Donnerstag, 25. April 2024

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"Grundlage für geordneten Unterricht in den Schulen"

Die Kultusminister der Länder kommen heute zu einem zweitägigen Treffen in Berlin zusammen, um sich mit den Änderungsempfehlungen zur Rechtschreibreform zu befassen. Der Kultusminister von Sachsen-Anhalt, Jan-Hendrik Olbertz, sagte, er werde die Korrekturvorschläge mittragen. Für die Schulkinder müsse es nach zehn Jahren endlich eine verbindliche Normsprache geben.

Moderation: Jochen Spengler | 02.03.2006
    Jochen Spengler: Einer jener Politiker, die sich heute über die Reform beugen werden ist nun bei uns am Telefon. Es ist Professor Jan-Hendrik Olbertz. Er ist parteiloser Kultusminister in Sachsen-Anhalt. Guten Morgen, Herr Professor Olbertz!

    Jan-Hendrik Olbertz: Guten Morgen, Herr Spengler!

    Spengler: Herr Olbertz, stimmen Sie heute für die Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung?

    Olbertz: Ja, ich werde denen meine Stimme geben, weil ich denke, dass damit der gordische Knoten durchschlagen und vielleicht auch das Elend beendet ist.

    Spengler: Ja, ich wollte sie gerade fragen: Weil Sie das überzeugt, was der Rat da vorschlägt? Oder weil damit das leidige Thema Rechtschreibreform vom Tisch kommt?

    Olbertz: Gilt für mich beides. Mich überzeugen die Vorschläge, die der Rat gemacht haben in der Tat. Zumal er eine ganze Menge Unsinn zurückgenommen hat, der vorher dort irgendwie reingeraten ist. Aber ich begrüße es auch, weil wir vielleicht jetzt die Lehre ziehen können, aus der Politik heraus eine solche Geschichte nicht noch mal zu machen.

    Spengler: Was überzeugt Sie an den Korrekturvorschlägen besonders?

    Olbertz: Dass viel stärker auf die Zusammenhänge von Aussagen wieder eingegangen wird, von denen die Schreibweise abhängig gemacht wird. Dass die einheitlichen Wortakzente wieder eine stärkere Bedeutung bekommen, wie zum Beispiel "anheim fallen", dass man das also wieder zusammen schreibt auf gut deutsch. Und dass eine ganze Reihe von logischen Änderungen wieder drin sind, die den Sinn einer Aussage beinhalten, also "Maß halten" ist das beste Beispiel für mich. Es ist ein Unterschied, ob ich auf dem Oktoberfest "ein Maß halte" oder ob ich "Maß halte" in meinem Urteil zum Beispiel über die Rechtschreibreform.

    Spengler: Und das wird also auch wieder entsprechend unterschiedlich verwendet. Mal ehrlich, Herr Professor Olbertz, haben Sie persönlich noch den Überblick darüber, wie man was schreiben muss?

    Olbertz: Ja, man muss fast sagen, jetzt wieder. Ich hatte den in dieser Zeit, die wir jetzt bis zu den Empfehlungen verbracht haben eher verloren und war manchmal ziemlich unsicher in der Schreibweise. Vieles was ich früher als logisch empfunden habe, finde ich ja jetzt in den Regeln wieder. Und wenn ich jetzt sagen kann, ich bin ein "tierliebender" Mensch und darf das zusammen schreiben, sieht das auch viel besser aus, als wenn ich sage ich bin ein "Tier liebender" Mensch.

    Spengler: Ja, aber glauben Sie, dass außer Ihnen noch jemand anders im Land zur Zeit weiß, wie er warum orthografisch korrekt schreiben muss?

    Olbertz: Naja, das ist ja ein Teil meiner Kritik, dass wir natürlich durch das ständige hin und her die Rechtschreibung auch eher irritiert haben als sie zu vereinfachen, was das ursprüngliche Ziel war, und übersichtlicher zu machen. Und im übrigen auch in Betracht zu ziehen, was eben einfach über die Zeiten akkrediert ist durch eine Veränderung der Konventionen. Ich denke, dass das eher jetzt einfacher wird, insbesondere dann, wenn wir uns verständigen darauf, dass wir den jetzt erreichten Stand allgemein akzeptieren und auch über eine längere Frist einfach die Entwicklung dann beobachten ohne da immer wieder einzugreifen.

    Spengler: Das Ziel, das haben Sie gerade selber angesprochen, das war eigentlich, dass das korrekte Schreiben leichter werden sollte für alle. Ist eigentlich, muss man nicht jetzt ehrlicherweise sagen, dass diese Reform völlig gescheitert ist, weil im Augenblick die Verwirrung unglaublich groß ist?

    Olbertz: Nein, ich glaube das kann man jetzt nicht mehr sagen. Sie hat zu scheitern gedroht, aber sie hat in der Konsequenz und nach einem quälerischen und viel zu langen Prozess am Ende glaube ich doch, auch unter den deutschsprachigen Nationen einen Konsens herbeigebracht mit dem ich jedenfalls ganz gut leben kann. Viele Dinge der ersten Rechtschreibreform waren ja auch nicht so unlogisch. Nehmen Sie mal das Wort "Stofffülle". Ich habe ja immer gespottet, das hätte uns auf ganz andere Weise beschäftigen müssen als Kultusminister, aber dass das mit drei F geschrieben wird, das ist doch völlig in Ordnung, das ist ein Kompositum aus zwei unabhängigen Substantiven und daraus ergeben sich nun mal drei F, ansonsten hätte man das nur durch eine Konvention erklären können. Und kleine Kinder die schreiben lernen, die werden sich auf eine Konvention nicht einlassen, die wollen eine plausible Erklärung.

    Spengler: Das heißt Sie glauben für die sieht das nicht so krank aus wie in unseren Augen?

    Olbertz: Ja, das glaube ich wirklich. Wir sollten auch aufpassen, dass wir die Diskussion nicht womöglich auf neurotische Weise führen. Ich glaube, dass die kleinen Kinder sich da schnell dran gewöhnen werden. Zumal vieles wieder plausibel auf dem ersten Blick einleuchtend ist, was es eben zwischendurch eine lange Zeit nicht war.

    Spengler: Die FAZ, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, schreibt, dass der Schaden, den die Kultusminister im letzten Jahrzehnt angerichtet haben, durch die uneinheitlichen Schreibungen in der Schule, in der Belletristik, in den Wörterbüchern einfach nicht mehr wieder gut zu machen ist.

    Olbertz: Naja, das halte ich für eine Übertreibung. Ich habe ja das immer schon kritisiert, dass sich die Politik daran macht die Muttersprache zu normieren, das ist ein Fehler gewesen, von dem ich aber meine, dass er weitgehend jetzt behoben ist und also solche - ich sage mal - solche extremen Urteile würde ich hier nicht fällen, zumal sie uns auch keinen Schritt weiter helfen in der Sache.

    Spengler: Ihre brandenburgische Amtskollegin Johanna Wanka hat gesagt, dass die Kultusminister längst wüssten, dass die Rechtschreibreform falsch war. Stimmt das?

    Olbertz: Also, ich kann jetzt nicht für alle Kultusminister sprechen. Ich habe es immer so kommentiert, dass der ganze Modus verkehrt war, aber deshalb hat die Kultusministerkonferenz wiederum den Auftrag dazu bekommen, sich der Sache anzunehmen. Wahrscheinlich war der Modus den man früher hatte mit der Dudenredaktion, die eben stillschweigend die Entwicklung beobachtet und ab und zu vorsichtige Anpassungen jeweils mit den Neuauflagen des Dudens vorgenommen hat, das war eine viel intelligentere und angemessenere Lösung.

    Spengler: Warum raffen Sie sich eigentlich nicht auf und sagen: Stop! Alles zurück, wir blasen die ganze Aktion ab! Alles bleibt wie vor 1996. Wir nehmen uns die Zeit zu einer wirklichen Reform, also zurück zu dem Status quo ante, weil einfach zu viel Porzellan zerschlagen worden ist?

    Olbertz: Naja, das hängt aber jetzt miteinander zusammen, das würde noch mehr Porzellan zerschlagen. Und Sie werden auch zugeben müssen, dass die Verwirrung dann komplett wäre. Denn dann müssten wir rekapitulieren hinter das Jahr von 1996 mit Kindern, die da noch nicht mal gelebt haben. Also wird dürfen, also wenigstens jetzt müssen wir uns unserer Verantwortung bewusst sein, uns mal die junge Generation vor Augen führen, die wir damit komplett herauskatapultieren würden, aus irgendeiner vernünftigen Idee einer konstanten Schreibweise. Es hat sich im übrigen jetzt ja durch den Vorschlag oder die Empfehlung nicht allzu viel geändert. Sondern es sind eigentlich nur die Dinge verworfen worden, die absolut nicht einsichtig gewesen sind. Und also zurück, ist ja sowieso meistens der schlechteste Rat auch in der Politik, würde hier bedeuten, dass die Verwirrung komplett wäre.

    Spengler: Also, Augen zu und durch?

    Olbertz: Ja, es bleibt uns jetzt nichts anderes mehr übrig. Wobei ich aber noch einmal sagen muss: Ich sehe es nicht mehr ganz so negativ, seitdem ich die Regeln und das Wortverzeichnis studiert habe. Vieles ist wirklich geheilt und deshalb werde ich dem auch zustimmen und damit leben. Und ansonsten würde ich empfehlen noch einen siebenten Beschlusspunkt heranzuführen und der würde lauten, wir machen so was nie wieder.

    Spengler: Ja, glauben Sie, dass der Rechtschreibfrieden auf Dauer jetzt Einzug halten wird? Also dass nicht nur die Schulen, sondern auch sich wieder alle Zeitungen dann an die neue Regeln halten werden?

    Olbertz: Naja, es gibt ja wie Herr Zehetmair gesagt hat, immer Puristen auf beiden Seiten. Insofern hoffe ich sehr auf den Rechtschreibfrieden. Aber es wird natürlich immer wieder mal Streit geben. Und es sind ja auch ein paar Wichtigtuer mit im Geschäft, also insofern kann ich das nicht ausschließen. Aber alles in allem wird sich die Diskussion beruhigen. Und es ist auch notwendig, finde ich. Auch aus den pädagogischen Gründen, die eine Schule geltend machen kann, denn die Kinder müssen sich darauf verlassen können, was wird als Fehler angestrichen, und was nicht. Und wie ist eigentlich die Normsprache, denn das ist ja die Grundlage für geordneten Unterricht in den Schulen.

    Spengler: Und dass der Rat für deutsche Rechtschreibung, der da jetzt gegründet worden ist vor ein paar Jahren, dass der weiter die Sprachentwicklung beobachten soll und möglicherweise auch künftig weitere Sprachempfehlungen abgeben soll, das halten Sie auch für in Ordnung?

    Olbertz: Ja, das halte ich für in Ordnung, wenn wir uns darüber verständigen, was damit gemeint ist. Also, wenn das ähnlich wie bei der Dudenredaktion so oft passiert, dass allmähliche Entwicklungen in unserer Muttersprache beobachtet, dokumentiert, aufgezeichnet werden und - in größeren Abständen allerdings - dann Empfehlungen gegeben werden, wie man die Sprache, die ja auf natürlicherweise in Bewegung ist, auch im offiziellen Bereich immer wieder mal anpasst, dann ist das in Ordnung. Aber wenn wir jetzt jedes Jahr einen Riesenbeschlusskatalog vorgelegt bekämen, der sozusagen ständig in die Entwicklung der Sprache hinein interveniert, dann würde ich mich da mit Verve dagegen stellen.

    Spengler: Das war der Professor Jan-Hendrik Olbertz, parteiloser Kultusminister in Sachsen-Anhalt. Herr Professor Olbertz, ich danke Ihnen für das Gespräch!