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"Grundlegende Reinigung" gefordert

Sylvia Schenk, ehemalige Präsidentin des Bundes Deutscher Radfahrer, wendet sich nach den Doping-Geständnissen ehemaliger Radprofis gegen einen schnellen Schlussstrich. "Wenn der Radsport jetzt wirklich da raus kommen will, dann müssen auf breiter Front auch Personen ausgetauscht werden", sagte Schenk, stellvertretende Vorsitzende der Anti-Korruptionsorganisation Transparency Deutschland.

Moderation: Jochen Spengler | 24.05.2007
    Jochen Spengler: Es gibt im Radsport offenbar die neue Disziplin Doping-Bekenntnis, an der immer mehr Sportler teilnehmen und damit das bisherige Kartell des Schweigens durchlöchern. Vier Radsportler haben in den letzten Tagen zugegeben, gedopt zu haben. Der heute 52 Jahre alte Dietrich Thurau bekannte sich zum Doping in den 70er Jahren, etwas weniger lang zurück liegen die illegalen Leistungssteigerungen bei den jüngeren Telekom-Profis Bert Dietz, Christian Henn und bei Udo Bölts, der sich erst gestern outete. Auf Jan Ullrich warten wir noch.

    Heute wird wohl auch T-Mobile-Sportdirektor Rolf Aldag vor die Presse treten und bekennen, dass er in seiner aktiven Zeit gedopt habe. Sind das alles Einzelfälle, sind es die Verfehlungen von einigen bösen Ärzten an der Uni-Klinik in Freiburg oder steckt da mehr dahinter, ein System flächendeckender Manipulation möglicherweise?

    Am Telefon begrüße ich Sylvia Schenk, langjährige Leichtathletin, Olympiateilnehmerin 1972 im 800-Meter-Lauf, von 2001 bis 2005 Präsidentin des Bunds Deutscher Radfahrer, Vorgängerin von Rudolf Scharping also, und jetzt stellvertretende Vorsitzende der Anti-Korruptionsorganisation Transparency Deutschland. Einen schönen guten Morgen, Frau Schenk!

    Sylvia Schenk: Hallo, guten Morgen!

    Spengler: Frau Schenk, das kommt einem schon heutzutage ein wenig widersprüchlich vor: Erst Präsidentin des Bunds Deutscher Radfahrer, dann Engagement in einer Anti-Korruptionsorganisation. Oder hängen Doping und Korruption zusammen?

    Schenk: Doping und Korruption hängen zusammen, und für mich war das ein ganz konsequenter Schritt. Ich bin im Herbst 2004 beim Bund Deutscher Radfahrer zurückgetreten, nachdem ich einen Dopingverdacht falsch behandelt sah, der ist nämlich verschwiegen worden. Als ich ihn dann mindestens im Verband öffentlich machte, sagten alle, was willst Du denn? Es war ja nur ein Verdacht. Genau dieses Schweigen musste gebrochen werden. Im Übrigen ist der Radsport mindestens auf internationaler Ebene auch überhaupt nicht transparent. Alles was wir jetzt auch gerade erleben, zeigt nur, dass durch Intransparenz Doping über Jahre vertuscht werden kann. Das gleiche ist bei Korruption der Fall.

    Spengler: Aber es war typisch, dass der Vorstand Ihnen in Ihrem Kampf gegen diesen Dopingfall nicht gefolgt ist?

    Schenk: Das war offensichtlich typisch. Allerdings haben ja auch sämtliche Medien, Politik und andere damals mitbekommen, um was wir gestritten haben, und alle haben nur zugeschaut, wie entscheidet sich der Machtkampf. In die Sache selber ist keiner eingestiegen. Ich verstehe gar nicht, warum sich jetzt plötzlich so viele wundern, was alles im Radsport los ist.

    Spengler: Gibt es denn dort im Radsport flächendeckendes Doping, oder ist diese Unterstellung schon eine Hexenjagd, wie Ihr Nachfolger Rudolf Scharping meint?

    Schenk: Das hat er jetzt in den letzten Tagen nicht mehr gesagt. Also nachdem, was im Moment alles nach oben kommt, wird doch, denke ich, schon deutlich, dass das mit Einzelfällen schon lange nichts mehr zu tun hat, wenn man sieht, dass von den großen Radsportstars der letzten zehn Jahre die überwiegende Zahl inzwischen mindestens ein Dopingverfahren am Hals hatte. Was Olympiasieger, Weltmeister und so weiter betrifft, die sind inzwischen alle belastet, die Tour-de-France-Sieger - oder fast alle. Also von daher - auch was sich jetzt beim Team Telekom zeigt: Das war das Vorzeigeteam in den 90er Jahren, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Wenn es dort, so wie es jetzt deutlich wird, flächendeckend Doping gegeben hat, dann ist das schon sehr weitgehend. Man muss sehen, das sind jetzt die Spitzenteams. In den unteren Teams, in der dritten Kategorie sozusagen, war das in den 90er Jahren wahrscheinlich noch schlimmer.

    Spengler: Wenn man bei T-Mobile-Sportdirektor Rolf Aldag, der bisher immer Doping bei der Telekom strikt geleugnet hat, nun entschuldigend von Jugendsünden spricht, von Momenten der Schwäche, die es gegeben habe, dass man aber nun versuchen müsse, da raus zu kommen und mit ihm weiter zu machen, ist das die richtige Konsequenz oder müsste man ihn feuern?

    Schenk: Als Juristin sage ich zwar grundsätzlich, jeder hat das Recht auf Resozialisierung, aber das geht mir jetzt viel zu schnell. Ich bin der Ansicht, dass er jegliche Glaubwürdigkeit verloren hat. Ich würde ihm mein Kind nicht anvertrauen und auch nicht ein älteres Kind, er hat es ja mit Erwachsenen zu tun. Er war in den 90er Jahren auch schon dicke über 20. Das geht mir jetzt arg schnell, dass versucht wird, auch bei Christian Henn jetzt zu sagen, aber eben haben sie sich doch geoutet, jetzt ist alles wieder in Ordnung, sie sind heute anders. Sie hätten in den letzen Wochen ja schon mal was sagen können. Jetzt mit dem Rücken an der Wand zu sagen, übrigens, ich auch, kurz bevor es wahrscheinlich aufgedeckt werden würde, weil einfach jetzt die Lawine am Rollen ist, das hat mit Glaubwürdigkeit nichts zu tun. Wenn der Radsport jetzt wirklich da raus kommen will, dann müssen auf breiter Front auch Personen ausgetauscht werden.

    Spengler: Das heißt, wenn man aufarbeiten will, dann muss man auch rausschmeißen, nicht Aufarbeiten statt Rausschmiss.

    Schenk: Ja. Ich gehe davon aus, dass das eigentlich nur die logische Konsequenz sein kann und zwar wirklich auf breiter Ebene. Auch diejenigen, die damals im Radsport den Dopingverdacht abgedeckt haben, die sind für mich nicht mehr tragbar. Es war übrigens auch damals ein weiterer Freiburger Arzt mit im Spiel, der also auch aufgrund der Blutuntersuchung festgestellt hat, hier ist Verdacht von EPO-Einnahme und dann mitgemacht hat, dass das vertuscht wird, und dieser Sportler mit zu Olympia sogar genommen wurde. Also von daher ist auch in Freiburg noch Einiges mehr zu untersuchen.

    Spengler: Man redet jetzt eben von den Ärzten in Freiburg, von den Sportlern auch, von den Sponsoren. Wer redet denn eigentlich von der Verantwortung der Sportfunktionäre?

    Schenk: Das fängt mit Aldag ja an, inzwischen ist er ja ein Sportfunktionär. Ich glaube, das darf aber auch dann nur der erste Schritt sein, es muss auch da auf breiter Ebene geschaut werden. Es sind ja viele ehemalige Radsportler, die dann auch in Funktionen sind, und viele andere, die dann einfach die Augen immer wieder zugedrückt haben. Und von daher, ja, auch da muss es, glaube ich, losgehen. Ohne eine grundlegende Reinigung jetzt wird der Radsport sich nicht bekrabbeln können.

    Spengler: Sie persönlich als Funktionärin, waren Sie ja auch, Sie haben die Arzneimittelfirma STADA damals als Sponsor für den Bund Deutscher Radfahrer gewonnen. STADA stellt EPO her. War das ein Fehler?

    Schenk: STADA hat zum damaligen Zeitpunkt kein EPO hergestellt. Die sind dort im letzten Jahr eingestiegen.

    Spengler: Und jetzt als Transparency Deutschland gehen Sie gegen STADA vor?

    Schenk: Da kümmert sich im Moment unsere Gesundheitssprecherin drum, die da sehr viel näher an dem Thema dran ist.

    Spengler: Aber Sie haben sich für damals jedenfalls nichts vorzuwerfen?

    Schenk: Wir haben damals extra einen Teil des Sponsorgeldes zur Verfügung gestellt für Doping-Prävention, wir haben ganz klare Regelungen getroffen, wir haben uns hinsichtlich der Medikamente, die unsere Sportler nehmen, eine Liste geben lassen, was ist erlaubt, was nicht? Von daher haben wir dort ganz gezielt, und das ist auch bei der Vorstellung von STADA der Fall gewesen, gemeinsam mit STADA gesagt, wir wollen gegen Doping vorgehen, wir wollen hier sogar zusätzliche Akzente gegenüber dem Bisherigen setzen. Also wir hatten dann mehr Geld für Doping-Prävention zur Verfügung als vorher.

    Spengler: Aber es sieht jetzt so aus, als hätten Sie damals den Bock zum Gärtner gemacht, oder?

    Schenk: STADA hat damals kein EPO hergestellt.

    Spengler: Frau Schenk, ARD und ZDF wollen weiter Radrennen übertragen. Eine richtige Entscheidung?

    Schenk: Vom Grundsatz her ja, aber bitte ganz konsequent keine Rennen, wo verdächtige Sportler sind. Das gilt übrigens auch für sämtliche Innenminister: Bitte nicht die Straßen durch Polizei unentgeltlich absperren lassen, wenn in einem Rennen ein Sportler ist, der in irgendeiner Weise noch unter Verdacht steht. Man wird jetzt sehr viel kritischer gucken müssen auf jeden Doping-Verdacht. Das erwarte ich von allen Beteiligten.

    Spengler: Dankeschön für das Gespräch. Das war Sylvia Schenk, die stellvertretende Vorsitzende der Anti-Korruptionsorganisation Transparency Deutschland.