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Grünen-Politikerin Brantner zu Syrien
"Giftgas befindet sich weiterhin in Assads Händen und wird benutzt"

Der erneute Giftgasangriff in Syrien dränge die Frage auf, wie lange man noch zuschauen wolle, sagte Franziska Brantner, Außenpolitikerin der Grünen, im DLF. Assad sei ein Verbrecher. Deshalb wäre es das falsche Signal, eine weitere Zusammenarbeit mit ihm für möglich zu halten.

Franziska Brantner im Gespräch mit Rainer Brandes | 04.04.2017
    Franziska Brantner von der Bundestagsfraktion der Grünen
    Franziska Brantner von der Bundestagsfraktion der Grünen (imago stock & people)
    Rainer Brandes: Franziska Brantner ist Bundestagsabgeordnete der Grünen und unter anderem Vorsitzende des Unterausschusses zivile Krisenprävention. Guten Abend, Frau Brantner.
    Franziska Brantner: Guten Abend, Herr Brandes.
    Brandes: Es ist jetzt mehr als drei Jahre her, dass das syrische Regime eingewilligt hatte, alle Chemiewaffen zu zerstören. Und trotzdem gibt es immer wieder solche Angriffe. Wie lange will Europa da eigentlich noch zuschauen?
    Brantner: Ja, es ist grausam. Das ist ja nicht das erste Mal, dass es wieder erneut Giftgasangriffe gibt in Syrien. Die Vereinten Nationen haben mindestens drei seit 2014 weiter auch bestätigen können und die UN sagen selber, dass sie nur maximal 94 Prozent von Assads Sarin-Gas außer Landes gebracht haben. Das heißt, wir wissen, dass weiter Giftgas in Assads Händen ist und auch benutzt wird.
    Russland und Amerika sind in der Pflicht
    Und wie Sie sagen: Die Frage ist, wie lange wollen wir zuschauen. Eigentlich gibt es eine UN-Sicherheitsratsresolution aus dem Jahr 2015, die klipp und klar sagt, wenn es wieder zu einem Giftgasanschlag kommt, dann greifen Maßnahmen unter Kapitel VII. Das sind die härtesten Maßnahmen, die die Vereinten Nationen hat. Und Russland und Amerika sind in der Pflicht, jetzt diese Verantwortung zu übernehmen und klarzustellen auch gegenüber Assad, dass Giftgaseinsätze nicht akzeptabel sind.
    Brandes: Aber das hieße ja dann auch militärische Intervention. Alle zivilen Konfliktlösungsmöglichkeiten sind ja bisher auch gescheitert. Heißt das, wir müssen vielleicht doch mit dem Militäreinsatz drohen?
    Brantner: Die Resolution des Sicherheitsrates besteht so. Ich denke, dass noch nicht alle zivilen Mittel ausgereizt sind. Ich denke, dass Assad auch - aller Wahrscheinlichkeit nach waren es Assads Truppen; wir brauchen da noch die Bestätigung durch eine unabhängige Kommission. Aber nehmen wir an, es wird sich herausstellen, dass es Assad ist, dann ist das, glaube ich, auch das Ergebnis dessen, dass er sich sehr sicher fühlen kann, gerade dass er Russland auf seiner Seite hat, Iran, aber jetzt auch Amerika. Trump hat gesagt, Assad darf bleiben, und das ist offensichtlich das falsche Signal und da dürfen wir Europäer nicht das einschränken und sagen, na ja, jetzt müssen wir uns mit Assad arrangieren, Trump hat gesprochen, sondern da hat Europa eine sehr wichtige Aufgabe, da dagegenzuhalten und klar zu sagen, wir werden nicht einschwenken auf diesen Kurs. Assad ist ein Verbrecher. Er hat sein Land kaputt gemacht. Er foltert die Menschen, er setzt Giftgas gegen seine eigene Bevölkerung ein. Das ist, glaube ich, momentan die wichtigste Entscheidung: Steht Europa auf Seiten von Trump und Putin, oder ist es bereit, da auch in den Konflikt zu gehen und mit einer Stimme klarzumachen, wir werden uns hier nicht einreihen.
    Brandes: Aber wenn Trump und Putin an einem Strang ziehen würden und die Europäische Union dann auch mit einschwenken würde und in den sauren Apfel beißen würde und sagen, na ja, vielleicht müssen wir für eine Übergangszeit doch mit Assad leben, wenn er dafür endlich die Kampfhandlungen einstellt, wäre dann für die Zivilbevölkerung in Syrien nicht viel erreicht?
    Brantner: Das ist eine Illusion. Assad setzt momentan auf den kompletten militärischen Sieg. Er hat das selber zigfach so artikuliert, sagt das öffentlich und handelt auch danach. Wer glaubt, dass Assad bereit ist, einen politischen Prozess wirklich aktuell einzugehen, der irrt. Wir sehen alle Anzeichen, die auf militärischen Sieg zumindest als Ziel von Assad zeigen, und darauf müssen wir uns einstellen. Es ist eben nicht die Hoffnung, dass es alles irgendwie schön wird, wenn Assad dran bleibt, sondern es werden Menschen weiter gefoltert. Die radikalsten Elemente in der Gesellschaft werden gestärkt, gerade Daesch, ISIS, El-Kaida. Die sind diejenigen, die davon profitieren. Das ist keine Friedensstrategie, sondern auf Dauer ist das der Krieg in der Region.
    Brandes: Was hätte denn die internationale Staatengemeinschaft in der Hand, um Assad zum Aufgeben zu zwingen?
    "Wir brauchen den versprochenen Zugang von humanitärer Hilfe"
    Brantner: Die internationale Staatengemeinschaft muss kooperieren und muss auch Russland meiner Meinung nach stärker in die Pflicht nehmen, dafür, dass Russland selber gesagt hat, Chemiewaffen zum Beispiel dürfen nicht eingesetzt werden, um jetzt auch dort den Druck auf Assad zu erhöhen. Und Trump muss sich auch klar positionieren. Heute kamen schon wieder andere Töne aus Washington. Aber es ist ja auch immer ein Harakiri-Kurs. Wir wissen ja jeden Tag nicht, was kommt aus Washington. Das darf so nicht weitergehen.
    Ich glaube, die Konflikte sind einfach zu gravierend, als dass wir uns so ein Lavieren weiter anhören können. Da müssen die Europäer Klartext fordern. Ich glaube, das sind die Punkte, die die internationale Gemeinschaft machen kann. Und wenn es um die Zivilisten geht, dann brauchen wir endlich den schon längst versprochenen, zigfach versprochenen Zugang von humanitärer Hilfe zu allen Menschen in Syrien. Die Anzahl derjenigen Menschen, die nicht Zugang haben, steigt. Wir sind momentan bei 1,5 Millionen Menschen in belagerten Städten. Das ist enorm, muss man sich mal vorstellen, 1,5 Millionen. Auch dort haben wir schon länger die Debatte über Luftbrücken, über neue Wege, diese Menschen zu erreichen.
    Brandes: Aber diese Luftbrücken, wenn ich da kurz einhaken darf, die müssten ja dann doch militärisch abgesichert werden.
    Weiße Geländewagen mit Flaggen des Roten Kreuzes drängeln sich hintereinander durch eine zerstörte Straße.
    Humanitäre Hilfe wird in Syrien nur völlig unzureichend geleistet, so Brantner. (AFP/Fadi Dirani)
    Brantner: Ja, die müssten im Rahmen der Vereinten Nationen, die das ja auch selber durchaus mit befürworten, natürlich auch abgesichert werden. Und man muss sich endlich diesen Zugang sichern. Das ist völkerrechtswidrig, dass es 1,5 Millionen Menschen ohne Zugang gibt und dass Assad Hunger als Waffe einsetzt, als ganz gezielte Waffe, und wir nicht sinkende Zahlen haben, sondern steigende Zahlen. Da zumindest müsste die internationale Gemeinschaft mal Druck machen und sagen, dieses Minimum an Ziel, die Zivilisten wenigstens wieder aus dem Hunger zu holen, Zugang zu Medizin wieder zu gewähren, das wäre meiner Meinung nach ein Minimum.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.