Donnerstag, 18. April 2024

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Norwegische Band Motorpsycho
Psychedelisch mäandernd durch Zeit und Raum

Teil Zwei der gut dreistündigen Show der norwegischen Band Motorpsycho: Wir beamen mitten hinein in einen interstellaren Kampf zwischen Schlagzeug-Arithmetik, verrückten Bassgrooves und spacig-verträumten Attacken von Moog-Synthesizer und Mellotron.

Am Mikrofon: Tim Schauen | 28.02.2020
    Motorpsycho stehen auf einer Bühne und machen Musik.
    Motorpsycho spielten auch mit dem Trondheimer Jazzorchester und Star-Keyboarder Stale Storbokken. (Thomas von der Heiden)
    Bent Sæther: "Deiner Mutter würde ich es so erklären: Motorpsycho ist eine norwegische Band, die seit 30 Jahren und sie macht hauptsächlich Hardrock, aber mit einem psychedlisch-improvisatorischen Dreh! Manchmal spielen wir aber auch ein bisschen Jazz, ein bisschen Folk oder auch Country und Western - aber eigentlich ist es hauptsächlich Hardrock-Zeug. Wir scheren uns nicht wirklich um musikalische Stile, für uns ist es einfach Musik, und wenn etwas Sensibles, etwas Gutes daraus machen können - dann spielen wir es. Das Kategorisieren von Musik finde ich schrecklich: Musik ist eine enorm offene Sprache, die jeden erreichen kann, wenn man aber anfängt, Etiketten auf etwas zu kleben, hören die Leute es erst gar nicht. Das ist also dumm, denn durch dieses Zuschreiben zu Genres verpasst man einiges. Schade! Unsere Musik kann man hoffentlich nicht mit einem Etikett versehen, danach streben wir unbedingt. Das andere interessiert uns nicht, wir finden, dass die interessanten Dinge, das was Spaß macht, eben genau zwischen den Festschreibungen: genau dort, wo es noch nicht definiert, noch offen ist - Dort kann Magie, können gute Dinge geschehen.
    "Die interessanten Dinge passieren zwischen den bekannten Genres"
    Klar müssen wir auch gute Musiker sein, aber wir sind ja schon ein paar Jährchen dran, aber es geht meiner Meinung nach auch mehr um die Einstellung dazu, Musiker zu sein. Jeder kann sich daran versuchen, denn - wie gesagt- die interessanten Dinge passieren zwischen den bekannten Genres, daher muss man gar nicht unbedingt ein guter Musiker sein, um Stile neu zu mischen. Oder vielleicht doch? Wir sind ja als Wesen auch Individuen und als Menschen nicht dazu gemacht, etikettiert oder kategorisiert zu werden - es geht ja darum, dazwischen zu rutschen, individuell zu sein und gesehen zu werden.
    "Als Rockmusik eine eigene Kunstform wurde"
    Der Name unserer Band passt ja auch dazu, denn "Motor" bedeutet: Große Energie, und was für einen Stil wir auch immer gerade spielen, ist es immer ziemlich irre. Und auch "Psycho" bedeutet ja, dass es Musik außerhalb der Norm ist, sondern jederzeit offen dafür, neue Räume zu erspielen. Von daher passt der Name zur Band. Wir orientieren uns an der musikalischen Offenheit, die zwischen 1966 und 1972 existierte, die Renaissance der Popmusik, als Rockmusik eine eigene Kunstform wurde, anstatt etwas, das Kinder machten. Und damals gab es eben diese Band, die die alten Kategorien überwanden: unsere alten Helden wie zum Beispiel Neil Young haben das immer gemacht, sie bewegten sich zwischen Band und zwischen Musikstilen… Wir kommen also aus diesem alten 60er-Gefühlsrahmen, dieser Psychedelic-Ära der späten 60er. Ich glaube nicht, dass das viele Bands heutzutage machen, zwar kopieren viele diesen Sound, aber nicht viele haben die Idee dazu und diese Einstellung. Und das unterscheidet uns vielleicht von ihnen: wir suchen nicht einen speziellen Sound oder eine spezielle musikalische Sprache - wir arbeiten mit einer bestimmten Einstellung zu dem Ganzen. Das ist unser Ansatz.
    Prozess kritischer Selbstzensur
    Dazu muss man im Grunde eines Lernen: Wenn ich mich beim Songschreiben zu früh auf etwas versteife, verschwindet die Muse gleich wieder, sie kommt da nicht wieder und bringt neue Musik mit. Was immer also ich an musikalischen Ideen habe, nehme ich mit meinen Telefon auf, mache ein Demo daraus oder wir arbeiten direkt mit der Band daran. Und wenn es ein guter Song ist oder wir den Eindruck haben, wir haben soetwas noch nicht gehört, dann bleiben wir daran, probieren es live aus - und wenn es dann wirklich gut genug ist, nehmen wir es auf. Der ganze Prozess kritischer Selbstzensur findet bei uns, glaube ich, viel später statt, als in anderen Bands. Wir haben eine ganze Menge Songs dann eben nicht aufgenommen, und das ist eben auch das Besondere an uns: Wenn man offen bleibt, steckt man nicht fest, wie es geschieht, wenn man sich auf einen bestimmten Stil festlegt - man wird doch müde dadurch. Viele andere Künstler haben "Projekte" oder Hobbybands, um diese Müdigkeit am eigenen Stil zu umgehen - wir dagegen können uns unter diesem Schirm bewegen, auf dem "Motorpsycho" steht - und es scheint ja zu funktionieren. Natürlich funktioniert das kommerziell längst nicht so einfach. Klar könnte man kommerziell denken und ständig diese eine, erfolgreiche Nische bedienen - aber uns ist das einfach zu langweilig. Also möchten wir doch lieber 30 Jahre lang das tun dürfen, was wir wirklich möchten, als fünf Jahre lang erfolgreich zu sein.Als wir am Anfang feststellen mussten, dass unsere Plattenfirma uns nicht ganz fair behandelt, mussten wir uns etwas überlegen - und wir sprachen mit Rolf Gustavus, der damals für diese Firma arbeite, ob er eine Idee hätte - und eine Woche später sagte er: Lasst uns ein eigenes Label gründen, dass sich auf Motorpsycho konzentriert, und wir gucken, wie das läuft. Und in den ersten Jahren haben sie wirklich nur unser Material veröffentlicht, sind dann aber gewachsen und haben nun auch viele andere Bands im Programm."
    Aufnahme vom 16.10.2019 aus dem Conne Island, Leipzig
    Hier hören Sie das vollständige Konzert: Motorpsycho live@Leipzig2019 (160:34)
    Teil 3 am 6.3.2020