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Guillaume Paoli (Hg.): Mehr Zuckerbrot, weniger Peitsche. Aufrufe, Manifeste und Faulheitspapiere der Glücklichen Arbeitslosen

Das Thema Arbeitslosigkeit ist ein politischer Dauerbrenner, über den viele Worte gemacht werden, denen wenig Taten folgen. Die Beispiele gelungener Minimierung, die uns als leuchtendes Vorbild kluger Wirtschaftspolitik vorgehalten werden, entpuppen sich bei genauem Hinsehen nahezu immer als Flop. Billigarbeitskräfte ohne soziale Absicherung werden zur Schönung der Statistik missbraucht, die Manipulation derselben verheimlicht die tatsächliche Lage. Für die Betroffenen ist das eine deprimierende Erfahrung, zumal sie meistens auch noch unter dem gesellschaftlichen Druck, als Drückeberger und Versager abgestempelt zu werden, zu leiden haben. "Schluss mit dem Elend", haben sich da 1996 in Berlin einige Arbeitslose gesagt und die Glücklichen Arbeitslosen ins Leben gerufen. Deren Aufrufe, Manifeste und Faulheitspapiere sind jetzt in der Edition Tiamat erschienen.

Walter van Rossum | 03.03.2003
    Wer ein wenig zu rechnen versteht, weiß, dass die gegenwärtigen Vorschläge von Regierung wie Opposition zur Senkung der Arbeitslosigkeit bestenfalls Erfolge im Zehntelprozentbereich haben werden. Ebenso weiß jeder mittelmäßige Ökonom, dass nicht einmal ein außergewöhnliches Wirtschaftswachstum genügend Arbeitsplätze schaffen würde, jedenfalls keine, die einen angemessenen Lebensunterhalt bieten. Und natürlich bedeuten auch die stets unterhaltsamen Debatten über Lohnnebenkosten bloße Augenwischerei. Oder kennt irgend jemand eine Rechnung, die die Höhe der Lohnnebenkosten mit der Menge von Arbeitsplätzen in ein ökonomisches Verhältnis setzte? Deshalb wird der allerorten und allseits beschworene "Kampf gegen Arbeitslosigkeit" in Wahrheit immer mehr zum "Kampf gegen die Arbeitslosen". Arbeitslose werden als Versager beschuldigt oder als Ausbeuter der hübschen Solidargemeinschaft, denen man das Handwerk legen muss, indem man sie schärfer kontrolliert, ihre Arbeitswilligkeit durch gelegentlich auch absurde Angebote testet oder indem man ihnen das soziale Taschengeld zusammenstreicht. Nicht wenige Arbeitslose dürften daran psychisch zugrunde gehen. Man beraubt sie des Zentrums ihres Lebens: nämlich der Arbeit und stempelt sie obendrein als Unfähige oder Faulenzer ab. Doch seit 1996 wird zurückgeschossen: Eine kleine Gruppe gewitzter Arbeitsloser hat wenigstens der moralischen Verelendung den Kampf angesagt und eine Vereinigung gegründet, die sich die Glücklichen Arbeitslosen nennt:

    Immerhin verfügen alle Arbeitslosen über eine preiswerte Sache: Zeit. Das könnte ein historisches Glück sein, die Möglichkeit, ein vernünftiges, sinn- und freudvolles Leben zu führen. Man kann unser Ziel als eine Zurückeroberung der Zeit kennzeichnen.

    Die Glücklichen Arbeitslosen untergraben die religiösen Fundamente unserer Arbeitsmoral. In ihren Augen besteht die Pein der Arbeitslosigkeit vor allem im Mangel an Geld. Dass Lohnarbeit in einer Dienstleistungsgesellschaft Spaß mache und dem Leben Sinn gebe, halten die Glücklichen Arbeitslosen für puren Blödsinn. Während der Sinn von Arbeit für die Glücklichen Arbeitslosen in Wahrheit nur das Geld ist, tut der Rest der Gesellschaft gerne so, als sei Arbeit eine höhere Tugend, eine moralische Erbauung, eine metaphysische Angelegenheit.

    Allein die Behauptung, es sei möglich, ohne Arbeit glücklich zu leben, steht im vollkommenen Widerspruch zum herrschenden Weltbild. (...) Man mag uns als Spinner oder Witzbolde abtun, doch das, was wir zu sagen haben, wurde auf- und sogar ernst genommen. Der Grund ist einfach, dass keine Argumentation unrealistischer und verschrobener sein kann als der offizielle Diskurs zur Arbeitslosigkeit. Pausenlos wird eine Wiederherstellung der Vollbeschäftigung beschworen, und jede Woche werden mehr Arbeitsplätze 'wegrationalisiert'. Immer lauter wird über die Notwendigkeit der Arbeit für die freie Entfaltung des Menschen doziert, und gleichzeitig müssen immer neue Zwangsmaßnahmen erfunden werden, um Menschen in Pseudojobs zu schieben, die sie nicht wollen. Nicht die Brisanz unserer Argumente, sondern die Schwäche der Gegenargumente ist unsere Stärke.

    Ob die Arbeitenden durch Arbeit glücklich werden, daran darf man zweifeln. Die Glücklichen Arbeitslosen wehren sich jedenfalls dagegen, durch Arbeitslosigkeit quasi automatisch unglücklich zu werden. Doch woraus besteht das Glück eines glücklichen Arbeitslosen? Die Voraussetzung seines Glücks ist, dass er nicht an den Sinn und die Moral der Lohnarbeit glaubt. Sodann geht es darum, sich sinnvolle Beschäftigungen und soziale Kontakte jenseits der Arbeitswelt zu suchen. Ist also die Gruppe der Glücklichen Arbeitslosen eine Art therapeutisches Netzwerk? Nein, keinesfalls. Der Herausgeber des Buches Guillaume Paoli ist selbst ein Arbeitsloser. Der Franzose korsischer Abstammung lebt seit 1992 in Berlin und gehört zu den Inspiratoren der Glücklichen Arbeitslosen.

    Die Gründungsveranstaltung fand am 14. August 1996 im Berliner Prater statt, in der Baracke, die damals unter dem Schild 'SKLAVENmarkt' als Treffpunkt des lokalen Querulantentums diente. Dort wurden Tauglichkeitstests verteilt, unser Sekt 'Chomeur brut' feierlich getrunken, Faulenzerlieder gesungen und nebenbei der Text 'Auf der Suche nach unklaren Ressourcen' vorgetragen, der später als 'Manifest der Glücklichen Arbeitslosen' berühmt werden sollte. 'Der Glückliche Arbeitslose', der in dem Text auftaucht, war eher als literarische Figur à la Candide gemeint denn als reales Subjekt. Natürlich war das Publikum, das aus Gleichgesinnten bestand, begeistert von der Idee, dann ging es nach Hause, und das Leben setzte seinen dilettantischen Gang fort.

    Und überall lauern die Paradoxien. Zum Beispiel drohte den Glücklichen Arbeitslosen jetzt jede Menge Arbeit, etwa in Form von Medienauftritten. Es schien so, als ob sich das abgegraste und notorisch graue Thema Arbeitslosigkeit endlich als blühende Spaßlandschaft abhandeln ließ. Doch so war die Angelegenheit nun auch wieder nicht gemeint, und die Glücklichen Arbeitslosen zogen es vor, sich ihre eigene Öffentlichkeit zu schaffen. Was allerdings auch schon wieder in organisierte Arbeit auszuarten drohte. Denn der Arbeitslosen gibt es viele, und einigte dachten wohl, die Glücklichen Arbeitslosen wären ihre neue Partei. Aber die halten es lieber mit dem Titel ihres Manifestes: "Auf der Suche nach unklaren Ressourcen":

    Subversion kann nur die Subversion des Tauschwertes bedeuten, ein Spiel mit der Entwertung von notwendig geglaubten Größen und der Wertsteigerung von bisher ignorierten Qualitäten.

    Nicht zuletzt deshalb bereitet das Buch von Guillaume Paoli schieres Vergnügen – und das ist nicht die letzte der Paradoxien, in die es sich und uns leidenschaftlich verstrickt. Hier diskutieren Arbeitslose Arbeit und Arbeitslosigkeit. Sie verlassen die Opferrolle und entwickeln ein scheinbar bloß pragmatisches Modell zur moralischen Überwindung der unmoralischen Arbeitslosigkeit. Erstaunlicherweise geht das an den vehement Arbeitenden nicht spurlos vorüber. Wir müssen uns ernsthaft fragen, warum wir so viel seligen Sinn darin finden, Autos zu verkaufen oder Bücher zu besprechen. Mit Sicherheit zwingt dieses Buch den Leser dazu, sich mit der Farce der offiziellen Arbeitsmarktpolitik auseinander zu setzen.

    Walter van Rossum besprach: "Mehr Zuckerbrot, weniger Peitsche", herausgegeben von Giullaume Paoli in der Edition Tiamat. Das 207 Seiten starke Buch kostet 14 Euro.