Donnerstag, 18. April 2024

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Guttenberg hätte "eine zweite Chance im Amt verdient"

Wolfgang Bosbach respektiert die Entscheidung von Karl-Theodor zu Guttenberg. Die Plagiatsvorwürfe hätten noch viele Wochen im Mittelpunkt des Interesses gestanden. Das habe Guttenberg "sich und seiner Familie und insbesondere den Soldatinnen und Soldaten nicht antun" wollen.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Dirk Müller | 01.03.2011
    Dirk Müller: Karl-Theodor zu Guttenberg hat also am Vormittag die Konsequenzen gezogen und ist wegen der Plagiatsaffäre zurückgetreten.

    O-Ton Karl-Theodor zu Guttenberg: Abschließend ein Satz, der für einen Politiker ungewöhnlich klingen mag. Ich war immer bereit zu kämpfen, aber ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht. Vielen Dank.

    Müller: Der Verteidigungsminister vor knapp eineinhalb Stunden in Berlin. Darüber sprechen wollen wir nun mit dem CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag. Guten Tag, Herr Bosbach.

    Wolfgang Bosbach: Guten Tag, Herr Müller.

    Müller: Herr Bosbach, haben Sie auch gesagt, jetzt wird’s langsam Zeit?

    Bosbach: Nein! Ich war immer der Überzeugung, dass Karl-Theodor zu Guttenberg eine zweite Chance verdient hat, und zwar nicht nur in Form eines Comebacks irgendwann, sondern im Amt. Aber er ist wohl für sich selber zu der Überzeugung gelangt, dass es so in den nächsten Wochen und Monaten nicht weitergehen darf, dass es gar nicht mehr um seine Leistung als Bundesminister der Verteidigung, um seine Arbeit, um die Durchsetzung der Bundeswehrreform geht, sondern um die Plagiatsvorwürfe, und das wollte er wohl sich und seiner Familie und insbesondere den Soldatinnen und Soldaten nicht antun.

    Müller: Also Wolfgang Bosbach, wenn ich Sie richtig verstanden habe, hätte gesagt "weiter so!"?

    Bosbach: Was heißt jetzt "weiter so"?

    Müller: Im Amt.

    Bosbach: Das habe ich doch gerade gesagt! Ich bin davon ausgegangen, dass, wenn keine neuen Vorwürfe kommen, er im Amt verbleibt und dass er eine zweite Chance im Amt verdient hätte. Er selber ist zu einer anderen Entscheidung gekommen, das muss man respektieren.

    Müller: Haben Sie den Druck und auch die Kritik aus der eigenen Partei und aus der Union nicht mitbekommen die letzten Tage?

    Bosbach: Doch! Wie kommen Sie zu dem Schluss, dass ich die nicht mitbekommen hätte?

    Müller: Und daraus hätten Sie keine Konsequenzen gezogen?

    Bosbach: Ich war selbst in der Fraktionssitzung am Dienstag dabei, als die gesamte Fraktion geschlossen hinter ihm gestanden hat. Da gab es überhaupt keine Kritik, keine abweichenden Stimmen. Es sah dann in den Tagen danach anders aus, und ich glaube, da muss man differenzieren. Dass Frau Bundesministerin Schavan sich öffentlich geäußert hat, das kann ich verstehen. Sie stand ja auch unter dem Druck als zuständige Bundesministerin. Gerade die Wissenschaft hat sich ja auch in den letzten Tagen deutlich, auch deutlich kritisch zu Wort gemeldet. Ich hatte auch Verständnis für die Intervention von Norbert Lammert, der als Präsident des Deutschen Bundestages darauf achten muss, dass die Regeln eingehalten werden, hier die Inanspruchnahme des öffentlichen Dienstes, Entschuldigung: des wissenschaftlichen Dienstes. Darüber ist ja auch in der Fragestunde gesprochen worden. Dann kamen allerdings in den letzten Stunden immer mehr kritische Stimmen aus CDU und CSU hinzu.

    Müller: Die Kritiker, die Sie auch gerade zitiert haben, haben ja demnach, wenn wir Ihrer These folgen, dass er hätte weitermachen sollen als Politiker im Amt, Unrecht gehabt?

    Bosbach: Hier geht es doch nicht um Recht und Unrecht, sondern hier geht es um die Frage der Bewertung ein und desselben Vorganges. Wir sind ja in der Bewertung des Vorganges sicherlich nicht unterschiedlicher Auffassung. Es gibt ja keinen Zweifel daran, dass Herrn zu Guttenberg die Fehler in der Doktorarbeit unterlaufen sind, es gibt auch keinen Zweifel daran, dass das Krisenmanagement suboptimal war, das ist ja alles unstreitig. Die Frage ist nur, welche Konsequenzen zieht man daraus, und da kommen – das ist übrigens in den Medien so und das ist in der Bürgerschaft auch so – ganz unterschiedliche Ergebnisse zu Tage. Der eine sagt, deshalb kann er nicht länger im Amt bleiben, und der andere sagt, das alles ändert nichts daran, dass das Fehlverhalten vor seiner Zeit als Wirtschaftsminister und später Verteidigungsminister liegt, er ist ein hervorragender Mann und man sollte ihm eine zweite Chance im Amt geben. So ist jeder für sich persönlich zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen gekommen.

    Müller: Um vielleicht noch mal die Ausgangsposition zu klären, Herr Bosbach: Hat der Minister die Wissenschaft betrogen?

    Bosbach: Das müssen andere entscheiden. Betrug ist ein Vorsatzdelikt, ein Absichtsdelikt, das heißt zielgerichtetes, planmäßiges Handeln. Ich weiß es nicht. Sie wissen es nicht, ich weiß es nicht. Darüber zu entscheiden, ist jetzt Sache der Universität Bayreuth, möglicherweise sogar der zuständigen Behörden. Staatsanwaltschaften sind ja eingeschaltet worden, möglicherweise werden auch eines Tages sich die Gerichte damit beschäftigen müssen. Wir sagen in vielen anderen Fällen, aus guten Gründen bitte keine Vorverurteilungen. Ich kenne keinen vernünftigen Grund, warum das für Karl-Theodor zu Guttenberg nicht auch gelten sollte.

    Müller: Dennoch die Frage: Steht die CDU noch für Moral und Ethik?

    Bosbach: Ja, gut, daran habe ich keinen Zweifel! Ich kann jetzt auch nicht den Sinn dieser Frage erkennen.

    Müller: …, weil alle anderen, Herr Bosbach, wenn ich Sie unterbrechen darf, im Wissenschaftsbetrieb, wo auch immer, wenn das herausgekommen wäre, mit ganz, ganz großer Wahrscheinlichkeit die Konsequenzen hätten ziehen müssen, wie jeder Student, wie jeder Doktorand an der Universität auch.

    Bosbach: Ja. Die Frage unterstellt, dass das Verhalten oder das Fehlverhalten ohne Konsequenzen geblieben ist, und das ist schlicht falsch. Karl-Theodor zu Guttenberg hat seinen Doktortitel verloren. Das Fehlverhalten liegt eindeutig in der Zeit vor seinen Ministerämtern. Niemand hat bis zur Stunde behauptet, dass er sein Ministeramt in irgendeiner Art und Weise missbraucht hätte, und wie die Sache strafrechtlich zu bewerten ist, ist nicht Sache der Medien, auch nicht Sache der Parteifreunde, sondern Sache der zuständigen Staatsanwaltschaften und möglicherweise der Gerichte, und da sollte man deren Entscheidungsfindung abwarten.

    Müller: Karl-Theodor zu Guttenberg hat sieben Jahre lang in irgendeiner Form nicht korrekt gearbeitet. Wir wollen uns jetzt nicht auf den Terminus weiter einlassen. Sieben Jahre lang – er hat das begründet mit Familie, Mehrbelastung und so weiter. Sie kennen so viele Menschen, Wolfgang Bosbach, die es vielleicht sogar noch viel schwerer hatten in ihrem Leben, diese sieben Jahre durchzustehen. So einer darf dann weiter Minister werden, einer der prominentesten Politiker des Kabinetts?

    Bosbach: Ich verstehe nicht die Formulierung "darf dann Minister werden", denn er ist ja Minister. Die Frage ist doch, ob er im Amt bleiben kann, und da war ja das Votum der Bevölkerung ganz eindeutig. Dort hat man wohl strikt getrennt zwischen seinen Fehlleistungen in der Dissertation während seiner Zeit als Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Die Konsequenz ist Verlust des akademischen Grades, er darf den Doktortitel nicht mehr führen, und seiner Leistungen in den beiden Ministerämtern, die er bekleidet hat. Da war das Urteil in der veröffentlichten Meinung ein anderes als in der öffentlichen Meinung, jedenfalls so, wie sie demoskopisch erfasst ist und verfasst wurde, und das führt uns zu dem, was ich gerade schon gesagt habe: ein und derselbe Sachverhalt wird unterschiedlich bewertet. Die einen sagen, er muss sofort zurücktreten, und die anderen sagen, er hat eine zweite Chance verdient.

    Müller: Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag. Danke, dass Sie für uns Zeit gefunden haben.