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Grundrechte-Katalog für Wissenschaftler

Forschungsförderung. - Wer im globalen Wettbewerb bestehen will, braucht vor allem eins: Kluge Köpfe mit innovativen Ideen. Doch in der Vergangenheit kehrte leider ein beträchtlicher Teil dieser gefragten Leute Europa den Rücken. Im Gefolge der Lissabon-Agenda wurden in Brüssel deshalb Gegenmaßnahmen ersonnen, um Europa attraktiver für Forscher zu machen - darunter auch ein Grundrechtskatalog, der den sozialen Status von Wissenschaftlern steigern soll.

Von Ralf Krauter | 21.02.2007
    Es sind 32 Seiten, die zwar nicht die Welt verändern sollen, wohl aber das Leben von Wissenschaftlern in Europa. Europäische Charta für Forscher: So heißt das Heftchen, das der Europarat 2005 verabschiedet hat. Es ist ein Verhaltenskodex für Forscher und all jene, die ihnen Arbeit geben. Der Grundrechtskatalog soll junge Talente vor den Unwägbarkeiten einer wissenschaftlichen Karriere schützen. Vor ewig erneut befristeten Verträgen zum Beispiel, und schlechter Bezahlung, erklärt der EU-Beamte Georges Bingen. Und vor undurchsichtigen Entscheidungen bei der Stellenvergabe:

    " Ihre Karriere soll davon abhängen, wie gut sie sind. Die Besten sollen die besten Chancen haben. Es gibt leider noch Länder oder Institute, wo halt die Karriere nicht der Qualität nach geht, sondern anderen Bedingungen. Wie lange habe ich für wen gedient? Und dann kriege ich den Job. Das wollen wir auf jeden Fall vermeiden. Das ist nicht im Interesse der europäischen Forschung und auch der Gelder, die wir in die europäische Forschung investieren - wir und alle andern. "

    Um Forscherkarrieren attraktiver zu machen, müssen sie besser planbar werden, sagt Jean-Patrick Connerade vom Imperial College in London. Als Präsident der Wissenschaftlervereinigung Euroscience war der Physiker maßgeblich am Text der Charta für Forscher beteiligt.

    " Forschern in Europa soll es künftig nicht mehr passieren, dass sie wie eine Zitrone ausgepresst und anschließend einfach weggeworfen werden. Wir wollen, dass sich Hochschulen und Forschungsinstitute verpflichten, ihren Wissenschaftlern klare berufliche Perspektiven aufzuzeigen. "

    Doch weil die Charta für Forscher nur eine Empfehlung ist, legen nicht alle Universitäten und Forschungseinrichtungen große Eile an den Tag, sie zu unterzeichnen. Schließlich nimmt das Dokument die Arbeitgeber unter anderem auch in die Pflicht, Nachwuchsforschern höhere Gehälter zu zahlen. Jean-Patrick Connerade ist trotzdem überzeugt: Über kurz oder lang werden sich die neuen Standards durchsetzen.

    " Eine Universität, die die Charta unterzeichnet und das auf ihrem Briefpapier kenntlich macht, wird doch sofort attraktiver für Wissenschafter. Die Spitzenforscher werden mit ihren Füßen abstimmen, wo sie lieber arbeiten wollen. Dadurch entsteht ein starker Anreiz, den Kodex zu akzeptieren. Und auch die Forschungsförderorganisationen werden sich schon bald sagen: Wir geben unser Geld lieber jenen Instituten, die die Grundrechte für Forscher achten - denn dort arbeiten die besten Leute. "

    Die italienischen Universitäten und das französische Forschungszentrum CNRS zum Beispiel haben die Charta für Forscher bereits unterschrieben. Eine Reihe deutscher Wissenschaftsorganisationen dagegen, hat Teile des Dokumentes in einer gemeinsamen Erklärung kritisiert. Die geforderten stabilen Beschäftigungsverhältnisse für Forscher - so eines der Argumente - seien während bestimmter Karrierephasen kontraproduktiv. Georges Bingen von der EU-Kommission sieht das genauso, findet die Kritik aber unbegründet.

    " Das soll überhaupt kein Problem sein, dass ein Forscher in einer bestimmten Phase keinen festen Arbeitsvertrag über längere Zeit hat. Das sind die Lehrjahre. Aber es darf nicht so sein, dass sich auf Postdoc Postdoc reiht. Wir legen den Instituten nahe, dass ein 35-Jähriger - um ein Beispiel zu nennen - zumindest ein Anrecht haben sollte, einen Pensionsbeitrag zu erhalten, was nicht immer der Fall ist bei Postdocs. "

    Ob und wann die Charta für Forscher einmal genauso selbstverständlich sein wird, wie die Charta für Menschenrechte, darauf mag sich derzeit keiner festlegen. EU-Forschungskommissar Potocnik immerhin macht die Steigerung der Attraktivität von Forscherberufen jetzt zur Chefsache.

    " Ich will sehen, wie leicht Forscher ihren Arbeitgeber wechseln können, ob sie Probleme mit der Anerkennung ihrer Qualifikationen und Rentenansprüche haben und wie es um ihre Karrierechancen an öffentlichen Einrichtungen und in der Industrie bestellt ist. Kurz gesagt: Ich will wissen, wie viele Hürden für Wissenschaftler wir bereits aus dem Weg geräumt haben, seit vor sieben Jahren die Idee vom europäischen Forschungsraum geboren wurde. "

    Mehr über Europas Vielfalt finden Sie im Programmschwerpunkt Werkstatt Europa