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Guantanamo
"Die Gefangenen im Stich gelassen"

Die Schließung des Gefangenenlagers Guantanamo ist ein Ziel, das US-Präsident Barack Obama - heute zu Besuch in Deutschland - nicht erreicht hat. Nach Auffassung des Grünen-Politikers Hans-Christian Ströbele trägt Deutschland eine Mitschuld an diesem Scheitern. Die Bundesregierung habe eine Aufnahme von Gefangenen verweigert, sagte Ströbele im DLF.

Christian Ströbele im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 16.11.2016
    Der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Hans-Christian Ströbele
    Der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Hans-Christian Ströbele (picture alliance / dpa/ Soeren Stache)
    Die damalige Bundesregierung hätte sich viel deutlicher für eine Schließung Guantanamos einsetzen müssen, habe das aber nie gewollt, kritisierte Ströbele im Interview mit dem Deutschlandfunk. Im Fall des hier geborenen Guantanamo-Insassen Murat Kurnaz habe sie geradezu unverantwortlich gehandelt, so Ströbele.
    Die Regierung habe damals Mitarbeiter des BND und des Bundesamts für Verfassungsschutz nach Guantanamo geschickt, um Kurnaz zu befragen. Dabei sei herausgekommen, dass an den US-Vorwürfen gegen Kurnaz nichts dran gewesen sei. Dennoch habe sich die Bundesrepublik viel zu lange geweigert, ihn aufzunehmen.
    Kurnaz in einem Raum; er sagt gerade etwas.
    Jahrelang in Guantanamo gefangen: Der in Deutschland geborene Türke Murat Kurnaz. (picture alliance / dpa Foto: Wiktor Dabkowski)
    Der Grünen-Parlamentarier erinnerte auch an den Fall von zehn chinesischen Uiguren. Diese seien ohne jegliche Verfahren jahrelang in Guantanamo festgehalten und dort auch gefoltert worden. Als die USA sie dann endlich hätten abschieben wollen, habe Deutschland eine Aufnahme jedoch verweigert. Diese Gefangenen seien von der Bundesregierung im Stich gelassen worden, betonte Ströbele. Hier seien die deutsch-chinesischen Beziehungen offenbar wichtiger gewesen.

    Das Interview in voller Länge:
    Ann-Kathrin Büüsker: Kurnaz war ja von 2002 bis 2006 in Guantanamo inhaftiert. Die Frage, inwieweit die deutschen Behörden sich mit in diese Sache verstrickt haben und wo sie vielleicht Fehler gemacht haben, damit hat sich ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages beschäftigt. 2009 kam dieser sogenannte BND-Untersuchungsausschuss zu dem Abschlussurteil, dass in dem Fall Kurnaz kein Fehlverhalten deutscher Behörden vorgelegen habe. Allerdings fehlte dem Ausschuss die komplette Akteneinsicht.
    Als Berichterstatter für die Grünen saß Hans-Christian Ströbele mit in diesem Ausschuss. Er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Ströbele.
    Hans-Christian Ströbele: Ja, guten Morgen!
    Büüsker: Murat Kurnaz, der hat ja im Ausschuss detailliert geschildert, was ihm in Guantanamo passiert ist. Das Wissen um das Unrecht im Lager, das war also da. Hätte die Bundesregierung sich stärker für eine Schließung starkmachen müssen?
    Ströbele: Ganz eindeutig ja!
    Büüsker: Warum hat sie das nicht?
    Ströbele: Weil sie nicht wollte!
    "Unverständlich, dass die Bundesregierung Kurnaz nicht aufgenommen hat"
    Büüsker: Warum?
    Ströbele: Es gab ein Einverständnis zwischen dem Innenministerium und dem Bundeskanzleramt, vertreten durch Herrn Steinmeier, Herrn Kurnaz nicht aufzunehmen. Die Bundesregierung hat damals sogar, und zwar im ganz frühen Stadium, im Oktober 2002 mehrere Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz nach Guantanamo geschickt, die Herrn Kurnaz in Guantanamo befragt haben und zu dem Ergebnis gekommen sind, da ist nichts dran. Sie haben dort mit Mitarbeitern der amerikanischen Sicherheitsbehörden, insbesondere der CIA gesprochen. Die haben gesagt, wir haben nichts gegen ihn. Er sollte, das wurde so angedeutet, nach etwa Weihnachten 2002 freigelassen werden. Er kam nicht, er ist nicht freigelassen worden, weil die Bundesregierung sich weigerte, ihn aufzunehmen.
    Wir haben in den Akten Stellen gefunden, wo niedergelegt war, dass die Amerikaner sich darüber gewundert haben, warum Deutschland Herrn Kurnaz nicht aufgenommen hat, aber sie konnten dann auch nichts machen. Es war in der Situation damals völlig unverantwortlich, ihn nicht aufzunehmen, weil wir müssen ja wissen: Guantanamo war nach Anfängen, wo noch keine heftige Kritik kam, auch in Deutschland, auch von der Bundesregierung, auch vom damaligen Außenminister heftig kritisiert worden, und deshalb war es völlig unverständlich, dass die Bundesregierung ihn nicht aufgenommen hat.
    Ströbele: Deutsch-chinesische Interessen stärker als humanitäre Bedenken
    Büüsker: Das war die Entscheidung von 2002. - Machen wir mal zeitlich vielleicht den Sprung auf 2009. Ich habe gesagt, da wurde der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses veröffentlicht und im Prinzip war zu dem Zeitpunkt allen klar, was in Guantanamo passiert. Warum hat die Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt nicht noch stärker darauf hingewirkt, dass Guantanamo geschlossen wird?
    Ströbele: Zunächst mal zu dem Bericht. Da müssen Sie einmal sehen: Da gibt es einen Mehrheitsbericht. Die Mehrheit des Ausschusses hat damals tatsächlich einen Bericht angefertigt, in dem sie gesagt hat, wir können da nichts vorwerfen. Es gibt aber auch Minderheitenberichte, unter anderem meinen, in dem ganz eindeutig aufgelistet steht mit den einzelnen Fakten, mit den einzelnen Aussagen, mit den Textstellen aus den Akten, wo man ganz genau nachlesen konnte, wie die Bundesregierung damals verstrickt gewesen ist.
    Trotzdem hat das nicht dazu geführt, dass der Ausschuss mehrheitlich dafür war, weil leider - das ist ja meine Erfahrung in vielen Untersuchungsausschüssen - die Ausschussmehrheit, die ja immer die Koalitionsmehrheit ist, ihre Aufgabe darin gesehen hat, sich vor die Bundesregierung zu stellen und deren Schuld oder deren Verantwortung möglichst klein zu halten.
    Es gab dann in den Jahren danach - und ich selber war auch daran beteiligt - immer wieder Bemühungen aus den USA. Obama hat Sonderbeauftragte durch Europa und durch die Welt geschickt. Er war auch in Deutschland und hat gebeten, doch Gefangene aus Guantanamo aufzunehmen. Das hat auch damals die Bundesregierung, auch 2009 und 2010 dann abgelehnt.
    Es ging zum Beispiel dann, nachdem Herr Kurnaz ja freigelassen worden war, um Uiguren, also Chinesen, die in China verfolgt wurden und nicht nach China zurückkonnten, und da hat auch ganz konkret, ich erinnere mich noch daran, zehn Uiguren sich die Bundesregierung geweigert, sie in Deutschland aufzunehmen. Das sind alles Leute gewesen, gegen die keinerlei Verfahren durchgeführt worden sind und die unter Folterumständen viele, viele Jahre in Guantanamo gelitten haben.
    Büüsker: Herr Ströbele, verstehe ich Sie denn richtig, dass Sie zu der Einschätzung kommen, dass die Bundesregierung Obama bei seinen Bemühungen, Guantanamo zu schließen, hier im Stich gelassen hat?
    Ströbele: Ganz eindeutig auch ja. Das hat sich nachher ein bisschen geändert. Es sind ganz wenige, ganz vereinzelte, ich weiß jetzt die genaue Zahl nicht, zwei oder drei später aufgenommen worden. Aber da, als wir uns bemüht haben - ich weiß, dass ich selber auch einen Brief geschrieben habe an die Kanzlerin, da könne man doch jetzt einen humanitären Akt zeigen -, aber da waren die deutsch-chinesischen Interessen offenbar so stark, dass man die nicht aufgenommen hat.
    "Auch Obama hat nicht immer das Richtige erzählt "
    Büüsker: Schauen wir kurz auf den heutigen Besuch von Barack Obama. Er hat ja gesagt Anfang der Woche, Angela Merkel sei während seiner Amtszeit seine wichtigste Verbündete gewesen. Und dennoch haben die USA Deutschland, wohl auch das Handy der Kanzlerin ausgespäht. Wie passt das aus Ihrer Sicht zusammen, wenn man auf das Verhältnis der beiden Staaten guckt?
    Ströbele: Das passt überhaupt nicht zusammen, weil Obama hat ja, als die Enthüllungen von Edward Snowden bekannt wurden, sogar ganz offensiv mal auf einer Reise in Afrika erklärt, das käme doch überhaupt nicht in Betracht, die Kanzlerin abzuhören. Wenn er von der Kanzlerin was wolle, mit der sei er ja eng befreundet und er habe deren Telefonnummer, dann würde er sie selber anrufen.
    Aber das war alles Schall und Rauch, das stimmte nicht, weil ganz offensichtlich das Handy der Kanzlerin abgehört worden ist, und zwar lange Zeit, und ja nicht nur ihres, sondern das auch anderer Mitglieder der früheren Bundesregierungen. Das haben wir dann rausbekommen, aber da sieht man, dass auch Obama nicht immer das Richtige erzählt hat. Ich weiß natürlich nicht, was er im Einzelnen von der Tätigkeit seiner Geheimdienste gewusst hat. Wir haben ihn ja nicht als Zeugen hören können.
    Büüsker: Herr Ströbele, was sagt das dann über das Verhältnis von Deutschland und den USA aus?
    Ströbele: Das muss man, glaube ich, voneinander trennen. Was die Geheimdienste machen: Die haben in den USA sowieso, aber auch in Deutschland weitgehend freie Hand, gerade damals freie Hand gehabt, und wir wissen ja inzwischen, dass, nachdem die Bundesregierung dann in ihrer Aufregung erklärt hat, öffentlich mehrfach erklärt hat, Ausspähen unter Freunden geht gar nicht, dass in der gleichen Zeit sehr wohl auch von deutschen Geheimdiensten, Bundesnachrichtendienst, sogar europäische Partner und Freunde und sehr nahestehende Ministerien und so weiter abgehört worden sind. Da, muss man sagen, herrscht Lug und Trug.
    Büüsker: … sagt Hans-Christian Ströbele. Er saß für die Grünen bis 2009 im Untersuchungsausschuss zum Fall Murat Kurnaz und mit ihm habe ich gesprochen über das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Ströbele.
    Ströbele: Ja, auf Wiedersehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.