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Grünen-Politikerin: Neuanfang in Ägypten notwendig

Demokratie sei mehr als nur Wahlen, zudem habe der ägyptische Präsident den Demokratisierungsprozess absolut untergraben, sagt Franziska Brantner, außenpolitische Sprecherin der Grünen im Europäischen Parlament. Sie stehe eine Machtübernahme durch das Militär skeptisch gegenüber.

Franziska Brantner im Gespräch mit Dirk Müller | 03.07.2013
    Dirk Müller: Ägypten wartet auf das Ende des Militärultimatums in einigen Stunden, wie auch weltweit Politiker und Diplomaten die ganze Entwicklung mit Argusaugen beobachten. Gibt es einen zweiten Frühling in der arabischen Welt? Die Opposition in Kairo rechnet mit einer Entmachtung der Islamisten. Aber zugleich wächst auch die Angst vor einer neuen Eskalation der Gewalt. Der Präsident hat vor wenigen Stunden klar gemacht: Ich bleibe im Amt! Das Ultimatum der Militärs schreckt ihn also nicht.

    Wie geht es weiter in Ägypten, wie verhält sich der Westen – unser Thema nun mit Franziska Brantner, außenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament. Sie ist seit Jahren in Ägypten engagiert. Guten Morgen nach Straßburg.

    Franziska Brantner: Guten Morgen.

    Müller: Frau Brantner, wie schwer ist es jetzt für Sie mit einem Demokratenherz?

    Brantner: Das ist eine unglaublich schwierige Situation. Natürlich ist für uns alle klar, dass Demokratie mehr ist, als nur Wahlen und Herr Mursi in einem Jahr auch viel gemacht hat, was den Demokratisierungsprozess absolut unterminiert hat: Die Menschenrechte beschnitten hat, die Justiz nicht reformiert hat und wir heute jetzt in einer Situation stecken, wo Millionen demonstrieren, auch berechtigterweise sagen, wir brauchen einen Neuanfang, und gleichzeitig mir vor der Übernahme durch das Militär auch wirklich eher graut. Viele sagen ja, das ist der richtige Übergang; ich sage, na ja, passt nur auf, zu der Übergangszeit durch das Militär zurück zu wollen, ist vielleicht auch gefährlich. Von daher ist es eine extrem schwierige Situation, zusätzlich die Gewalt, die eskaliert. Das hat alles wirklich zu einer, sage ich mal, echten Tragödie geführt und Sie haben es ja erwähnt: Jetzt ist die Frage, was ist auch unsere Rolle.

    Müller: Das heißt, Sie können keine Partei ergreifen?

    Brantner: Für uns ist es schwierig, von außen zu sagen, wir sind jetzt für die eine oder die andere Seite. Wir haben sehr klar Mursi kritisiert, nicht nur jetzt, sondern auch schon über die letzten Wochen und Monate für seine Politik, und leider hat meiner Meinung nach, auch der grünen Meinung nach der westliche, sage ich mal, Regierungsapparat wesentlich zu spät angefangen, Mursi zu kritisieren und ihn an internationale Menschenrechtsstandards zu erinnern. Andererseits wie gesagt finde ich es momentan schwierig, einfach nur zu sagen, wenn das Militär übernimmt, wird alles besser. Ich kann aber die jungen Menschen auf der Straße sehr gut verstehen, die Angst um ihre Zukunft haben und die sagen, so kann es nicht weitergehen.

    Müller: Bleiben wir, Frau Brantner, noch einmal bei Mohammed Mursi. Er ist demokratisch gewählt, er ist demokratisch legitimiert. Aber wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist er kein Demokrat?

    Brantner: Wir haben auf jeden Fall sehr große Zweifel und alles, was er in dem Jahr, in dem er gewählt wurde, gemacht hat – und ja nicht nur er, sondern auch sein Umfeld, seine Regierung -, war eben nicht davon ausgezeichnet, dass er die Menschenrechte gestärkt hätte oder mehr für Versammlungsfreiheit gemacht hat. Die Situation der Frauenrechte hat sehr gelitten und es wurde eben kein wirklicher nationaler Dialog angegangen, der auch ernst geführt worden wäre. Es gab viele Möglichkeiten für ihn, eine Regierung der nationalen Einheit einzuführen. Er wurde dazu auch wirklich mehrfach aufgefordert und er hat es jedes Mal wieder versäumt, ist mit seiner reinen Muslimbrüder-Strategie weitergefahren, eben nach dem Verständnis, ich habe die Mehrheit in Wahlen gehabt und jetzt bitte Ruhe bis zum nächsten Mal in Wahlen. Dass das in einer Demokratie nicht funktioniert, wissen wir alle, aber das ist halt das, was wir seit Langem an ihm kritisiert haben.

    Müller: Jetzt sind Sie ja, Frau Brantner, ganz, ganz oft in Ägypten, ganz, ganz oft in Kairo, führen dort viele Gespräche, haben dort viele Bekannte und auch Gesprächspartner. Wie schwierig ist das, sich ein objektives Bild zu verschaffen?

    Brantner: Na ja, man versucht es, so gut man kann, indem man mit vielen unterschiedlichen Akteuren spricht, was wir auch regelmäßig tun, und ich bei meinen Besuchen rede auch mit Muslimbrüdern, mit aber auch natürlich Frauenrechtlern, mit den jungen Aktivistinnen, mit unterschiedlichen politischen Akteuren. Man hat heute im Zeitalter von Twitter und allem natürlich noch viel mehr direkten Informationsfluss. Man muss aufpassen natürlich, dass man sich nicht von einer Seite vereinnahmen lässt. Das ist auch nicht unsere Rolle. Ich sehe unsere Rolle wirklich, dort auf die Verfahren zu pochen, die Menschenrechte einzuklagen und Gewalt auch mit zu verhindern und nicht unbedingt noch Öl ins Feuer zu gießen.

    Müller: Wie kritisch stehen Sie der Opposition gegenüber?

    Brantner: Bei der Opposition ist es häufig das Problem, dass man auch nicht genau weiß, was denn jetzt ihr gemeinsames weiteres Ziel ist, außer jetzt zum Beispiel Mursi aus dem Amt zu jagen. Sie haben sich jetzt gestern auf eine gemeinsame Figur geeinigt, el-Baradei. Das hatte aber über Monate auch nicht geklappt. Ich meine, das Problem ist immer wieder, dass die Opposition auch sehr zerspalten ist, nicht sehr geeint ist, viele einzelne ihre Interessen auch da versuchen, voranzutreiben. Das hat es auch nicht immer einfacher gemacht in dem letzten Jahr, das muss man zugeben. Andererseits üben sie auch noch, was es bedeutet, Opposition zu sein in einer Transformation, und wie gesagt, häufig ist da auch die Frage natürlich, was ist das gemeinsame Ziel, wenn man den Tag danach sieht.

    Müller: Auch dort ist das Demokratieverständnis fraglich?

    Brantner: Na ja. Nein, das würde ich nicht unbedingt sagen. Es gibt viele, die dort sehr großes Demokratieverständnis haben, die auch genau wissen, wo sie hin wollen, und die Frage ist immer wieder die der Strategie, der Umsetzung: Wie formt man Allianzen, wie geht man um, was ist der Schritt zwei, wenn man eine Ablösung fordert. Das konkretisiert sich jetzt. Das ist nicht eine Frage unbedingt von Demokratieverständnis, sondern von demokratischer Erfahrung und Bereitschaft, gemeinsam auch zu agieren und strategisch sich auszurichten. Dann finde ich, darf man das sagen. Aber das ist natürlich nichts im Verhältnis zur eklatanten Menschenrechtsverletzung wie wieder Verfahren vor Militärgerichten für zivile Verhaftungen - arbiträre -, die durch Mursis Regierung auch vorgenommen wurden.

    Müller: Frau Brantner, jetzt kennen die meisten von uns Muslimbrüder wie ja auch den Präsidenten nur vom Fernsehen. Sie haben mit einigen von ihnen gesprochen. Was haben sie gesagt bei Ihren Besuchen und Gesprächen in Kairo? Muss ein Muslimbruder undemokratisch sein?

    Brantner: Nein! Nein, nein, nein, das würde ich auf gar keinen Fall so sehen. Das ist keine ausgeschlossene Möglichkeit. Es gibt auch innerhalb der Muslimbrüder jetzt große Kämpfe und Unterschiedlichkeiten. Wir sehen es auch über Ländergrenzen hinweg: Das gleiche passiert in Tunesien, da sind es heftige interne Machtkämpfe, wie weit man Religion mit in den Staat reinnimmt, wie weit man eine Mehrheit als garantierten Freifahrtsschein versteht. Das ist ein großer interner Kampf.

    Müller: Wenn ich Sie unterbrechen darf, Frau Brantner? Sind denn diese fundamentalistischen Positionen, diese religiösen Positionen, die Sie da kennen vor Ort – das hat ja auch viel mit der Praxis zu tun -, ist das vereinbar mit demokratischem Selbstverständnis?

    Brantner: Die Praxis ist immer dann eine Frage. Ich glaube, dass ein starker religiöser Hintergrund mit Demokratie vereinbar ist. Wenn man das nicht allen aufzwingen will, ist das vereinbar. Und innerhalb der Muslimbrüder gibt es eben auch wesentlich radikalere Tendenzen und weniger radikale und ich denke, man muss da sehr stark präzisieren. Ich hielte es für falsch, jetzt generell zu sagen, Muslimbrüder sind nicht demokratiefähig. Das ist auch nicht richtig. Man muss jene kritisieren, die sich nicht demokratisch verhalten, und natürlich ist die Tendenz an sich stärker, die Religion einzuführen und mit dem Staat zu verbinden, eine, die ich, die, sage ich mal, eher für eine Trennung dort stehe, sehr kritisch ansehe. Gerade im Hinblick auf die Frauenrechte habe ich da sehr große Zweifel. Aber ich hielte es für falsch, das jetzt insgesamt für alle als generelle Möglichkeit auszuschließen, wie stark ich jedoch natürlich die aktuelle Politik der Muslimbrüder kritisiere.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Franziska Brantner, außenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament. Danke für das Gespräch.

    Brantner: Ich danke Ihnen.

    Müller: Ihnen noch einen schönen Tag.

    Brantner: Ich danke Ihnen.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.