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Gustav Adolf Deißmann
"Pionier der Ökumene"

Gustav Adolf Deißmann gilt als einer der Ur-Väter der Ökumene-Bewegung: Er arbeitete unermüdlich daran, die Kirchen in aller Welt zusammen bringen. Doch der ökumenische Impuls, der einst von ihm ausging, sei heute fast in Vergessenheit geraten, sagen Kritiker. Die Kampagne zum Reformationsjubiläum sei stark auf Deutschland konzentriert gewesen.

Von Thomas Klatt | 31.05.2017
    Erster Weltkrieg: Französische Soldaten klettern während der Schlacht um die ostfranzösische Stadt Verdun zu einem Angriff aus ihren Schützengräben (Archivfoto von 1916).
    Die Katastrophe des Ersten Weltkriegs – Antrieb für das ökumenische Denken Deißmanns. (picture-alliance / AFP)
    "Deißmann war Pionier der Ökumene - zunächst einmal so, dass er mitten im Ersten Weltkrieg daran festgehalten hat, dass die Beziehungen zwischen Christen über das Kriegsringen Bestand haben. Deißmann gehört zu denen, die ganz früh erkannt haben: Das ist ein schrecklicher Krieg. Und Hoffnung darin gesetzt hat, dass die ökumenischen Beziehungen, die vor dem Krieg geknüpft waren, zu einem Ende des Krieges führen könnten."
    Das sagt der Berliner Kirchenhistoriker Christoph Markschies über seinen Kollegen, den vor 80 Jahren verstorbenen Neutestamentler Gustav Adolf Deißmann.
    Der evangelische Theologe Christoph Markschies
    Der evangelische Theologe Christoph Markschies (dpa / picture alliance / Hannibal Hanschke)
    Als die Völker Europas sich gegenseitig abschlachteten, war Deißmann einer der ganz wenigen deutschen Theologen, die nicht nur englisch beherrschten, sondern auch Kontakt zu den angloamerikanischen Kirchen suchten.
    "Evangelische Wochenbriefe" auf Englisch
    So waren seine "Evangelischen Wochenbriefe", übersetzt "Protestant Weekly Letters", die einzige Information über die deutsche Theologie, die es während des Ersten Weltkrieges in Großbritannien zu lesen gab.
    "Das ist seine erste Bedeutung, dass er eine Art Rollenmodell dafür ist, dass in Zeiten, in denen Kriege drohen, in denen Konflikte ausbrechen und hochkommen, in Zeiten, in denen europäische Gemeinschaften bröseln, die Christen ihre Verantwortung für Völkerverständigung durch intensive ökumenische Netzwerkbildung wahrnehmen. Das kann man von Deißmann lernen."
    Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches begrüßte Deißmann - anders als viele seiner Kollegen - die Weimarer Republik und forderte "die Salbung der Kirche mit mehr als einem Tropfen demokratischen Öls!" Jetzt widmete sich der liberale Theologe voll und ganz der ökumenischen Friedensarbeit.
    "Und nachdem sich herausstellte, dass das nicht trägt - der Krieg ist nicht durch ein gemeinsames Engagement der Christen beendet worden - hat er nach 1918 sehr viel Kraft in die Wiederherstellung der ökumenischen Beziehungen und in die Wiedereingliederung deutscher Theologen in die Weltgemeinschaft der Ökumene und der Theologie gesetzt."
    Ökumene - gedacht als Internationalisierung
    Deißmann war bereit, eine deutsche Schuld am Ausbruch des Krieges anzuerkennen. Diese Frage blieb stets eine Belastung für ökumenische Treffen, wollten die deutschen Delegationen eine Kriegsschuld doch nie eingestehen. Deißmann war führend bei der Organisation der Stockholmer Weltkirchenkonferenz 1925 - zusammen mit dem schwedischen Theologen Nathan Söderblom.
    Es war die erste Weltkirchenkonferenz für Praktisches Christentum. Ab 1929 dann, war Deißmann Mitglied des Ökumenischen Rats für Praktisches Christentum, aus dem später der Weltkirchenrat hervorging. Deißmann wollte eine Öffnung gegenüber dem Ausland, an der die akademische Theologie lange Zeit gar nicht interessiert war. Hans-Peter Großhans, Leiter des Instituts für Ökumenische Theologie an der Universität Münster:
    "Insofern läuft die Internationalisierung weitgehend an der akademischen Theologie in Deutschland vorbei. Es sind nur wenige, die sich hier als Vermittler auch betätigt haben und aus der akademischen Welt heraus an dieser internationalen Bewegung teilgenommen haben und da liegt die besondere Bedeutung von Deißmann."
    Theologen aus anderen Kulturkreisen werden ignoriert
    1930 übernahm Deißmann noch das Rektorat der Berliner Universität. Aus seiner Ablehnung des Nationalsozialismus machte er keinen Hehl. Am 5. April 1937 starb Deißmann in Wünsdorf bei Berlin. 80 Jahre später habe sich allerdings das Bild an den evangelischen Fakultäten nicht grundlegend gewandelt. Immer noch sei die hiesige Theologie viel zu wenig international ausgerichtet, meint Ökumeniker Hans-Peter Großhans.
    "Der große Teil der Exegeten, der Historiker, der Dogmatiker und Ethiker, die sind häufig in sehr deutschen, west-mitteleuropäischen Debatten verstrickt und in ihren Beziehungsnetzen - und ignorieren die vielen, vielen Kollegen, die auch Theologie betreiben, sei es in Simbabwe, in Malaysia, in China, in Myanmar, in Brasilien und so weiter. Das finde ich eigentlich etwas, was man von Deißmann aufgreifen könnte: Dass die Gemeinschaft und der Diskurs mit diesen Fachkolleginnen und Fachkollegen gesucht wird, auch wenn sie jetzt nicht in den Theoriedebatten Deutschlands beheimatet sind. Aber es hat den Reiz, sich über das Verständnis des Glaubens oder auch die theologischen Theorien auszutauschen, mit Leuten, die in ganz anderen Kontexten damit befasst sind."
    "Das Verständnis von Ökumene hat sich reduziert"
    Eine Einschätzung, die so ähnlich auch der ehemalige Generalsekretär des Weltkirchenrats, Konrad Raiser, teilt. Früher etwa wurden bei deutschen Kirchentagen die Gäste aus der Ökumene mit Jubel begrüßt. Heute aber werde unter Ökumene meist nur das evangelisch-katholische Miteinander verhandelt:
    "Das deutsche Verständnis von Ökumene hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr stark konzentriert - oder geradezu reduziert - auf die Beziehung zur katholischen Kirche. Wenn Sie einen normalen, nicht weiter informierten Menschen, in unseren Gemeinden fragen, was er oder sie unter Ökumene versteht, dann fällt einem dazu nur evangelisch-katholisch ein. Dass Ökumene eigentlich die ganze bewohnte Erde meint und dass die ökumenische Bewegung eine weltweite Bewegung ist, das ist aus unserem kirchlichen Wahrnehmungs-Horizont weitgehend verschwunden."
    Konrad Raiser spricht am 30.04.2014 auf einer ökumenischen Versammlung in Mainz. Bild: Imago / EPD / Melanie Bauer
    Konrad Raiser: "Die meisten Wirkungen sind von anderen Reformatoren ausgegangen" (imago stock&people / EPD / Melanie Bauer)
    Dass es weltweit viel mehr christliche Theologien und Kirchen gibt, von den vielen Freikirchen bis zur charismatisch-pfingstlerischen Bewegung, werde hierzulande wenig zur Kenntnis genommen. Oftmals gebe es Kontakte zur Ökumene nur, wenn es um Hilfe ginge.
    "Ich bedaure, dass diese Dimension von ökumenischer Arbeit nahezu vollständig verschoben worden ist auf die Missionswerke, die Diakonie Katastrophenhilfe, Brot für die Welt, also Entwicklungsdienst."
    "Exklusive Konzentration auf Luther"
    Auch das anstehende Reformationsjubiläum zeige, dass die Evangelische Kirche in Deutschland vor allem national ausgerichtet sei, kritisiert Konrad Raiser.
    "Man hatte es sich bei der Planung dieses Reformationsjubiläums an sich vorgenommen, es dieses Mal anders zu machen, als in den vier Hundertjahrfeiern vorher, die stark Luther- und deutschzentriert waren und Luther als nationalen Held in den Mittelpunkt gestellt haben. Ich fürchte, dass die Lutherdekade, die ja von 2008 an lief, dazu beigetragen hat, diesen Vorsatz, das Reformationsjubiläum jetzt ökumenisch zu feiern, wieder in den Hintergrund zu rücken. Und ich bedaure in der Tat sehr, dass es wieder zu dieser exklusiven Konzentration auf Luther gekommen ist und dass man nun meint, von Luther her alles, was man für die große welthistorische Bedeutung der Reformation hält, ableiten zu müssen - und dabei historisch völlig übersieht, dass die meisten dieser Wirkungen von anderen Reformatoren ausgegangen sind, insbesondere von Calvin und seinen Nachfolgern."
    Der ökumenische Impuls, der einst von Gustav Adolf Deißmann ausging, sei heute fast in Vergessenheit geraten. Auch der Münsteraner Ökumeniker Hans-Peter Großhans kritisiert:
    "Dass die EKD sich nicht als ein Global Player erwiesen hat und erweist. Sondern als eine regionale kirchliche Größe. Die Kampagne zum Reformationsjubiläum war doch sehr auf Deutschland konzentriert und zeigt eben, dass die EKD Bundesliga spielt und nicht mal Euroleague - und Weltliga schon gar nicht."