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Gutes Sparen, schlechtes Sparen

Sparen wirft moralische Fragen auf. Ulrich Thielemann, Vizedirektor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen, argumentierte anlässlich des Weltspartages, dass Sparen im Grunde genommen eine Investition in den Kapitalmarkt sei. Doch wie investiert man sozial verantwortlich?

Moderation: Christiane Kaess | 30.10.2007
    Christiane Kaess: Den Gedanken des Sparens weltweit im Bewusstsein zu halten und seine Bedeutung für die Volkswirtschaft und den Einzelnen zu unterstreichen, das war das Ziel, als im Oktober 1924 Vertreter aus mehreren Ländern sich dazu entschlossen, einen Weltspartag auszurufen. In Deutschland fällt dieser auf den heutigen 30. Oktober, und die Deutschen sind Meister im Sparen. Mehr als in anderen Ländern wird hierzulande Geld auf die hohe Kante beziehungsweise aufs Sparkonto gelegt. Geldinstitute motivieren schon Kinder am heutigen Weltspartag mit kleinen Geschenken, ihr Erspartes zur Bank zu bringen.

    Wie sinnvoll und wie moralisch ist das Sparen? Das möchte ich den Vizedirektor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen, Ulrich Thielemann, fragen. Er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!

    Ulrich Thielemann: Guten Morgen!

    Kaess: Herr Thielemann, wie sinnvoll ist das Sparen tatsächlich für die Volkswirtschaft?

    Thielemann: Zunächst wollte ich eigentlich sagen, dass das Sparen ja schon eine moralische Komponente hat. Es ist ja das Mäßigen der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung, das Vorsorgen vielleicht für später, auch vielleicht für das Alter. Das ist die eine Seite, so empfinden wir das ja auch im Übrigen. Irgendwie ist das Sparen Ausdruck von einer gewissen Moralität, einerseits. Andererseits: Was wird mit dem Geld gemacht? Es wird in den Kapitalmarkt gegeben, in welcher Form auch immer genau, und dieser Kapitalmarkt ist jetzt nicht so einfach unproblematisch ethisch gesehen. Etwas spitz formuliert kann man Folgendes sagen; ich kann das gleich erläutern: Der Kapitalmarkt ist in gewisser Weise die Peitsche des Arbeitsmarktes oder der Realwirtschaft.

    Christian Kaess: Das heißt?

    Thielemann: Was macht das Kapital? Das Kapital wird ja irgendwo angelegt, und es wird gegeben den besonders wettbewerbsfähigen, besonders fitten Marktteilnehmern, und es gibt denen sozusagen eine Art Überbrückungskredit, bis die Umsätze hereinkommen. Das ist die eigentliche Funktion des Kapitals. Damit verschärft das Kapital wesentlich den Wettbewerb, und dieser Wettbewerb erzeugt den Wohlstand. Das ist ja auch gut und schön so, aber es ist nicht so einfach eine gute Sache, weil dieser Wettbewerb natürlich auch Gewinner und Verlierer schafft.

    Kaess: Aber um noch mal zu meiner Eingangsfrage zu kommen: Volkswirtschaftlich ist das Sparen sinnvoll, schließe ich daraus?

    Thielemann: Das lässt sich eben nicht so pauschal sagen. Das ist, glaube ich, die wesentliche Botschaft. Wir sollten uns von solchen Pauschalurteilen verabschieden. Man sieht ja gerade heute: Man denke an die Heuschrecken-Debatte, an die Wirkung von Private Equity, da hat ja das Investieren, was sich aus dem Sparen übrigens speist, und zwar mehr oder weniger unmittelbar. Die Private-Equity-Unternehmen arbeiten ja im Wesentlichen mit billigen Sparmitteln und können damit erhebliche Hebelwirkungen für sich erzielen. Die umschiffen sozusagen, wenn man so will, den Wettbewerbsprozess, indem sie unmittelbar Druck auf die Beschäftigten, auf die Realwirtschaft ausüben und damit große Vorteile für sich herausziehen. Ob das insgesamt sinnvoll ist, ist wohl eher zweifelhaft.

    Kaess: Nun haben wir seit langem ein Problem einer zu geringen Binnennachfrage. Sollte man die Menschen nicht zum Ausgeben motivieren anstatt zum Sparen?

    Thielemann: Da, glaube ich, sollte man den Zusammenhang so nicht sehen. Ich möchte jetzt auch gar nicht unbedingt gegen das Sparen votieren und damit gegen das Investieren. Es ist aber doch eben nicht nur eine Frage der Quantitäten, sondern es ist die Frage der Qualität. Es gibt ja heute eine große Bewegung, eine ziemlich große Bewegung des sozial verantwortlichen Investierens.

    Kaess: Das heißt, das bedeutet?

    Thielemann: Das bedeutet, dass man eben in Unternehmen investiert oder in Fonds investiert, die das dann entsprechend in die Wege leiten, die in welcher Form auch immer genau verantwortungsvoll wirtschaften.

    Kaess: Können Sie ein Beispiel nennen?

    Thielemann: Ja, natürlich die ökologische und die soziale Seite. Da gibt es ja gewisse Standards, und die werden dann eingehalten. Da werden nicht auf dem Rücken der Mitarbeiter Gewinne erzielt, und da wird dafür gesorgt möglichst, dass die Umwelt geschont wird.

    Kaess: Ihr Institut orientiert sich ja an Immanuel Kants Grundidee, die der Aufklärung verpflichtet ist, von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen. Wenn wir das auf das Sparen übertragen, wäre das, was Sie gerade erklärt haben, dann das vernünftige Sparen?

    Thielemann: Ja, das kann man genauso sagen, dass man eben nicht einfach so blind und mono nur auf ein Ziel hin letztlich ja investiert, indirekt, sondern dass man dabei auch andere Gesichtspunkte mit ins Spiel bringt. Das ist die Verantwortung von uns Bürgern als Sparende.

    Kaess: Sie haben das schon kurz angesprochen. Es gibt momentan eine kontroverse politische Diskussion um die Umverteilung und auch darüber, dass die Schere zwischen arm und reich immer größer wird. Spielt das Sparen in Form von Anhäufen von Reichtum hier eine Rolle?

    Thielemann: Die statistischen Daten sind eigentlich ziemlich eindeutig, nämlich grosso modo lässt sich sagen, dass in reichen Volkswirtschaften das Wachstum beinahe ausschließlich ans Kapital geht, also an die Sparer, wenn man so will. Die anderen bleiben eben auf der Strecke, und das ist eine neue Entwicklung. Gerade darum, würde ich sagen, ist heute das Sparen und damit das Investieren im Wortsinne zweifelhafter, fragwürdiger geworden. Eine der Gegenbewegungen dagegen, eine der privaten, wenn man so will, also nicht der rechtstaatlichen Gegenbewegungen, ist eben das sozial verantwortliche Investieren.

    Kaess: Ist das Sparen wichtiger geworden seit der Erkenntnis, dass der Sozialstaat schon allein wegen der demografischen Entwicklung den Einzelnen nicht mehr ausreichend absichern wird?

    Thielemann: Ja. Das ist aber eine Milchmädchenrechnung oder eine Milchbubenrechnung. Ob wir jetzt das Kapitaldeckungsverfahren oder das Umlageverfahren haben, es ändert nichts an der Tatsache, dass die arbeitende Bevölkerung die nicht mehr arbeitende Bevölkerung, ich sage mal, ernähren muss. Nur ist der Umweg über den Kapitalmarkt meines Erachtens mit den größeren Härten verbunden, von denen ich gerade sprach. Das kann auch zu unnötigem Unbill führen. Man kann sich ja vorstellen, dass man dann vielleicht diese oder jene Aktie hält und damit einem Management zuarbeitet, das den eigenen Arbeitsplatz beseitigt.

    Kaess: Aber welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Aspekt Sicherheit, und inwieweit steckt dahinter dann auch eine Illusion?

    Thielemann: Natürlich ist die Sicherheitsseite auch natürlich das, was eher in der Diskussion ist. Man weiß ja nicht genau, wie sich die Aktienmärkte oder die Kapitalmärkte entwickeln. Aber das ist natürlich ein ziemlich klarer Gesichtspunkt, der abzuwägen ist. Aber der Gesichtspunkt, den ich gerade ins Spiel gebracht habe, wird im Allgemeinen verkannt, weil geglaubt wird, wenn man es dem Kapital so angenehm wie möglich macht, dann werden ja die Arbeitsplätze geschaffen. Man vergisst aber, dass das Investieren immer auch bedeutet, dass Arbeitsplätze unter Druck geraten, nicht unbedingt zerstört werden, aber auf jeden Fall unter Druck geraten. Dann ist eben die Frage, wie leicht es denjenigen wird oder ist, wieder eine neue Beschäftigung zu finden. Das ist eben heute immer schwieriger.

    Kaess: Was wäre also sinnvolles und moralisch vertretbares Sparen?

    Thielemann: Ich würde empfehlen, auf das sozial verantwortliche Sparen oder Investieren zu gehen. Das ist ja die Durchbrechung des Prinzips, dass es dem Investor, dem Sparer, dem Anleger egal ist, womit denn seine Mittel erwirtschaftet oder erzielt werden.

    Kaess: Anlässlich des Weltspartages war das ein Gespräch mit dem Vizedirektor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen, Ulrich Thielemann. Vielen Dank.

    Thielemann: Ja. Vielen Dank auch.