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Frankreichs Haushalt
"Wir handeln immer nach den gleichen Kriterien"

EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici hat den Verdacht zurückgewiesen, er habe für Frankreich die Fristverlängerung zur Einhaltung der Defizitkriterien durchgesetzt. Die Entscheidung sei im Kollegium der Kommissare getroffen worden, sagte er im Deutschlandfunk.

Pierre Moscovici im Gespräch mit Christoph Heinemann | 27.02.2015
    Der französische EU-Währungskommissar Pierre Moscovici gibt eine Pressekonferenz in Brüssel
    EU-Währungskommissar Pierre Moscovici (afp / John Thys)
    Christoph Heinemann: Ist Griechenland finanz- und haushaltspolitisch ein Fass ohne Boden?
    Pierre Moscovici: Das kann man so nicht sagen. Man muss die Dinge der Reihe nach betrachten: In Griechenland haben Wahlen stattgefunden, die wir berücksichtigen müssen. Das gehört zur Demokratie. Gleichzeitig müssen wir strikt darauf achten, dass die eingegangenen Verpflichtungen eingehalten werden. Griechenland muss seine Verpflichtungen gegenüber den europäischen Partnern und dem Internationalen Währungsfonds zwingend halten. Die Reformen, die die griechische Regierung auf den Weg bringen will, müssen finanziert sein. Es ist nicht die Zeit, um über Schulden zu sprechen. Darüber wird zu gegebener Zeit gesprochen. Aber mir ist wichtig zu sagen, dass es da nicht um eine Verringerung der Schulden geht, also kein Haircut. Unsere Staaten und Steuerzahler sind von den griechischen Schulden betroffen. Schulden sind da, um zurückgezahlt zu werden. Und um sie zurückzahlen zu können, müssen ein Haushaltsüberschuss und Wachstum erzielt werden.
    Heinemann: Muss der Verlängerung dieses Programms ein neues Programm folgen?
    Moscovici: Wir werden sehen, wie das weitergeht. Nur müssen wir Schritt für Schritt vorgehen. Wir haben uns mit einiger Anstrengung aber auch konstruktiv auf ein erstes Abkommen verständigt, und damit eine einheitliche Sprachregelung, mit der die parlamentarischen Verfahren – etwa im Bundestag – zum Abschluss gebracht werden können. Das haben wir in drei Treffen der Eurogruppe erreicht - plus einer Telefonkonferenz, an der mein Freund, Ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble, sehr kraftvoll teilgenommen hat. Und er hat dies am Schluss als Ausgangspunkt bewertet, der ausreicht, um weiterzukommen. Nicht mehr und nicht weniger.
    Heinemann: Der griechische Finanzminister spricht weiterhin von einem Schuldenschnitt. Hat die griechische Regierung die Bedingungen für die Verlängerung des Hilfsprogramms nicht verstanden?
    Moscovici: Vielleicht spielen dabei innenpolitische Erwägungen in Griechenland eine Rolle. Ich halte mich an die Verpflichtungen, die im europäischen Rahmen eingegangen wurden. Was ich weiß ist: In der Eurogruppe war das kein Thema.
    Heinemann: Wieso weist man Griechenland nicht den Weg aus der Eurozone?
    Moscovici: Wir alle haben ein Interesse daran, dass Griechenland in der Eurozone bleibt. In Griechenland wurde Europa und der europäische Geist gegründet. Europa ist eine Person der griechischen Mythologie, daran sollte man sich erinnern. Außerdem sollten wir uns um die Einheit der Eurozone bemühen. Denn: Wenn ein Land, welches auch immer, ausscheidet, wird sich die Frage stellen, wer verlässt sie als nächster. Und das wird den Populismus wesentlich beflügeln. Wir müssen uns für die Eurozone einsetzen, sie ist eine Zone der Stabilität, der Verantwortung und der Solidarität. Wenn die Staaten gegenüber den Partnern Verpflichtungen eingegangen sind, müssen diese eingehalten werden. Pacta sunt servanda. Das muss unsre Regel sein.
    Heinemann: Apropos pacta sunt servanda. Die Europäische Kommission hat Frankreich einen neuen Aufschub für die Einhaltung der Haushaltskriterien eingeräumt. Wieso haben die letzten beiden Verlängerungen nicht gereicht?
    Moscovici: Zum einen wegen objektiver Kriterien, wie dem schwachen Wachstum der französischen Wirtschaft. Aber ich verstehe schon, was Sie sagen wollen. Ich bin europäischer Kommissar und ich bin Franzose. Aber ich handle nicht als Freund Frankreichs. Nicht subjektiv oder mit Winkelzügen.
    Heinemann: Dieser Verdacht besteht allerdings in Deutschland …
    Moscovici: Das verstehe ich, deshalb möchte ich möglichst deutlich darauf antworten: Die Entscheidungen, die getroffen wurden, sind keine persönlichen. Es sind Entscheidungen des Kollegiums der Kommissare. Sie sind einstimmig getroffen worden. Unter dem entsprechenden Dokument steht meine Unterschrift, aber auch die des Vizepräsidenten Dombrovskis, der einer anderen Partei als ich angehört, der europäischen Volkspartei, der konservativen Partei, der auch CDU und CSU angehören. Und um es klar zu sagen: Es ist keine für Frankreich angenehme Entscheidung. Frankreich muss sich sehr anstrengen. Für 2015 muss der Haushalt nachgebessert werden, allein vier Milliarden Euro für dieses Jahr. Das ist gar nicht so einfach. Und wir werden die Strukturreformen in Frankreich sehr viel aufmerksamer beobachten. Bis April muss Frankreich einen detaillierten und langfristigen Plan vorlegen. Auch meine deutschen Freunde befürworteten keineswegs Sanktionen gegen Frankreich - zu Recht. Sanktionen sind immer ein Ausdruck des Scheiterns. Besser ist es, ein Land von der Notwendigkeit von Veränderungen zu überzeugen. Und als Franzose und als Kommissar weiß ich, wie dringend sich Frankreich verändern und reformieren muss.
    Heinemann: Und warum ist es so schwer, Frankreich zu reformieren?
    Moscovici: Das ist eine lange Geschichte. Ich möchte aber in diesem deutschen Radiosender sagen, dass Frankreich und Deutschland über eine gemeinsame Geschichte verfügen. Beide sind die wichtigsten Länder der Eurozone. Man sollte die Schwierigkeiten der französischen Wirtschaft berücksichtigen und auch das Problem des Rechtsextremismus in Frankreich, das mich beunruhigt, aber auch meine deutschen Freunde. Ich spreche darüber häufig mit Sigmar Gabriel und Wolfgang Schäuble. Ich weiß, wie sehr sie das beunruhigt. Die Antwort ist nicht das French-Bashing, die billige Kritik. Vielmehr muss man Schwierigkeiten klar anpacken, aber auch die Stärken des Landes sehen. Und gemeinsam weitergehen: Frankreich und Deutschland.
    Heinemann: Gibt es in Deutschland zu viel French-Bashing, wird zu viel auf Frankreich eingedroschen?
    Moscovici: Nein, aber es gibt sehr kritische und fordernde Blicke. Das kann man alles machen, nur sollte der Blick immer ein klarer und freundschaftlicher sein. Und umgekehrt die französischen Blicke auf Deutschland ebenso.
    Heinemann: Verhält sich die Kommission Portugal und Irland gegenüber nicht sehr unnachgiebig, während Frankreich ein Aufschub nach dem anderen gewährt wird?
    Moscovici: Nein, und diesen Gedanken sollte man auch unterlassen. Es gibt nicht zweierlei Maß. Keine unterschiedliche Behandlung.
    Heinemann: … der Großen und der Kleinen …
    Moscovici: Nein, wir handeln immer nach den gleichen Kriterien. Immer. Und das sind die des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Übrigens ist die Entscheidung nach einer langen und guten Diskussion einstimmig gefallen. Und sie ist gerecht, da sie auf objektiven Grundlagen beruht.