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Grüner Politologe über Jamaika-Gespräche
Manche Themen werden schwierig

FDP und SPD kamen zuletzt ziemlich gerupft aus ihren Koalitionen mit der Union. Kann das für die Grünen gutgehen? "Es ist fast die Quadratur des Kreises", sagte der Politologe und Grünen-Mitgründer Hubert Kleinert im Dlf, besonders beim Thema Obergrenze für Flüchtlinge. Gespräche zu verweigern, sei aber keine Option.

Hubert Kleinert im Gespräch mit Sandra Schulz | 30.09.2017
    Symbolbild Jamaika Koalition in der nächsten Legislaturperiode: Mauerwerk in Landesfarben Jamaika mit Rissen und Bremsspuren.
    Hubert Kleinert meint, "dass wir in der schwierigsten Konstellation stehen, was das Parteiensystem anlangt, die die Bundesrepublik in ihrer Geschichte überhaupt erlebt hat". (imago/Ralph Peters )
    Sandra Schulz: Professor Hubert Kleinert, Politikwissenschaftler der hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung und einst Mitgründer der Grünen. Schönen guten Tag!
    Hubert Kleinert: Hallo!
    Schulz: Wie viel Restzweifel haben Sie, dass die Grünen grünes Licht geben werden für Jamaika-Sondierungen?
    Kleinert: Also, dass sie zunächst einmal Sondierungen befürworten werden, da habe ich eigentlich keine Zweifel. Die Grünen haben eigentlich da auch keine Alternative. In der derzeitigen äußerst labilen Situation von vornherein Gesprächsverweigerung zu betreiben, das kann nicht der Fall sein. Das werden sie auch nicht tun.
    Schwierigste Parteienkonstellation in der Geschichte der BRD
    Schulz: Die Perspektive auf eine Jamaika-Koalition, die es im Moment ja gibt durchaus, also die Perspektive, um es ganz vorsichtig zu sagen, ist die denn gut für die Grünen?
    Kleinert: Ob sie gut ist für die Grünen, das wird sich herausstellen. Erst mal würde ich die Frage stellen, ob es gut ist für das Land und ob es notwendig ist für das Land. Ich denke, dass wir in der schwierigsten Konstellation, was das Parteiensystem anbelangt, stehen, die die Bundesrepublik in ihrer Geschichte überhaupt erlebt hat. Eine sehr labile Situation, bei der alles Mögliche denkbar erscheint. Das Parteiensystem könnte sich sogar möglicherweise noch weiter erodieren, wenn es nicht gelingt, mit diesem Wahlergebnis vernünftig umzugehen. Ich denke, die richtige Konsequenz aus diesem Wahlergebnis kann nur sein, dass man den Versuch unternimmt, sowas wie eine stabile demokratische Mitte zusammenzubringen, die sozusagen von links von der Mitte reicht bis vielleicht auch ein Stück rechts von der Mitte und das zusammenzubinden. Ich glaube, dass das eine richtige Herausforderung ist.
    Schulz: Herr Kleinert, ich verstehe es, dass Sie den Fokus jetzt ein bisschen wegnehmen wollen von den Grünen, aber wenn wir drauf schauen, was mit den Koalitionspartnern der Union passiert ist: Die FDP, die 2013 aus dem Bundestag geflogen ist, die SPD kommt jetzt nur noch auf gut 20 Prozent. Es war ja wirklich häufig so, dass die Koalitionspartner von Angela Merkel ziemlich gerupft aus Koalitionen gekommen sind. Kann es für die Grünen dann gutgehen?
    Kleinert: Das wird sich herausstellen. Ich will nur ergänzen: Wir haben eine Veränderung gegenüber der Situation von vor vier Jahren. Die CDU und vor allem auch Angela Merkel ist ja auch gerupft aus dieser Koalition herausgekommen. Man kann ja nicht einfach eine Analogie zu 2013 schließen, wo die Kanzlerin und ihre Partei triumphal nach vier Jahren herausgekommen ist und die FDP aus dem Bundestag geflogen ist. Ich denke aber, in erster Linie sind es natürlich inhaltliche Fragen, die darüber entscheiden werden, ob das gelingt. Der Druck auf alle Beteiligten wird sehr groß sein, etwas zustande zu bringen. Die Antwort darauf, ob das gelingen kann, ist zunächst mal die Frage danach, ob man inhaltlich hinreichend Schnittmengen findet, sodass alle Beteiligten mit erhobenem Haupt dann in eine solche Regierung hineingehen können, und die zweite Frage wird dann sein, wie eine solche Regierung sich zusammenfindet und in der praktischen Alltagsarbeit auftreten kann.
    "Flüchtlingsthematik wird wahrscheinlich schwierigster Teil"
    Schulz: Und was heißt das dann konkret für Gespräche für Sondierungen mit einer CSU, die jetzt ankündigt, die rechte Flanke schließen zu wollen?
    Kleinert: Das heißt konkret, natürlich wird alles, was mit der Flüchtlingsthematik zusammenhängt, wahrscheinlich den schwierigsten Teil der Verhandlungen ausmachen. Also ich muss hier sicherlich nicht noch mal wiederholen, dass das Obergrenzenthema eine Rolle spielen wird, aber auch andere Fragen wie Familiennachzug oder das Thema sichere Herkunftsländer, Verschärfung der Abschiebung, solche Dinge. Mir ist schon klar, dass die Union da wenig Spielraum hat, den grünen Vorstellungen entgegenzukommen. Die Union handelt – und besonders natürlich die CSU steht unter gewaltigem Druck sozusagen von rechts, und da wird der Spielraum nicht groß sein. Da wird man sehr klug verhandeln müssen, wenn man da vernünftige und für alle Seiten tragbare Ergebnisse zusammenbekommt. Die anderen Fragen – nehmen wir Energiepolitik, Energiewende –, da, denke ich, wird es Kompromissmöglichkeiten geben. Da ist möglicherweise sogar eine Einigung mit der FDP schwieriger, denen das alles ja nicht marktwirtschaftlich genug ist, was in Sachen Energiewende läuft. Also da gibt es natürlich einen Berg von Problemen, und selbstverständlich kann man sagen, es ist fast die Quadratur des Kreises, die vor den Beteiligten steht, aber wenn die Grünen jetzt eine Verweigerungshaltung einnähmen, ich glaube, das entspricht nicht der Wählererwartung, und da würden sie auch ein großes Risiko laufen.
    Hubert Kleinert (links) mit Joschka Fischer bei einer Landesmitgliederversammlung der Grünen in Lich (Hessen) 1984
    Hubert Kleinert (links) mit Joschka Fischer bei einer Mitgliederversammlung der Grünen in Hessen 1984 (dpa / picture-alliance / Karin Hill)
    Schulz: Wir haben ja bei der Forderung nach dem Abschied vom Verbrennungsmotor – in Anführungszeichen – gesagt, wenigstens den Vorteil, dass wir da über Zeiträume sprechen jenseits von 2030, zu denen das Koalitionsbündnis, das jetzt verhandelt wird, überhaupt nicht mehr regieren wird mutmaßlich, aber jetzt noch mal zurück zur Obergrenze. Wenn Sie sagen, da wird Flexibilität erforderlich sein, heißt das dann, dass die Grünen sich auf eine Verabredung einlassen werden, die faktisch eine Obergrenze ist, aber dann irgendwie freundlicher heißt?
    Kleinert: Nee, das glaube ich nicht, aber bei der Obergrenze muss man ja erst mal die Frage stellen, erstens, will die Union das in ihrer Gänze. Das ist erst mal eine Frage der Verständigung zwischen CDU und CSU, und das zweite ist, was versteht man überhaupt unter einer Obergrenze. Bei der Zuwanderung haben wir ja mindestens drei verschiedene Gruppen. Wir haben die sehr kleine Zahl der klassischen Asylbewerber und der klassischen Asylberechtigten. Wenn Sie sich die Zahlen anschauen, das macht ja vielleicht einen Prozent der Zuwanderer aus. Wir haben die große Gruppe der Bürgerkriegsflüchtlinge, und wir haben dann die Gruppe derjenigen, die man als Wirtschaftsflüchtlinge vielleicht bezeichnen kann. Da muss man jetzt erst mal die Frage klären, wenn überhaupt Obergrenze, über welche Gruppe reden wir denn. Das macht einen großen Unterschied, ob ich jetzt an diese kleine Gruppe des klassischen politischen Asyls denke oder etwa an diejenigen denke, die man vereinfacht vielleicht als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnen könnte. Also da finde ich, das muss man erst mal klären, und dann könnte man vielleicht auch über ein Einwanderungsgesetz zumindest manche Probleme in diesem Bereich lösen.
    Schulz: Der Politikwissenschaftler Hubert Kleinert heute Mittag hier bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank Ihnen!
    Kleinert: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.