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Gymnasiales Modellprojekt
Berufspraxis in der Schule

Gymnasiales Pauken in der Werkstatt: In Baden-Württemberg können Schüler nun in einem Modellprojekt die letzten sechs Jahre an einem beruflichen Gymnasium verbringen. Das soll vor allem die Technik-Begeisterung wecken, viele Lehrer kommen aus der Praxis. Und das scheint das Projekt zu schaffen.

Von Thomas Wagner | 18.03.2015
    Feilen. Immer wieder Feilen an einem silbrig-glänzenden Metallblock. WWir sind jetzt gerade im Metallunterricht in der Werkstatt. Und wir bauen gerade einen Stiftehalter für eine Funkuhr."
    Rebeca Käppler besucht die neunte Klasse des Technischen Gymnasiums am Berufsschulzentrum im baden-württembergischen Bietigheim-Bissingen - und das ist ungewöhnlich. Denn normalerweise beginnen berufliche Gymnasien in Deutschland erst mit der elften Klasse. Mit einer Ausnahme: In Baden-Württemberg erproben Schüler und Lehrer das sogenannte "6BG", also das sechsjährige berufliche Gymnasium, an einem halben Dutzend Berufsschulzentren quer übers Land verteilt. Bietingheim-Bissingen gehört dazu. Das Ziel: Junge Menschen, die Spaß haben am Basteln, am Experimentieren, am Brüten über technische Probleme, sollen diese Fähigkeiten viel früher als bisher in einem Gymnasium vertiefen können, nämlich bereits ab der Klassenstufe acht. Dazu dienen alleine sechs Wochenstunden Technik-Unterricht in der Werkstatt.
    Rebecca Käppler und Pascal Schmid, zwei Schüler der Klassenstufe neun: "Der Technik-Unterricht macht mir schon Spaß. Das hätte ich davor nicht gedacht." - "Ich bin hierhergekommen grade wegen dem Technikunterricht und weil mich das einfach fasziniert, das Technische."
    Durch solche Aussagen fühlen sich die Mitarbeiter des Hector-Institutes für empirische Bildungsforschung der Universität Tübingen bestätigt. Denn in ihrer Studie haben sie festgestellt: Schülerinnen und Schüler, die im Rahmen des "6BG"-Modellversuches in die neu eingerichtete achte Klasse eines Technischen Gymnasiums wechseln, zeigen zum einen mehr Begeisterung für mathematisch-naturwissenschaftliche Fächer als Schüler an den allgemeinbildenden Gymnasien.
    "Und die zweite Frage ist tatsächlich: Verstärkt sich denn entsprechend dieser Unterschied? Also, sorgen die verstärkten Technik-Angebote, also die Angebote in Naturwissenschaften und Mathematik, tatsächlich dafür, dass diese Schülerinnen tatsächlich weitere Interessen ausbilden, weiter ausdifferenzieren können? Genau das hat unsere Studie tatsächlich gefunden", so Professor Ulrich Trautwein, empirischer Bildungsforscher an der Universität Tübingen.
    Begeisterung bei Schülern und Dozenten
    Das heißt: Diejenigen Schüler, die ab der Klasse acht ein Technisches Gymnasium im "6BG"-Modellversuch gewählt haben, steigern ihre Anfangsbegeisterung für Mathe, Physik und Technik. Und sie können ihre Kompetenzen deutlich ausbauen. Das belegen Testergebnisse. Warum das so ist, hat die Tübinger Studie zwar nicht erforscht. Stefan Ranzinger, Schulleiter des Berufsschulzentrums Bietigheim-Bissingen, glaubt aber:
    "Für den Bereich Technik haben wir Ingenieure, die das Fach unterrichten, Maschinenbauingenieure, Elektrotechnik-Ingenieure, haben in den Werkstätten Meister. Die brennen für ihre Fächer, können sehr gut ihre Begeisterung zum Ausdruck bringen und übertragen auf die jungen Leute."
    Die enge Verzahnung von Theorie und Praxis auf gymnasialem Niveau bereits ab Klassenstufe acht sei ganz wichtiger Motivationsfaktor für die Schüler. Er könnte sich eine Ausdehnung des Modellversuches "6BG" auf viel mehr Berufsschulzentren als bisher vorstellen. Das aber, meint der Tübinger Bildungsforscher Ulrich Trautwein, ist wohl nicht so ohne Weiteres möglich:
    "Was bedeutet das, wenn man mehr von diesen Schulen eröffnet? Was bedeutet das für den Rest der Schullandschaft? Werden anderen Schulen möglicherweise die Schüler davonlaufen? Werden diese zu klein? Das sind Gesamtkontexte, die auch eine Rolle spielen für die politischen Entscheider." Daher ist eine bundesweite Einführung des "6BG" trotz aller guten Erfahrungen in Baden-Württemberg erst einmal nicht zu erwarten.