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Gutes bleibt

Paläontologie. - Plötzlich erschienen fast alle Tiergruppen, die auch heute noch die Welt mit uns teilen. Das geheimnisvolle Ereignis hat einen Namen: "Kambrische Artenexplosion". Wie die Ökosysteme damals funktionierten, untersuchten jetzt US-Forscher.

Von Dagmar Röhrlich | 28.04.2008
    Es war wirklich Pech. Eine Klippe brach ab und begrub eine ganze Meeresbucht unter sich. Das geschah vor 505 Millionen Jahren, und die urzeitliche Katastrophe erwies sich als großer Glücksfall für die Geologie: Durch den Erdrutsch blien in den Burgess-Schiefern von Kanada ein Ökosystem komplett erhalten: ein besonderes Ökosystem, denn es stammt aus der Zeit, als die Tiere gerade "erfunden" worden waren:

    "Mit der Kambrischen Explosion vor rund 550 Millionen Jahren scheinen wie aus dem Nichts alle wichtigen Tiergruppen aufzutauchen. Die Hypothese war, dass damals die Nahrungsnetze – wer also wen oder was frisst – einfacher aufgebaut waren als die heutigen. Sie mussten sich erst entwickeln. Um diesen Prozess zu untersuchen, nahmen wir uns die Fossilien der Burgess-Schiefer und die etwas älteren der Chengjiang-Fundstätte in China vor."

    Auch dort öffnet sich ein Fenster in die ferne Vergangenheit, erzählt Doug Erwin vom National Museum of Natural History in Washington DC. Von modernen Nahrungsnetzen wissen Ökologen, dass sie immer ähnlich aufgebaut sind, gleichgültig, ob es sich nun um die Fressbeziehungen im tropischen Regenwald handelt oder um die in der Arktis.

    "Wenn wir in einem modernen Ökosystem die Beziehungen zwischen der pflanzlichen Primärproduktion, Pflanzenfressern, Allesfressern, Raubtieren und Aasfressern untersuchen, finden wir charakteristische Strukturen. So gibt immer mehr Pflanzenfresser als Raubtiere, und es gibt immer einige Arten, von denen das Nahrungsnetz abhängt. Für fossile Nahrungsnetze sind solche Untersuchungen nie durchgeführt worden."

    Denn herauszufinden, wer wen gefressen hat, ist schwierig, erklärt Jennifer Dunne vom Santa Fe Institute in New Mexico:

    "Man sieht schließlich nicht, wie der Fuchs das Kaninchen erlegt. Wir hatten nur Hinweise. Ideal sind versteinerte Mageninhalte, aber meist hatten wir nur indirekte Hinweise. Biss-Spuren an den Opfern etwa, oder der Körperbau. War ein Tier groß, hatte es riesige Augen, konnte schwimmen und zupacken, dann war es wohl ein schwimmender Räuber, der fraß, was kleiner war als er."

    Die Analysen waren aufwendig – und sie brachten ein überraschendes Ergebnis: Anders als gedacht waren beide kambrische Lebensgemeinschaften sehr komplex.

    "Es waren sehr viele verschiedene Tierarten eingebunden, und wenn man sich die Struktur des Nahrungsnetzes anschaut, gleicht sie den modernen. Es gibt kleine, aber interessante Unterschiede."

    So fraß man sich im Nahrungsnetz der älteren Fossilien von Chengjiang gerne gegenseitig, so wie heute in Florida die Pythons kleine Alligatoren fressen und die Alligatoren Pythons.

    "Dieses erste Nahrungsnetz nach der kambrischen Explosion war wohl noch nicht ganz so fest gefügt. Aber schon zehn Millionen Jahre später, in den Burgess-Schiefern, waren die Fress-Beziehungen so hierarchisch wie heute. Kaum waren also die Tiere auf der Bildfläche erschienen, schon hatte sich das System vom Fressen und Gefressen werden in voller Komplexität entwickelt."

    Nahrungsnetze müssen also starken Zwängen gehorchen. Ihr Aufbau muss etwas sehr Grundlegendes sein.

    "In einem Nahrungsnetz hängen die Lebewesen voneinander ab, und manche von ihnen haben dabei eine zentrale Position inne. Verschwinden sie, ziehen sie andere Arten mit sich. Solche Kaskadeneffekte können bei Massenaussterben eine Rolle spielen.."

    Weil der Aufbau der Nahrungsnetze tief in der Evolution verwurzelt ist und grundlegenden Gesetzen gehorcht, sind die modernen Netze einem Nassenaussterben gegenüber ebenso empfindlich wie die früheren. Diese Erkenntnis ist wichtig in Zeiten von Klimawandel, Artensterben und Nahrungsmittelknappheit.