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Gutachter
Psychiatrische Sachverständige in der Kritik

Gustl Mollath war siebeneinhalb Jahre im Maßregelvollzug eingeschlossen. Zu unrecht - wie er und sein Anwalt behaupten. Seit dem erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahren im vergangenen Jahr sind die psychiatrischen Gutachter in die Kritik geraten. Ihre Expertisen seien oft fehlerhaft – doch Experten warnen vor einem pauschalen Urteil.

Von Annette Wilmes | 06.07.2014
    Im Psychiatriemuseum Riedstadt ist ein medizinisches Modell in Form eines halben, geöffneten Kopfes zu sehen.
    Anderen in den Kopf sehen, das sollen psychiatrische Sachverständige im Idealfall leisten. So einfach wie bei diesem Modell ist das nur selten. (dpa picture alliance/ Nicolas Armer)
    "In dem Urteil, das gegen Herrn Mollath ergangen ist, waren insgesamt vier Krankheitsbilder nebeneinander gestellt worden, wo jedes auch irgendwie hätte zutreffend sein können."
    Der Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate vertritt Gustl Mollath, der siebeneinhalb Jahre im Maßregelvollzug eingeschlossen war. Morgen beginnt das Wiederaufnahmeverfahren. Sein Mandant, so Strate, sei zu Unrecht vom Gericht als psychisch krank und gefährlich eingestuft worden. Das war auf der Grundlage von psychiatrischen Gutachten geschehen.
    "Gutachten, die aber außerordentlich dürftig waren, wo das Krankheitsbild noch nicht einmal klar bezeichnet wird. Das war eine Verfahrensweise, die einfach unglaublich war."
    Gustl Mollath war wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt, er sollte seine Frau gewürgt und geschlagen haben. Er wurde aber am 8. August 2006 von diesen Vorwürfen wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen und im Maßregelvollzug untergebracht. Denn laut Gutachten war er nicht nur psychisch krank, sondern auch gefährlich - das ist die Voraussetzung für eine Unterbringung. Gerhard Strate kritisiert nicht nur die Richter, die nach seiner Ansicht damals das Recht gebeugt haben. Auch die psychiatrischen Gutachter hätten maßgeblich zu der Fehlentscheidung beigetragen.
    "Also es ist ein Wechselspiel zwischen beiden, also den Sachverständigen und den Richtern, die damals tätig waren."
    Erfolgreiche Wiederaufnahme
    Im vergangenen Jahr - Gustl Mollath saß inzwischen seit sieben Jahren hinter Gittern - hat nicht nur Gerhard Strate, sondern auch die Staatsanwaltschaft die Wiederaufnahme beantragt, mit Erfolg. Ab Morgen wird das Verfahren vor dem Landgericht Regensburg neu aufgerollt.
    "Wir haben jetzt ein Gericht, welches quasi noch mal alles von vorne betrachten muss. Wir gehen alle zurück auf Start und es beginnt alles von Neuem."
    Seitdem der Fall Mollath Schlagzeilen macht, sind die psychiatrischen Gutachter in die Kritik geraten. Ihre Expertisen seien häufig fehlerhaft, sie würden sich nicht ausreichend mit den Probanden befassen und sie nur nach Aktenlage beurteilen. Matthias Lammel, selbst psychiatrischer Sachverständiger, der mit dem Fall Mollath allerdings nicht befasst ist, hält nichts von solch pauschalen Vorwürfen.
    Gustl Mollath verlässt die Psychiatrie in Bayreuth
    Gustl Mollath verlässt die Psychiatrie in Bayreuth (dpa / David Ebener)
    "Fehler werden überall gemacht, wo gearbeitet wird. Wenig hilfreich ist die Pauschalisierung: die Gutachter. Man sagt auch nicht: die Klempner oder die Friseure. Man spricht den Einzelnen an, und der muss natürlich dann auch zu seinem Fehler stehen, wenn er sich denn tatsächlich als solcher herausstellt."
    Lammel hält auch nichts von dem Vorwurf, Sachverständige seien nicht unabhängig, dass sie etwa Gefälligkeitsgutachten erstellen würden, um dann umso öfter vom Gericht beauftragt zu werden.
    "Man kann sich, in Anführungszeichen, Liebkind machen durch seriöse Gutachten, die der Kammer und der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung gleichermaßen das Gefühl vermitteln, dass die interessierenden Fragen vernünftig und verwertbar beantwortet worden sind. Das ist die beste Methode. Sachverständige, die das tun, die müssen um ihre Auftragslage nicht fürchten. Die haben alle zu viel zu tun. Und das garantiert dann natürlich wieder Unabhängigkeit."
    "Mehrzahl der Entscheidungen nicht kritikwürdig"
    Die psychiatrischen Sachverständigen stehen übrigens nicht zum ersten Mal im Kreuzfeuer der Kritik. Bevor der Fall Mollath publik wurde, sahen sie sich jedoch meistens ganz entgegengesetzten Vorwürfen ausgesetzt: Sie würden gefährliche Straftäter zu leichtfertig wieder in die Freiheit entlassen und damit die Allgemeinheit gefährden. Auch diese Art von Schelte kennt Gutachter Lammel.
    "Das gehört zum Sachverständigenleben dazu. Man muss zum einen die Relation bedenken, die darin besteht, dass die übergroße Mehrzahl der Entscheidungen überhaupt nicht kritikwürdig ist. Denn nach meinen Erfahrungen liegen die Fehler in der Regel auf der handwerklichen Ebene, dass irgendetwas da nicht konsequent und klar genug zu Ende gebracht worden ist."
    Welche Voraussetzungen muss ein Gutachter mitbringen? Welches Handwerk muss er beherrschen?
    "Also, zum psychiatrischen Sachverständigen wird man, indem man Medizin studiert hat, indem man eine entsprechende Facharztausbildung gemacht hat für Psychiatrie und Psychotherapie und indem man sich dann für dieses Gebiet interessiert und sich über entsprechende Weiterbildungen dafür qualifiziert. Es gibt eine Schwerpunktbezeichnung über den Facharzt hinaus, die sich forensische Psychiatrie nennt. Und diese Schwerpunktbezeichnung schließt auch ein die Vermittlung juristischer Kenntnisse, die man sich aber überdies auch selbst aneignen muss, wenn man im Gerichtssaal bestehen will."
    Sagt Matthias Lammel. Er arbeitet als Gutachter in eigener Praxis, ist also an keine Klinik und an kein Universitäts-Institut gebunden. Er wird vom Gericht beauftragt oder schon im Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft. Meist soll er ein Gutachten über die Schuldfähigkeit eines Angeklagten erstellen.
    In der Regel spricht der Gutachter mit den Betroffenen, auch wenn sie bereits in der Strafvollzugsanstalt oder im Maßregelvollzug untergebracht sind. Für genauso wichtig hält Matthias Lammel das Aktenstudium. Aber, auch das ist wichtig, ein Arzt-Patienten-Verhältnis entwickelt sich nicht.
    Gutachter ohne Schweigepflicht
    "Ein wesentlicher Gegenstand im Rahmen der Begutachtung ist die Aufklärung des Betroffenen darüber, dass der Gutachter dem Auftraggeber, also der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht, nicht der Schweigepflicht unterliegt. Das muss der Betroffene wissen, weil er sich unter diesem Vorzeichen dann entscheiden muss, ob er sich äußert und in welchem Umfang er sich äußert."
    Außerdem gibt es die Situation, dass der Verteidiger seinem Mandanten rät, im Strafverfahren nichts zu sagen, unter Umständen auch nicht vor dem Gutachter. Dirk Lammer ist Strafverteidiger in Berlin und Richter am Landesverfassungsgericht Brandenburg.
    "Man kann ja sagen: Ich äußere mich zu meinem Lebenslauf und zu meiner Kindheit und zu meiner Drogenkarriere, aber nicht zu diesem Tag, der hier jetzt eine Rolle spielt. Das ist auch so eine Kompromisslösung. Aber es gibt auch die Situation, wo man dem Mandanten rät, gar nichts zu sagen."
    Also muss der Gutachter auf der Grundlage der Akten entscheiden. Aber nicht nur, sagt Rechtsanwalt Lammer.
    "Und aufgrund dessen, was er in der Hauptverhandlung wahrnimmt. Und dann schaut er sich halt da ganz intensiv den Angeklagten an und versucht, aus seinen Körperreaktionen oder Ähnlichem möglicherweise noch irgendwelche Erkenntnisse zu ziehen."
    Der psychiatrische Sachverständige kommt in einem Gutachten nicht immer zu einem eindeutigen Ergebnis - schuldfähig oder schuldunfähig.
    "Der Gutachter kommt zu dem Ergebnis, dass er nicht ausschließen kann, dass der Angeklagte zur Tatzeit möglicherweise in seiner Schuldfähigkeit erheblich beeinträchtigt war oder sogar schuldunfähig war. Das ist dann sozusagen die Situation, in der der Richter auf der Grundlage des Zweifelssatzes dann diese Möglichkeit zugunsten des Angeklagten unterstellen muss."
    Aussagepsychologie
    Gutachter und Gutachterinnen prüfen nicht nur die Schuldfähigkeit und Gefährlichkeit eines Angeklagten, sondern auch die Glaubwürdigkeit von Aussagen. Hier werden jedoch meistens die Zeugen untersucht. Renate Volbert, Professorin am Institut für forensische Psychiatrie an der Charité in Berlin, ist eine Kapazität auf dem Gebiet der Aussagepsychologie:
    "Da ist jemand gekommen und hat gesagt, jemand hat das und das gemacht. Und man weiß zum Beispiel, da ist irgendwie ein Konflikt im Hintergrund zwischen den beiden. Also die haben einen großen Streit, und es steht im Raum, ob das jetzt vielleicht eine absichtliche Falschbeschuldigung sein könnte, dann wird man im weiteren Verlauf prüfen, ob die Aussage eine so hohe Qualität hat, dass sie eigentlich nicht erfunden sein könnte."
    Es gibt auch die Fälle, in denen die Zeugen gar nicht wissen, dass sie etwas Falsches behaupten. Zum Beispiel, wenn ihnen etwas eingeredet, oder, wie es bei Kindern häufiger vorkommt, etwas in sie hinein gefragt wurde. Solche Mechanismen herauszufinden und darzustellen, ist die Aufgabe von Gutachtern.
    Wie bei den psychiatrischen Gutachten kann es auch bei den psychologischen Expertisen zu Fehlern kommen, Fehler, die mitunter zu fatalen Folgen führen. Im schlimmsten Fall wird ein Unschuldiger zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Wenn einer der Prozessbeteiligten einen Fehler vermutet, kann er jedoch etwas unternehmen, erläutert Renate Volbert.
    "Relativ häufig kommt es vor, dass Verteidiger einen psychologischen Kollegen oder eine Kollegin fragen, ob sie eine methodenkritische Stellungnahme zu einem bereits vorliegenden Gutachten schreibt, dass sozusagen jemand noch mal kontrolliert, ob dieses Gutachten methodisch in Ordnung ist."
    Das Gericht entscheidet, nicht die Sachverständigen. Der Gutachter ist eine Art Gehilfe des Gerichts. Nicht mehr und nicht weniger. Peter Faust ist seit vielen Jahren Vorsitzender Richter einer Schwurgerichtskammer im Kriminalgericht Moabit, zuständig für Kapitalverbrechen wie Mord oder Totschlag. Auch vor seiner Kammer geben regelmäßig sachverständige Gutachter ihre Stellungnahmen ab. Das Gericht zieht seine eigenen Schlüsse daraus, sagt Peter Faust.
    "Wir haben ja auch die ganze Hauptverhandlung noch, wir haben Zeugen gehört, und so weiter und so fort. Da kann es beispielsweise sein, dass ein Gutachter sagt, er kann jedenfalls nicht ausschließen, dass jemand alkoholbedingt nur vermindert steuerungsfähig gewesen ist. Und wir dann am Ende hingehen und sagen, aber wir können. Weil wir haben 25 andere Zeugenaussagen gehört, aus denen sich ergab, wie enorm gut das Leistungsvermögen des Angeklagten gewesen ist. Und in solchen Fällen kann es durchaus vorkommen, dass man jedenfalls im Ergebnis dem Gutachter nicht folgt. Es ist allerdings eher die Ausnahme."
    Keine Strafe ohne Schuld
    Wenn Schuldunfähigkeit festgestellt wird, muss der oder die Angeklagte freigesprochen werden. Denn es gibt keine Strafe ohne Schuld. Aber vor allem bei Gewalttaten wird die Frage gestellt, ob die Beschuldigten gefährlich sind. Dann droht die Unterbringung im Maßregelvollzug.
    Stacheldraht auf der Mauer einer Einrichtung des Maßregelvollzugs in Brandenburg, wo psychisch kranke verurteilte Straftäter untergebracht und therapiert werden.
    Stacheldraht auf der Mauer einer Einrichtung des Maßregelvollzugs, wo psychisch kranke verurteilte Straftäter untergebracht und therapiert werden. (picture alliance / zb / Hans Wiedl)
    Auf dem großen und parkähnlichen Gelände des Klinikums Bremen-Ost ist auch die Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie untergebracht. Von außen sieht das Gebäude aus wie ein normales Krankenhaus, keine martialischen Gitter, kein Stacheldraht, wie man es in anderen Einrichtungen des Maßregelvollzugs kennt. Aber auch in Bremen ist alles stark gesichert. Die Fenster haben Spezialglas, so sicher wie ein Gitter, das Haus kann nur durch eine Schleuse betreten werden. Ausweise und Mobiltelefone müssen die Besucher an der hoch gesicherten Pforte abgegeben. Etwa 120 Patienten, die überwiegende Zahl männlich, werden im Bremer Maßregelvollzug therapiert. Christoph Trebels, Psychiater, arbeitet hier als leitender Oberarzt. Seine Aufgabe ist es, die Gefährlichkeit der Patienten durch Therapie zu mindern.
    "Nehmen wir mal an, jemand hat eine Schizophrenie, und wenn er die Situation wahnhaft verkennt, irgendwie besteht die Gefahr, dass er in einer wahnhaften Verkennung Dinge tut, wodurch er andere gefährdet. Dann würde ich, wenn ich ihn mit antipsychotisch wirksamen Medikamenten und anderen Therapieformen soweit behandele, dass er nicht mehr psychotisch ist, würde er diese Situation wahnhaft nicht mehr verkennen, dann hätte ich durch Therapie Gefährlichkeit gemindert. Wenn ich soweit bin, dass es ein stabiles Bild ist, dann steht auch die Frage der Bewährungsentlassung aus der Maßregel dann im Raum."
    Die im Maßregelvollzug Untergebrachten sind auf unbestimmte Zeit eingesperrt. Jährlich muss die Strafvollstreckungskammer entscheiden, ob sie weiter festgehalten werden, meist auf der Grundlage von Informationen der behandelnden Ärzte. Durchschnittlich verbringt ein psychisch kranker Straftäter achteinhalb Jahre im Maßregelvollzug. Alle fünf Jahre wird ein externer Gutachter hinzugezogen.
    "Weil unser Job ist es ja, Menschen wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Die meisten Menschen, die hier aus dem Maßregelvollzug entlassen werden, werden durch unsere Ambulanz auch noch einige Jahre weiter betreut und wir gucken, dass wir sie nach Möglichkeit von einer betreuten Wohnform, wenn das möglich ist, wieder in eine eigene Wohnung kriegen. Dass die nach Möglichkeit wieder Arbeit haben, dass sie an das allgemeine Hilfesystem außerhalb der Forensik übergeleitet sind und dass das überwiegend so geräuschlos funktioniert, spricht, denke ich, dafür, dass das insgesamt auch ein gut funktionierendes System ist."
    Der Fall Mollath
    Im Fall Gustl Mollath hat es nicht funktioniert. Siebeneinhalb Jahre saß er im Maßregelvollzug. Die Tat, die ihm vorgeworfen wurde, gefährliche Körperverletzung, hätte aber lediglich ein Höchststrafmaß von 5 Jahren Freiheitsentzug bedeutet, wäre er verurteilt worden. Das Bundesverfassungsgericht gab im vergangenen Jahr seiner Verfassungsbeschwerde gegen die Fortdauer der Unterbringung statt. Er sei in seinem Grundrecht auf Freiheit der Person in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt worden.
    "In dem Fall, in dem eine Freiheitsstrafe neben der Maßregel angeordnet worden ist, muss man aus Verhältnismäßigkeitsgründen entscheiden, wie ist die Tat mit welcher Höchststrafe bedroht gewesen und daran sollte sich auch aus Verhältnismäßigkeitsgründen dann der Aufenthalt eines Patienten im Maßregelvollzug orientieren."
    Axel Boetticher, ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof, freut sich über die deutlichen Worte der Verfassungsrichter, die ja nicht nur für Gustl Mollath gelten.
    "Das halte ich für eine sehr gute Entwicklung. Das spielt in die Diskussion rein, ob man nicht eine Maßregel insgesamt begrenzen sollte auf eine Höchstfrist."
    Axel Boetticher hat noch zu seiner Zeit als Richter am Bundesgerichtshof gemeinsam mit anderen Juristen, auch Strafverteidigern, mit Psychiatern und Psychologen Mindestvoraussetzungen dafür entwickelt, wie man Gutachten erstellt und wie man vor Gericht Gutachten erstattet. Seit 2008 ist Boetticher pensioniert, befasst sich jedoch immer noch mit forensisch-psychiatrischen Fragestellungen.
    Gemeinsam mit Oberarzt Christoph Trebels bringt er in einem Wahlpflichtmodul an der Hochschule für Öffentliche Verwaltung Bremen den angehenden Polizistinnen und Polizisten den Maßregelvollzug und die Problematik von Gefährlichkeits- und Prognosegutachten nahe. Die Veranstaltung findet in der Klinik statt, sodass die Studierenden ein direktes Gespür dafür bekommen, was es bedeutet, hier eingeschlossen zu sein.
    Angst vor Medien
    Es wird auch darüber gesprochen, wie wichtig Lockerungen des Vollzuges sind und darüber, dass - wie Mollath - manche Patienten zu lange im Maßregelvollzug festgehalten werden. Häufig allein deshalb, weil die Ärzte die Aufregung in den Medien fürchten, wenn nach einer Entlassung etwas entgegen der Prognose passiert, was allerdings höchst selten vorkommt, wie Zahlen belegen. Wobei Axel Boetticher fest davon überzeugt ist, dass viele Journalisten, die über Skandale im Maßregelvollzug schreiben, nicht wirklich viel über die Materie wissen.
    O-Ton Dr. Axel Boetticher:
    Wir haben in Süddeutschland häufig Tage der offenen Tür gemacht, haben die örtlichen Journalistinnen und Journalisten aus allen Medien eingeladen, haben mal dargestellt, wie das im Einzelnen abläuft, und das war ein großer Erfolg. Gerade der Fall Mollath zeigt wieder, alle Welt erregt sich darüber, was hinter diesen Mauern alles geschieht. Aber kein Mensch hat überhaupt von denjenigen, die darüber berichten, wirklich mal hinter die Mauern geguckt, um zu gucken, welche schwere Arbeit diese Leute in den Maßregelvollzugseinrichtungen überhaupt betreiben.
    Maßregelvollzug nur für schwere Fälle
    Für Menschen, die zu Unrecht oder zu lange im Maßregelvollzug festgehalten werden, kann das Leben zur Hölle werden. Für andere jedoch, die in einer schweren Psychose ihre Taten begehen, kann der Maßregelvollzug die Rettung sein. Peter Faust, der als Schwurgerichtsvorsitzender über schwerste Taten zu urteilen hat, erzählt aus seiner Praxis:
    Blick durch die verschließbare Luke einer Sicherheitstür vor einem besonders gesicherten Raum, in dem einzelne Patienten während einer psychischen Krise getrennt untergebracht werden können, in der Maßregelvollzugsklinik in Dortmund.
    Blick durch die verschließbare Luke einer Sicherheitstür vor einem besonders gesicherten Raum, in dem einzelne Patienten während einer psychischen Krise getrennt untergebracht werden können, in der Maßregelvollzugsklinik in Dortmund. (picture alliance / dpa /Bernd Thissen)
    "Jemand, der an einer Schizophrenie leidet und akut psychotisch ist, der ist definitiv schuldunfähig. Beispielsweise ein Mensch, der meint, er sei vom Höllenfeuer verfolgt, durchaus physisch, meint, verbrennen zu müssen, wenn er nicht immer flieht. Der dann ein Taxi kapert, den Taxifahrer mit einem Messer dazu zwingt, mit aberwitziger Geschwindigkeit durch die halbe Republik zu rasen und immer von dem Gedanken besessen, im nächsten Moment erreicht ihn das Höllenfeuer und verbrennt ihn, der wird schuldunfähig sein, obwohl er ja schwerste Straftaten begeht. Man kann ihn dafür nicht verantwortlich machen. Man wird diese Leute, wenn man sie dann nach drei Monaten Behandlung in der Hauptverhandlung sieht, die sind nicht wieder zu erkennen. Die sagen auch selber, sie können das jetzt alles nicht mehr nachvollziehen, tut ihnen schrecklich leid."
    Jemanden in den Maßregelvollzug zu sperren, kann nur in schweren Fällen eine Lösung sein, wenn also eine wirkliche Gefahr von dem Menschen ausgeht. Kleinkriminelles oder auch nur auffälliges Verhalten zählt nicht dazu.
    "Wenn also jemand auf der Straße rumläuft und alle Leute anbrüllt und beleidigt, weil er irgendeine geistige Störung hat, dann wird man den nicht in eine geschlossene Anstalt bringen, sondern dann wird man sagen, das müsst ihr hinnehmen. Das geht noch weiter als nur das pure Anschreien, wenn er hingeht und macht irgendwelche Dinge kaputt, ich glaube, hier in Berlin war mal so ein Fall, wo jemand Autos zerstört hat, weil er aufgrund irgendeiner Störung gemeint hat, die sind ihm feindlich gesonnen. Es ist kein Grund, jemanden wegzuschließen."
    So sehr das Gutachterwesen auch in die Kritik geraten ist, ohne Sachverständige im Prozess wird es nicht gehen. Das sieht auch Gerhard Strate so, der Gustl Mollath im Wiederaufnahmeverfahren verteidigt.
    "Ich habe nur eben die Erfahrung gemacht, dass häufig Gutachten und vor allem Prognosen zu vorschnell getroffen werden. Und auf zu unsolider Basis. Entscheidend ist wirklich, dass das Gericht das, was der Gutachter vorträgt, auch selbstständig überprüft, das heißt, sich selbstständig eine Überzeugung davon verschafft, dass wir auf diesen Gutachter uns verlassen können."
    Das Wiederaufnahmeverfahren gegen Gustl Mollath, das morgen in Regensburg beginnt, wurde mit 17 Verhandlungstagen terminiert. Im vorigen Prozess von 2006, der zur Unterbringung führte, hatte sich das Gericht gerade einmal viereinhalb Stunden Zeit genommen, wenn man die Pausen abzieht. Diesmal wird die Sache Mollath also auf jeden Fall sorgfältiger verhandelt.