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Gülen-Bewegung
Modern ist nur das Marketing

Die Gülen-Bewegung vertritt nach außen die Versöhnung von Islam und Moderne. Doch einen Blick hinter die Kulissen lässt das Netzwerk nicht zu. Kritiker vermuten, dass die Bewegung eine heimliche Agenda hat.

Von Volker Siefert | 06.02.2014
    Dienstagfrüh in der Adalbertstraße in Frankfurt-Bockenheim. Nicht weit von hier, auf dem alten Campus, wurde vergangenes Wochenende der Uni-Turm gesprengt. Im Haus mit der Nummer 26 residieren zwei Vereine der Gülen-Bewegung. In großzügigen Büros bietet "Avicenna" Schülern Nachhilfe an. Außerdem können Menschen, die aus dem Ausland nach Deutschland kommen, in dem Verein vom Bund finanzierte Integrationskurse absolvieren.
    Gleich drunter im selben Gebäude sitzt das "Forum Interkultureller Dialog", kurz FID e. V. Seit Monaten versuche ich von dem Vorsitzenden des Vereins, Herrn Eyup Becir, ein Interview zu bekommen. Ich will ihn zu den Hintergründen der Gülen-Bewegung befragen. Alle Bemühungen waren bislang vergeblich. Dabei scheine ich doch an der richtigen Adresse zu sein: An der großen Glastür hängt ein Poster mit der Werbung für ein Buch: Ich lese vor: "Hizmet-Bewegung - Fragen und Antworten über die Gülen-Bewegung".
    "Guten Tag. Ich will zu Herrn Becir."
    - "Ich hole meine Freundin."
    Ich bekomme nach einigen Minuten Warten vor der Tür von der Frau, die mir aufgemacht hat, ein Smartphone gereicht und telefoniere mit einer anderen Frau, die sich im Haus befinden soll.
    "Ich bin Journalist, will Herrn Becir sprechen…"
    Die Frau sagt, ich würde mittags zurückgerufen. Ihren Namen wolle sie nicht sagen, sie sei nur "eine Übersetzerin". Hinter ihr vernehme ich durch den Lautsprecher des Telefons aufgeregte türkisch-sprechende Stimmen. Am Mittag kommt kein Rückruf, auf erneute Nachfrage bekomme ich eine Mail von dem Vorsitzenden, Herrn Becir, dass er keine Zeit für ein Interview habe.
    Gülen-Bewegung organisiert Gesprächsrunden
    Ich frage nach bei einem, der regelmäßig zu Veranstaltungen des FID e. V. eingeladen wird. Diether Heesemann ist Rentner. Er engagiert sich seit Jahrzehnten für die Integrationsarbeit. Er erinnert sich an zahlreiche Gesprächsrunden, zu denen der FID e. V. in gediegener, gastfreundlicher Atmosphäre eingeladen hat. Als Gäste kamen Politiker, Vertreter aller Religionen und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Diether Heesemann:
    "Jetzt insgesamt über die Jahre, habe ich bemängelt, dass der Verein selbst im Dunkeln bleibt. Es bleibt immer offen, was er mit diesen Einladungen bezweckt. Es kommen höchstens aus dem Umfeld persönliche Einlassungen. Die Hintergründe, warum sie diese Arbeit machen, blieb im Dunkeln, stand im Kontrast zu dem Rahmen und der Gastfreundschaft der Einladungen, und entsprechende Fragen von mir wurden nicht beantwortet."
    Ein Dialogverein, der sich nicht in die eigenen Karten schauen lässt. Sagen sie das eine und wollen etwas anderes? Diether Heesemann beschäftigt diese Frage seit Langem. Aus seiner Erfahrung hat die Gülen-Bewegung die entsprechenden finanziellen Mittel, um Einfluss zu nehmen:
    "Es sind wahrscheinlich viele Mitglieder. Und es sind potente Mitglieder. Ich glaube, es sind sehr gute Netzwerker, dadurch kommen so große Beiträge zusammen, die in Form von Spenden oder möglicherweise auch Nachlässen zusammen kommen, kommen dieser Bewegung zugute, dass sie in Schulen und Kindergärten gründen können. Man kann nur sagen, ohne dass man das wertet: Hut ab vor der Netzwerkarbeit."
    Das Gülen-Netzwerk ist weltweit aktiv. Anhänger des Vorpredigers Fethullah Gülen gründen Schulen, Bildungsinstitute, Krankenhäuser oder spenden große Summen als Unternehmer für den Dienst an der Allgemeinheit. Die Zahl der Anhänger und Sympathisanten Gülens wird auf mehrere Millionen weltweit geschätzt. Seine türkisch-stämmigen Anhänger sehen den greisen Gülen als "islamischen Gandhi", als Mann des Friedens und des Dialogs.
    Gülen in Deutschland - eine Lobbymaschine
    Doch der Machtkampf zwischen dem türkischen Ministerpräsidenten und der Gülen-Bewegung in der Türkei hat auf einmal auch hier in Deutschland das Treiben der Gülen-Bewegung in ein neues Licht gestellt. Was wollen die zahlreichen Vereine, warum suchen sie so viel Kontakt zu deutschen Politikern und Würdenträgern und geben so wenig von sich preis?
    Gülen in Deutschland - eine Lobbymaschine. Zur Strategie der Gülen-Bewegung gehört es, junge begabte Menschen - gute Schüler - an sich zu binden. Es gibt mehr als 120 Gülen-Nachhilfevereine in Deutschland. Die Schüler, die dort hingehen, sind überwiegend aus türkisch-stämmigen Familien. Mit Freizeitangeboten außerhalb der Nachhilfestunden werden sie an die Bewegung herangeführt, zu Gesprächskreisen eingeladen und immer enger an Gülen gebunden. Sie sollen später im Sinne der Bewegung studieren. Zum Beispiel islamische Theologie.
    Ich treffe Tim Sievers. Er studiert an der Uni Frankfurt islamische Theologie. Als Student der ersten Stunde hat er über die Jahre Erfahrungen mit Kommilitonen gemacht, die Anhänger Gülens sind oder waren. Ich treffe ihn auf Campus in Bockenheim. In seiner Erinnerung waren am Anfang sehr viele Studierende der islamischen Theologie mit einem Gülen-Hintergrund an die Uni gekommen:
    "Es waren am Anfang des Studiengangs mehr als die Hälfte der Gülen-Bewegung zuzurechnen."
    Inzwischen sei der Anteil von Gülen-Anhängern im Studiengang wieder gesunken. Vor unserem Gespräch überlegt der Student den ganzen Tag, ob und in welcher Form er etwas öffentlich zu der Bewegung sagen will. Er weiß von ihr, dass sie gerne im Hintergrund Einfluss nimmt und viele Fürsprecher hat. Am Ende des Tages entscheidet er sich, offen zu sprechen.
    Versöhnung von Islam und Moderne
    Er erzählt von Studierenden, die in sogenannten Lichthäusern leben. Internatsähnliche Wohngemeinschaften, in denen der Studierende, geschlechtergetrennt, unter der Kontrolle älterer Gülen-Anhänger stehe. Er kennt auch das Bild, dass Gülen gerne von sich verbreitet, er vertrete die Versöhnung von Islam und Moderne. Der angehende Theologe hat daran seine Zweifel:
    "Ich habe auf der Homepage lesen können, dass auch für Apostaten die Todesstrafe gelten solle. Die Modernität liegt nach meiner Einschätzung eher in der Form, es gibt Verlage, Internetseiten, das Marketing ist modern."
    Apostasie, der Abfall vom Glauben. Wer vom einzig wahren Glauben, dem Islam, abfällt, darf getötet werden. In dieser These steckt ein Welt- und Menschenbild, in dem sich das Individuum komplett der Religion unterzuordnen hat. Persönlichkeitsentwicklung, individuelle Freiheit, Werte die in der Tradition der Aufklärung stehen, zählen für Gülen in letzter Instanz wohl nichts.
    Wenn einer, der jahrelang auf enger Tuchfühlung mit den offiziellen Vertretern Gülens in Deutschland im Austausch stand, noch mehr Fragen als Antworten hat, dann sollte man in Zukunft vielleicht genauer hinhören, was im Innern der Bewegung geschieht. Diether Heesemann, der sich seit Jahrzehnten in der Integration engagiert, bleibt bei Gülen skeptisch:
    "Soweit ich sie kennengelernt habe, bleibt da vieles im Dunkeln. Und das ist das, was die Zweifel nicht verstummen lässt, ob es eine heimliche Agenda bei dem Netzwerk gibt."