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Gugelhupf und Kaiserinnenschmarrn

Linda Stifts fein gesponnener Schauerroman "Stierhunger" beginnt mit einer harmlosen Einladung zum Gugelhupf, zu Kaffee und Kuchen, steigert sich aber bald zur Inventur eines rein weiblichen Universums rund um das Diktat des Schlankseins.

Von Kathrin Hillgruber | 23.01.2008
    Als Gräfin Hohenembs gab sich Kaiserin Elisabeth von Österreich auf ihrer letzten Reise nach Genf aus, bei der sie von einem Anarchisten erdolcht wurde. Hohenembs nennt sich auch jene ältere Dame in Schwarz, die eine unsichere junge Frau vor einer Wiener Konditorei anspricht: Ob sie sich einen Gugelhupf mit ihr teilen wolle? In Linda Stifts feinziseliertem Schauerroman "Stierhunger" wird er zu einem Napfkuchen des Schreckens, zum Auftakt einer tragischen Entgleisung. Wie vom Gift einer Schwarzen Witwe paralysiert, folgt die Ich-Erzählerin jener Frau Hohenembs zunächst in die Konditorei und dann in deren weitläufige Altbauwohnung. Schemenhaft nimmt sie dort zahlreiche Portraits der jungen Kaiserin Sisi wahr. Teppiche, Plüsch, Papageien, ein aufdringlicher Hund und eine dicke Hausangestellte um die sechzig treten mit der logischen Zwangsläufigkeit eines Traums oder Alptraums auf den Plan.

    Was als harmlose Einladung zu Kaffee und Kuchen beginnt, steigert sich zur Inventur eines rein weiblichen Universums. Die klaustrophobische Innenwelt erinnert an die unentrinnbare Wiener Wohnhölle von Mutter und Tochter in Elfriede Jelineks "Klavierspielerin". Allerdings geht es bei Linda Stift, die meisterlich die Kunst der Andeutung und Aussparung beherrscht, sehr viel unterhaltsamer zu.

    Die schlanke Besucherin langt beim Kuchenessen tüchtig zu - und sitzt damit in der Falle. Jene Frau Hohenembs nämlich, die ihre Angestellte nach Kaiserinnen-Art "mein kedves Idam" tituliert, muss ihre Labilität geahnt haben. Die Ich-Erzählerin litt lange Jahre unter Ess-Brech-Sucht, unter heimlichen Fressanfällen, die das alte Wort "Stierhunger" so plastisch bezeichnet. Ihre größte Angst ist es, mit Essen in Verbindung gebracht zu werden.

    Die Ich-Erzählerin, deren Perspektive die Autorin in aller Konsequenz einnimmt, hat sich ihre Autonomie mühsam errungen. Ihr ganzer Stolz ist ihre Wohnung, in der sie sich jedoch bald nicht mehr sicher wähnt. Einmal nennt sie indirekt Marlen Haushofers Roman "Die Wand" als Vorbild. Darin richtet sich eine Frau als Überlebende einer mysteriösen Katastrophe mit einigen Tieren in der Wildnis ein. Doch für die ebenso labile wie hochreflektierte Heldin von "Stierhunger" bleibt diese "splendid isolation" ein Wunschtraum. Im Auftrag der Firma "Messies Unlimited" berät sie Menschen, die mit ihrer Unordnung nicht mehr fertigwerden. Ansonsten besteht ihr einziger Kontakt zur Außenwelt aus einer ominösen Charlotte, die sie anrufen will, es aber doch nicht tut.

    Wie in Trance sieht sie sich bei merkwürdigen, zunehmend kriminellen Aktivitäten mit den Sisi-Verehrerinnen zu: beim Versuch, den einbalsamierten Kopf des Sisi-Mörders Luccheni durch die Stadt zu transportieren, bei diversen Diebstählen von Devotionalien wie einer kaiserlichen Kokainspritze oder einer Entenpresse, um frischen Fleischsaft herzustellen. Alles kreist ums Essen, der titelgebende Stierhunger erscheint als fehlgeleiteter Lebenshunger.

    Der Roman entpuppt sich als ein Text voller offener und versteckter Imperative rund um das in Frauenköpfe internalisierte Diktat des Schlankseins. Die einzige, die alle Regeln unterläuft und sich hemmungslos auslebt, ist die dicke Zofe Ida. Sie fälscht ihr von der Herrschaft aufgezwungenes "Esstagebuch" und gibt sich in der Küche einem tattrigen Baron mit Tourette-Syndrom hin. Männer finden nur in der Verkleinerungsform, versehrt oder lächerlich, Zutritt in das k.u.k.-Reich der Schwarzen Witwen.

    Linda Stifts unterkühlte Diktion kann süchtig machen. Sie bedient sich einer eleganten Unterwanderungsmethode durch einen Subtext: Kursive Einschübe aus dem fiktiven Tagebuch einer der ungarischen Hofdamen von Kaiserin Sisi flankieren die Gegenwartshandlung wie eine Lipizzaner-Quadrille. In schwärmerischem Tonfall berichtet die Hofdame, wie Sisi ihre Wespentaille in die Kleider einnähen ließ oder, zum Kummer des Kaisers, in fremde Häuser und Wohnungen eindrang. Ist nicht zufällig die junge Frau von der Kündigung ihrer Wohnung bedroht? Auf diese Weise steigert die Spiegelung des Textes im Text den Reiz von "Stierhunger" noch weiter, bis zur Kulmination in einem Sisi-Ähnlichkeitswettbewerb.
    "Zur Wahrheit der Wand gehört die Einübung in das Absurde, das Sichabfinden mit der Vergeblichkeit", schreibt Daniela Strigl in ihrer Biographie über Marlen Haushofer. Spätestens als die Heldin von "Stierhunger" den ihr zugewiesenen Arbeitskittel an- und ihr bisheriges Ich endgültig ablegt, ist es auch bei ihr soweit. Ein solch maliziöser Psychothriller kann nur aus Wien kommen.

    Linda Stift: Stierhunger. Roman. Deuticke Verlag, Wien 2007. 172 Seiten, 18,40 Euro.