bürgerinnen und Bürger auf den Plan gerufen hat und sie ein Stück sich der Sache selber annehmen, ihrer Demokratie, ihrer demokratischen Entwicklung annehmen. Aber das ist ein Anfang und es sind vor allen Dingen die Städte, in denen diese Bewegung doch so stark ist, dass auch in den Wahllokalen der Betrug zurückgedrängt werden konnte. Nicht umsonst hat deswegen Putin in Moskau auch weniger als 50 Prozent der Stimmen bekommen. Aber Russland ist ein riesiges Land mit einer großen Fläche. Schon in den kleineren Städten erfordert es sehr viel mehr Mut, sich jenseits der Macht, der organisierten Mehrheit zu stellen, und dort ist eben die Überprüfung von Ergebnissen noch sehr schwierig, und am deutlichsten sieht man das an einer Republik wie Tschetschenien, wo 99 Prozent der Bürgerinnen und Bürger Putin gewählt haben.

    Reese: Sie haben die Duma-Wahl schon angesprochen. Erscheint es nur so, oder ist diese Empörung nicht so groß wie nach den Parlamentswahlen vor wenigen Wochen?

    Beck: Ich bin auf dieser Demonstration gewesen. Ich hatte den Eindruck, dass viele Menschen sehr müde sind. Man muss sich klar machen, die haben wirklich ausgeharrt bis tief in die Nacht hinein. Es schien mir auch so, dass weder die Kommunisten, noch die anderen Kräfte organisiert vor Ort waren, sondern es wirklich ganz, ganz viele junge Gesichter, die, die eigentlich nicht organisiert sind, sondern die stark übers Internet vernetzt sind, und insofern fehlte ein Teil. Vielleicht gibt es auch im Augenblick erst mal eine gewisse Enttäuschung und eine gewisse Ratlosigkeit, was jetzt als nächstes Ziel politisch der gemeinsame Nenner ist, was als nächstes Ziel angestrebt werden soll.

    Reese: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Wladimir Putin in einem Telefonat ihre guten Wünsche für seine kommende Amtszeit übermittelt. Wie soll sie sich positionieren zu diesem doch eher undemokratisch gewählten Machthaber?

    Beck: Es gibt gewisse Etiketten, die eingehalten werden. Das Entscheidende ist, dass wir uns in unserem Kopf klar darüber sind, Putin ist der Präsident einer gelenkten Demokratie. Das ist im Kopf zu behalten. Es ist weiterhin im Kopf zu behalten, dass es massive Mängel in der Rechtstaatlichkeit gibt, dass es eine politische Justiz gibt, dass der Betrug und die Korruption das Land im Würgegriff halten, und wir sollten, weil ja Russland auch unser Wirtschaftspartner ist und unser Modernisierungspartner, wie so gerne gesagt wird, dann tatsächlich gemeinsam diese Missstände, die dieses Land an der eigenen Entwicklung hindern, immer wieder deutlich benennen, vielleicht sogar miteinander daran arbeiten – es gibt ja so etwas wie einen Rechtstaatsdialog, es gibt einen Austausch im Bereich der Wissenschaft, auch in der Wirtschaft -, wir sollten die Punkte finden, an denen eine gemeinsame Entwicklung möglich und gewünscht ist, ohne dem Zynismus der Macht Raum zu geben.

    Schulz: Die Grünen-Politikerin Marieluise Beck, derzeit als Wahlbeobachterin in Moskau, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Die Fragen stellte Jonas Reese.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.