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Guantanamo-Tagebuch
Innenansichten eines Häftlings

Guantanamo, wo seit dem 11. September 2001 echte oder mutmaßliche Al-Kaida-Terroristen festgehalten werden, ist zum Symbol für den schleichenden Verlust westlicher Werte geworden. Wie die Haftbedingungen dort sind, schildert das Tagebuch eines Häftlings, der bis heute dort festgehalten wird - obwohl seine Freilassung angeordnet wurde.

Von Sabina Matthay | 02.02.2015
    Häftlinge im US-Gefangenenlager Guantanamo
    Häftlinge im US-Gefangenenlager Guantanamo (dpa / picture alliance / epa afp Mccoy)
    Gerade hat US-Präsident Barack Obama erneut die Schließung des Gefangenenlagers Guantanamo Bay auf Kuba in Aussicht gestellt. Aber niemand rechnet damit, dass es dazu bald kommt. Kaum ein Land ist bereit, die verbliebenen Häftlinge aufzunehmen. Und keines könnte die Sicherheitsauflagen der USA erfüllen, die Freigelassene daran hindern sollen, sich dem militanten Islam anzuschließen. Die Haftbedingungen und die Verhörmethoden in dem Lager auf Kuba hat kürzlich der CIA-Folterbericht des amerikanischen Senats dargelegt. Mohamedou Ould Slahis "Guantanamo Tagebuch" ist eine wertvolle Ergänzung dieses Berichts, denn Slahi hat die Folter am eigenen Leibe erfahren.
    "Einer der Kerle schlug so heftig zu, dass es mir den Atem verschlug und ich würgen musste. Das Atmen fiel mir wegen des Sacks über dem Kopf sowieso schon schwer, und dann prügelten sie derartig auf meine Rippen, dass ich eine Zeit lang nicht mehr atmen konnte."
    Der damalige amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld persönlich genehmigte 2002 den besonderen "Vernehmungsplan" im Fall Slahi. Was dieser Plan enthielt, zählt Larry Siems auf, der Herausgeber des "Guantanamo Tagebuchs":
    "Vollständige Isolation, Schlafentzug, extreme Temperaturschwankungen, sexueller Missbrauch, eine fingierte Entführung, bei der er in Ketten gelegt, auf ein Boot geschleppt und in die Karibik geschickt wurde, dann zurück in Dunkelhaft auf Guantanamo. Monatelang durfte er nicht an die Sonne, durfte er nicht die Tageszeit erfahren. Derweil gingen die Verhöre weiter."
    Veröffentlichung erst nach langem Rechtsstreit
    Rund ein Fünftel des "Guantanamo Tagebuchs" ist geschwärzt. Die US-Behörden zensierten das Manuskript, erst nach langem Rechtsstreit mit dem amerikanischen Staat konnte Siems es herausgeben. Kontakt zu Mohamedou Slahi durfte er nicht aufnehmen. Der hat die redigierte Version seines Tagebuchs noch nie gesehen. Slahi beschreibt darin nicht nur die Folter auf Guantanamo, er stellt auch die Frage nach der Rechtsstaatlichkeit der Terrorbekämpfung. Der gebürtige Mauretanier war ins Visier der US-Behörden geraten, weil er sich 1991 Al-Kaida angeschlossen hatte, um in Afghanistan Kommunisten zu bekämpfen. Ein Schwager Slahis war Berater von Osama Bin Laden. In Deutschland, wo Slahi Elektrotechnik studierte, lernte er Ramzi bin al-Shibh kennen, Drahtzieher der Angriffe vom 11. September 2001. Im kanadischen Montreal besuchte Slahi später dieselbe Moschee wie Ahmed Ressam. Ressam verbüßt in den Vereinigten Staaten eine lange Haftstrafe, weil er einen Anschlag auf den Flughafen Los Angeles geplant hatte. Die amerikanischen Behörden schlossen daraus, dass Mohamedou Ould Slahi ein wichtiger Anwerber für Al-Kaida sei. Im November 2001 nahmen sie ihn in Mauretanien fest und verschleppten ihn über Jordanien und Afghanistan nach Guantanamo Bay. Slahi kontert, die Verbindung zu Al-Kaida habe er 1992 gekappt, Osama bin Laden habe er nur ein einziges Mal getroffen, und dabei seien keine Anschläge auf Ziele in den USA verabredet worden, Ahmed Ressam kenne er überhaupt nicht. Doch als er die Torturen nicht mehr ertragen konnte, beschloss er, seinen Befragern zu erzählen, was sie offenbar hören wollten. Er erfand Verschwörungen und legte anderen Taten zur Last, die nie verübt worden waren.
    "Wenn in mir die Wörter 'ich weiß nicht' oder 'Kenne ich nicht' hochkamen, wurde mir übel, denn dann tauchten auch die Wörter von (im Original geschwärzt) mit auf: 'Du musst nur sagen‚ ich weiß nicht, kenne ich nicht, ich erinnere mich nicht', und dann machen wir dich fertig!' oder (im Original geschwärzt) ‚Wir haben keine Lust mehr, dir dabei zuzuhören, wie du alles abstreitest!' Was blieb mir also anderes übrig, als diese Wörter aus meinem Wortschatz zu streichen?"
    Ein historisches Zeugnis
    Im Verlaufe eines Haftprüfungsverfahrens zogen die amerikanischen Behörden einen Vorwurf nach dem anderen gegen Slahi zurück. Zunächst hatten sie ihn der Beteiligung an den Anschlägen vom 11. September 2001 beschuldigt, dann der Unterstützung von Al-Kaida-Mitgliedern. Heute heißt es nur noch, Slahi sei zum Zeitpunkt seiner Verhaftung Teil von Al-Kaida gewesen. 2010 kam ein amerikanischer Bundesrichter zu dem Schluss, dass die Beweislage so stark auf Druck und Misshandlung fuße, dass eine Strafverfolgung nicht mehr möglich sei, und ordnete Slahis Freilassung an. Die US-Regierung focht die Entscheidung an, ein Berufungsgericht hob die Anordnung auf. Mohammedu Slahi ist mittlerweile 44 und ist nun seit fast 13 Jahren in Guantanamo. 122 Häftlinge sitzen dort aktuell noch ein, 54 von ihnen gelten selbst den US-Behörden als ungefährlich. Den meisten ist genau wie Slahi nie der Prozess gemacht worden. Das rechtsstaatliche Prinzip der Unschuld bis zum Beweis des Gegenteils sei dem Krieg gegen den Terror zum Opfer gefallen, stellt Slahi fest:
    "Jeder macht Fehler. Ich finde, die amerikanische Regierung ist es den amerikanischen Bürgern schuldig, ihnen die Wahrheit über das zu sagen, was in Guantanamo geschieht."
    Mohammedou Slahi verfasste "Das Guantanamo Tagebuch" ursprünglich in holprigem Englisch, trotzdem sind seine Schilderungen lebendig, gar spannend. Der Autor selbst wirkt neugierig und aufmerksam, witzig und gläubig, aber keineswegs fanatisch. Herausgeber Larry Siems bezeichnet "Das Guantanamo Tagebuch" als ein notwendiges Buch, vor allem für die USA:
    "Wir haben uns nicht gestattet, darüber nachzudenken, wie es sich anfühlt, an diesem Ort zu sein und diese Dinge zu erleben. Das gehört zu dem, was den Amerikanern systematisch vorenthalten wird: der Zugang zu den Stimmen der Menschen, die im Gefängnis von Guantanamo leben – die Gefangenen und ihre Wärter."
    "Das Guantanamo Tagebuch" ist ein subjektiver Bericht, ein historisches Zeugnis, Pflichtlektüre für jeden, der sich mit dem "Krieg gegen den Terror" befasst. Denn es unterstreicht, dass die Verteidigung der Zivilisation sinnlos ist, wenn sie in Brutalität abgleitet.
    Mohamedou Ould Slahi: "Das Guantanamo Tagebuch", Verlag Klett-Cotta, 459 Seiten, 19,95 Euro