Dienstag, 16. April 2024

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Guggenheim Museum in New York
Retrospektive der Kolumbianerin Doris Salcedo

Doris Salcedo kämpft an gegen die Verdrängung von Verbrechen, gegen das Vergessen der Opfer - mit ihren Skulpturen, Installationen und Plastiken. Sie möchte die Menschen zum Weinen bringen. Das Guggenheim in New York widmet der 1958 geborenen Künstlerin eine Retrospektive.

Von Sacha Verna | 29.06.2015
    Kunst könne Opfern von Gewalt ihre Würde wiedergeben, sagt Doris Salcedo. Seit dreißig Jahren bemüht sich die Kolumbianerin darum, solche Kunst zu schaffen. Zum Beispiel in Form von ausrangierten Schränken und Kommoden, die sie mit Beton füllt, aus dem einzelne Kleiderfetzen hängen. Oder mit getragenen Schuhen in Nischen, die wie Schaukästen in die Wand eingelassen und mit einem hauchdünnen Material aus Tierfasern überzogen sind.
    Jeder von Doris Salcedos Arbeiten gingen lange Phasen der Recherche voraus, erklärt die Kuratorin Katherine Brinson:
    "Sie bittet Leute, die ungeheure Verluste erlitten haben, um ihre Geschichten. Sie sucht diese Nähe, um ihren Werken Unmittelbarkeit und zugleich Integrität zu verleihen. Mit ihnen erinnert sie uns daran, dass wir vor diesen tragischen Aspekten unserer Gesellschaft nicht die Augen verschließen dürfen."
    Die Retrospektive im New Yorker Guggenheim Museum ist die erste überhaupt auf Doris Salcedo. Sie umfasst neben einem Film über die architektonischen Interventionen der Künstlerin 18 Arbeiten aus den Jahren zwischen 1986 und 2014.
    "Ich sehe Doris Salcedos Skulpturen in der Tradition des Minimalismus und des Post-Minimalismus. Aber eigentlich spricht sie ihre ganz eigene Sprache. Sie selber sagt oft, Joseph Beuys habe sie beeinflusst."
    Wer weiß, ob Joseph Beuys die Geduld aufgebracht hätte, aus einem Seidenfaden die Umhänge für Doris Salcedos jüngstes Werk in dieser Schau zu stricken. Bei genauerem Hinsehen entpuppen sich die drei fast durchsichtigen Gewänder als Folterwerkzeuge der besonderen Art, die mit Tausenden von versengten Nadeln durchsetzt sind. Als Vorbereitung auf diese Arbeit hat Doris Salcedo mit Müttern gesprochen, deren Kinder in Schießereien umkamen.
    "Im Gegensatz zur Bildersprache und zu den Kriminalstatistiken in den Medien vermittelt uns Doris Salcedos Werk, wie sich Verlust anfühlt. Das ist viel schwieriger auszudrücken."
    Ob Massaker auf südamerikanischen Bananenplantagen oder Kugelhagel in Chicago, Doris Salcedo wartet mit dem passenden Mahnmal auf. Sie scheut keinen Aufwand, um das annektierte Leiden zu sublimieren - oder zu instrumentalisieren. Wissenschaftler entwickelten ein spezielles Verfahren, um die unzähligen Rosenblätter zu konservieren, die Salcedo zu einem riesigen Teppich zusammengenäht hat. Gedacht ist das blutrote Stück als Hommage an eine Krankenschwester, die in Kolumbien zu Tode gequält wurde.
    In hölzerne Tischplatten webt Salcedo Menschenhaar, als würde sie durch diese Anstrengung Abbitte leisten für unsere kollektive Schuld. Die haarigen Tische sind den Waisen von Ermordeten gewidmet.
    Doris Salcedo wirft sich in die Pose der mater dolorosa und macht die Betrachter ihrer Werke zu Verbündeten. Man schleicht mit angemessen betretenem Gesicht durch einen Friedhof aus Symbolen, die auf Ereignisse verweisen, von denen die meisten Besucher dieser Ausstellung völlig kenntnislos sind, und auf Verhältnisse, an denen Ergriffenheit nichts ändert.
    Wir alle sind Sünder. Hoffentlich bleibt Doris Salcedos schlimmstes Vergehen der Totschlag durch Betroffenheitskitsch.